Beim Votum :Stimmabgabe mit gemischten Gefühlen

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Hauptthema auf den Straßen des Landkreises und den Wahllokalen ist die Sorge vor "Wutbürgern" und einem guten Abschneiden der AfD. Einige Wähler gestehen ein, sich erst kurzfristig entschieden zu haben, wem sie diesmal ihre Stimme geben

Von Christian Deussing, Starnberg

Gegen 10.50 Uhr kommen die Besucher aus dem Gottesdienst der Gautinger Kirche St. Benedikt. So auch Tobias Kühn, der mit seiner Ehefrau und der dreijährigen Tochter Lena-Marie schon vor dem Kirchgang seine zwei Kreuzchen gemacht hat. "Ich habe mich vorher sehr gut informiert", sagt der Informatiker. Auch Hildegard Nieder war im Gottesdienst. Die 78-Jährige lobt die Predigt des Pfarrers. Der Vortrag habe zum Wahlsonntag "gepasst", es sei auch um das Thema "Neid" gegangen, erzählt die Rentnerin, die aus der Abneigung vor der AfD keinen Hehl macht. Sie bedauert zudem, dass der Personalmangel in der Pflege und deren "schlechte Bezahlung" erst so spät im Wahlkampf aufgegriffen worden seien.

Seit nun drei Stunden schon sind die Wahllokale im Fünfseenland geöffnet. Auf dem Weg dorthin bleibt ein älteres Ehepaar nahe der Gautinger Würmbrücke vor einem Plakat des CSU-Direktkandidaten Michael Kießling stehen und wundert sich: "Wer ist das eigentlich, der kann nur inkognito hier gewesen sein." Der Bürger verbindet mit dem Namen Kießling eher die Affäre um den entlassene General Kießling in den achtziger Jahren. Er nimmt seinen Enkel an die Hand und wechselt die Straßenseite. Der Bub hat natürlich nicht verstanden, was sein Opa damit meinte.

Am Wahlsonntag gehört der Gang zur Stimmabgabe dazu, wie für das Starnberger Ehepaar Sieglinde und Jürgen Franzke. (Foto: Arlet Ulfers)

Derweil haben bereits 85 Bürger von 400 Wahlberechtigten im Jugendzentrum ihre Stimme abgeben, wie Wahlhelferin Karin Bernhardt gegen 11.15 Uhr berichtet. Einige brauchen nur 20 Sekunden, andere dagegen fünf Minuten - für die zwei Kreuze auf dem Wahlzettel mit elf Direktkandidaten. Zu den Zielstrebigen gehört ein 56-jähriger Unternehmer, der aber lächelnd gesteht: "Ich habe mich erst bei der Hinfahrt im Auto entschieden, aber nicht vor einer Ampel." Damit spielt er auf die sogenannte Ampel-Koalition an, lässt sich aber nicht in die Karten schauen. "Aber was Radikales habe ich nicht gewählt", versichert der Mann. Für den Gautinger kam nie in Frage, nicht zur Abstimmung zu gehen. Denn sein Motto lautet: "Lieber eine Stimme abgeben als gar keine."

Ein jüngeres Paar hat hingegen kein Problem bei seinem Votum - die Meinung ist eindeutig. Der Ingenieur und die Sozialpädagogin lehnen die "Obergrenze bei Flüchtlingen" ab und hoffen, dass die neue Bundesregierung Europa als Einheit stärken und gegen die "Haudrauf-Typen in der Weltpolitik" diplomatisch geschickt verteidigen werde. Ganz besorgt ist Barbara Detter, die in der Nähe auf ihre Freundin wartet und dem SZ-Reporter sagt, "wie wichtig Frieden, Achtsamkeit, Mitgefühl und Toleranz" seien.

Der Pöckinger Gemeinderat Albert Luppart bei der Stimmabgabe. (Foto: Arlet Ulfers)

Das würden auch Daniela und Heiko Methe sofort unterschreiben, die im Wiesn-Dress ins Gautinger Rathaus-Wahllokal gehen. "Wir brauchen mal einen Wechsel in der Bundespolitik", betont die Gautingerin. Sie sorgt sich vor allem vor den "Wutbürgern" und befürchtet ein zweistelliges Ergebnis der AfD im Bundestag. Drinnen im Rathaus passt der Tiroler Gebirgsjagdhund "Anton" auf, ob Frauchen und ihre beiden Söhne auch ordentlich abstimmen. Der Vierbeiner wirkt genauso wohlerzogen wie der 18-jährige Erstwähler Leon, für den die Digitalisierung und Bildung wichtige Aufgaben der Politik sind und zentraler behandelt werden müssten. Das sieht auch sein 21-jähriger Bruder Fabian so, der Politik in Passau studiert. "Bei mir rückt eher die Rente in den Fokus", sagt die Mutter. "Anton" schaut hoch und ist offenbar einverstanden.

"Ich habe mich erst in der Kabine entschieden", erzählt eine junge Frau, die gerade das Wahllokal an der Brunnangerhalle in Starnberg verlässt. Für sie sind weder Kanzlerin Angela Merkel noch Kandidat Martin Schulz eine Option. "Ich bin froh, dass der Wahlkampf vorbei ist", sagt Sieglinde Franzke, die das Wahllokal betritt. Sie stimmt schneller ab als ihr Ehemann Jürgen, ein pensionierter Polizist. Nach ihrem Empfinden habe sich einiges in den Debatten zuletzt "hochgeschaukelt". Der Wahlkampf sei daher nicht langweilig gewesen wie so oft behauptet werde. Die Franzkes freuen sich jetzt nach getaner Bürgerpflicht auf Rahmschwammerl mit Knödeln und gehen heim. Die erste Hochrechnung ist noch weit entfernt.

Die Familie Heller nahm sogar den Hund mit ins Wahllokal. (Foto: Arlet Ulfers)

Am Starnberger Dampfersteg spazieren Antje und Thomas Hanke aus Oberhaching mit ihren Töchterchen vorbei. "Ich habe schon längst im Brief meine Stimme abgegeben, denn heute hätte ich eigentlich den Geburtstermin", erzählt die hochschwangere Frau. Ihr Mann muss aber noch ins Wahllokal bis 18 Uhr eilen und schmunzelt lässig: "Es ist alles eine Sache des Timings." Ein Pärchen hat unterdessen den Dampfer knapp verpasst, ist indes gar nicht so traurig darüber, weil der Wind kalt auffrischt. "Frischen Wind" wünscht sich das Paar aber vor allem in Berlin, wo ihrer Ansicht nach die beiden großen Parteien "leider zuwenig unterschiedlich" seien.

In Pöcking fährt die Familie Heller auf ihren Fahrrädern zum Gemeindekindergarten vor, wo sich ihr Wahllokal befindet. Ganz gespannt ist die sechsjährige Theresa, während der weiße Familienhund "Barney" brav draußen angeleint wartet. Der zehnjährige Bruder Leo interessiert sich zwar schon für Politik, will aber heute lieber mit Freunden spielen. In dem Moment kommt Gemeinderat Albert Luppart (Freie Wähler) schwungvoll um die Ecke. Er berichtet davon, dass sich ein Wähler über die grünen Stühle an den Wahltischen drüben in der Sozialstation mokiert habe - und daraufhin das Gestühl mit weißem getauscht worden sei. In einen anderen Pöckinger Wahllokal stehen rote Schemel - zumindest bis zum Mittag hat sich kein Wähler darüber aufgeregt.

Über dieses Kuriosum kann der Lokalpolitiker und Kreisrat lächeln, beunruhigend findet Luppart allerdings, wie die AfD in den vergangenen Wochen die Gemeinde mit "Plakaten überschwemmt" habe. "Ich sah aber hier niemanden von denen", wundert sich Luppart. Er hoffe, dass die anderen kleineren Parteien am Ende bei der Bundestagswahl doch noch vor der AfD liegen. Eine Pöckingerin betritt nun mit gelbem Schirm und grüner Tracht den Abstimmungsraum. "Nein, die Farben sind kein politisches Statement", lacht sie. Doch die Frau verrät nicht, wo sie ihre Kreuzchen macht. Sie braucht jedenfalls nicht lange. Dagegen benötigen ein jüngerer und älterer Mann zehn Minuten in der Kabine. Vielleicht haben sie sämtliche Namen auf den Listen durchgelesen.

Inzwischen ist die Familie Heller wieder aufgetaucht und schwingt sich aufs Fahrrad. Das Ehepaar mag keinen "Populismus". Es merkt zudem kritisch an, nach dem TV-Duell zwischen Merkel und Schulz "auch nicht schlauer gewesen zu sein" als zuvor.

Trotz schönen Wetters herrscht selbst zur Mittagszeit reger Andrang im Berger Rathaus. "Es läuft sehr gut", sagt Roswitha Kutschker. Sie ist seit Jahrzehnten regelmäßig Wahlhelferin und weiß daher, wovon sie spricht. In der selben Gemeinde hat auch ein Mann gewählt, der vor dem Ferrari-Autohaus in Starnberg mit seinem 17-jährigen Sohn durch die Scheiben die teuren Modelle anschaut. Der Berger wünscht sich eine stabile Regierung, die den "Kurs der Mitte beibehält". Sein Sohn durfte diesmal noch nicht wählen, weiß aber schon, was er will: Er möchte, dass die "Erbschaftssteuer abgeschafft wird".

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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