Ausstellung:Kunst als Experimentierfeld

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Rita de Muynck und Thomas Breitenfeld zeigen ihre Werke derzeit in der Reihe "nah - fern" im historischen Bahnhof Starnberg

Von Katja Sebald, Starnberg

Rotbrüstchen hat den Wolf gefressen und die feinen Herren, die gerade die Welt zerstört haben, schauen ratlos aus ihren Gasmasken. Überall Krokodilsmäuler und nichts als Gemetzel. Riesenhafte Holzwürmer wachsen aus dem Fußboden. Wo bitte saß und schlief hier das titelgebende Häschen? Ist es etwa auch von Monstermündern und Fabelfratzen verschlungen worden? Mit "sass und schlief ..." ist jedenfalls die Ausstellung von Rita de Muynck und Thomas Breitenfeld überschrieben, die das sechste Jahr der Reihe "nah - fern" in der ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs in Starnberg eröffnet. Die Malerin Rita de Muynck und der Bildhauer Thomas Breitenfeld haben beide die Kunst zum Experimentierfeld gemacht - aber es ist mit Sicherheit kein gemeinsames Experimentierfeld, ganz im Gegenteil.

Fantasievolle Gebilde, die mal an Schnecken, mal an Tentakel erinnern, stellen die künstlerische Vision von Thomas Breitenfeld dar. (Foto: Georgine Treybal)

Die Belgierin Rita de Muynck lebt seit 1970 in München und seit einigen Jahren auch in Schlehdorf am Kochelsee. Nach einem Studium der Psychologie, das sie mit der Promotion abschloss, und Jahren in der Forschung am Max-Planck-Institut für Psychiatrie absolvierte sie noch ein Magisterstudium der Freien Malerei und der Kunstgeschichte. Als Künstlerin verschafft sie sich mittels selbstinduzierter Hypnose Zugang zu ihrem Unterbewusstsein. "Das Leid geht durch uns Künstler hindurch", sagt sie über ihre Vorgehensweise. Ihre in Trancezuständen entstandenen starkfarbigen und expressiven Gemälde wirken auf den ersten Blick so fröhlichbunt und lebensbejahend wie die Künstlerin selbst. Erst bei genauerer Betrachtung offenbaren sie Abgründe: Es sind Tiere und Menschen und Zwischenwesen, die sich umzüngeln und umschlingen, sich niederkämpfen und verschlingen, die dann einander gebären oder ausspeien. Überzeichnung bei gleichzeitiger Vereinfachung, Primärfarben, heftig schwarze Konturen und flächenhafte Darstellungen dienen als Gestaltungsmittel. Das so entstandene post-apokalyptische Szenario mit den erschöpften Gasmaskenträgern, die nichts mehr zu zerstören haben, trägt den lapidaren Titel "Achja". Aber De Muynck beherrscht nicht nur die große Geste, das große Chaos und das große Format, auch ihre kleinen "Tag- und Nachtzeichnungen" haben es in sich. Sie entstehen mit spitzer Feder, meist morgens nach dem Aufstehen, an der Schnittstellen zwischen Innen und Außen. Sie sind ebenso Rückblick auf Traumerlebnisse wie Ausblick auf den kommenden Tag: Ein zuweilen winziges Ich strauchelt in ausweglosen Situationen, sitzt als gelbes Hündchen unter dem Tisch zwischen allmächtigen Anzug tragenden Männerbeinen, erträgt stumm Strafpredigten, stürzt flügelschlagend vom Himmel oder ertrinkt im Vollwaschgang der Waschmaschine.

Rita de Muynck schöpft künstlerisch aus der Welt zwischen Traum und Wirklichkeit. (Foto: Georgine Treybal)

Auch der 1983 in München geborene Thomas Breitenfeld, der im Jahr 2017 sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste abgeschlossen hat, kann auf den großen Fundus seines Könnens zurückgreifen: Er absolvierte Ausbildungen zum Bronzegießer und zum Holzbildhauer, ist außerdem Meister im Metall- und Glockengießerhandwerk. Sein Atelier ist eine Werkstatt, in der er mit handwerklicher Finesse die Möglichkeiten seines jeweiligen Materials ausreizt. Sein Vorgehen ist immer prozesshaft. Die Formen ergeben sich erst während des Arbeitens und dienen letztlich nur dazu, diesen Prozess und das damit verbundene Experiment sichtbar zu machen. Seit einiger Zeit arbeitet Breitenfeld mit Holz, das er auf einer Bandsäge direkt aus einer Baumscheibe in hauchdünne Scheiben schneidet und dann ziehharmonikaartig auseinander zieht. So entstehen sich auftürmende und in den Raum ausgreifende, dabei dennoch filigran wirkende Gebilde, die von einer Vielzahl von millimeterdünnen Holzstäbchen zusammengehalten werden. Der Stamm, der so aufgefächert wird, bleibt dabei so sichtbar wie die Rinde und Bearbeitungspuren. Die sich ergebenden, organisch wirkenden Formen lassen an übergroße Würmer oder Schnecken denken, an Panzer von Schalentieren, an Saugnäpfe und Tentakel.

Die Ausstellung "sass und schlief ..." ist noch bis zum 25. März jeweils freitags von 16 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr in der ehemaligen Schalterhalle im Bahnhof am See in Starnberg zu sehen

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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