Auftakt zu "Stadtradeln":Fair im Verkehr

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Welche Gemeinde strampelt am weitesten? Die Aktion startet zum elften Mal. Die Organisatoren fordern konkrete Verbesserungen auf den Straßen.

Von Carolin Fries

Das Rennen kann beginnen: Am Sonntag, 17. Juni, startet im Landkreis die dreiwöchige Aktion "Stadtradeln" des Vereins Klimabündnis. In geschlossenen oder offenen Teams sammeln Radfahrer ihre gefahrenen Kilometer und notieren sie über den gesamten Aktionszeitraum in einem Internetportal. Schließlich wird abgerechnet: Die Mannschaft mit den meisten Kilometern wird ausgezeichnet. Eine eigene Wertung gibt es für die Kommunalparlamente. Der Stadt- oder Gemeinderat mit dem besten Ergebnis bekommt von Landrat Karl Roth (CSU) ein Preisgeld in Höhe von 2000 Euro. Im vergangenen Jahr durfte Inning abkassieren. Stärkste Gemeinde in der Gesamtwertung war Gauting vor Starnberg und Weßling.

966 Radfahrer haben sich bereits angemeldet, darunter drei Stadt- und Gemeinderäte. "Repräsentativ ist das nicht", sagt Koordinatorin Andrea Schmölzer. Im vergangenen Jahr sammelten knapp 4550 Landkreisbürger in 162 Teams Radkilometer. Insgesamt 585 000 Kilometer kamen zusammen, womit der Landkreis Starnberg bayernweit den vierten Platz hinter der Stadt München, dem Landkreis München und Ingolstadt belegte. Bundesweit landetet der Landkreis auf dem zwölften Platz von 616 angemeldeten Gemeinden. Im Vordergrund steht bei allem Ehrgeiz nicht nur das Ergebnis. Radfahren soll in der Gemeinschaft erlebt werden als schnelles, praktisches und sicheres Fortbewegungsmittel. Das Bundesliga-Rennradteam "Magnesium Pur" aus Starnberg wird nicht mitmachen. "Die würden uns zwar viele Kilometer bringen, aber den Wettbewerb verzerren", sagt Schmölzer.

In diesem Jahr startet die Aktion unter dem Motto "Auf ein faires Miteinander". Dabei greift der Landkreis insbesondere den Wunsch vieler Radfahrer nach mehr gegenseitiger Rücksichtnahme im Straßenverkehr auf. Zudem thematisiert das Motto eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums, wo bisher klar das Auto dominiert. "Es liegen viele Vorschläge in den Schubläden, die sich umsetzen ließen", sagt Schmölzer. Vorausgesetzt, der politische Wille sei da. Sie wünscht sich im elften Jahr der Aktion ganz konkrete Verbesserungen für Radfahrer im Straßenverkehr und keine Lippenbekenntnisse mehr. "Die Aktion macht seit zehn Jahren Lust auf's Radfahren, die Teilnehmer entwickeln eine gewisse Erwartungshaltung." Entsprechend groß sei vielerorts die Frustration, weil zu wenig passiere. "Das Recht auf einen Parkplatz für das Auto ist in Starnberg tief verankert", sagt Schmölzer. Vor allem in der Infrastruktur müsse mehr für Radfahrer passieren. "Und zwar so, dass man nicht Idealist sein muss, um sich auf's Rad zu schwingen."

Das Motto spielt aber auch auf das Ziel des Landkreises und zahlreicher Kommunen an, eine Fairtrade-Zertifizierung zu erreichen. Erstmals gibt es deshalb auch Sachpreise zu gewinnen: Der Landkreis verlost unter allen Teilnehmern ein fair gehandeltes Smartphone, die Stadt Starnberg in ihrem zehnten Aktionsjahr ein Bambusrad. Wer mitmachen will, kann sich unter www.stadtradeln.de oder www.stadtradeln-sta.de anmelden. Die Kilometer können online oder schriftlich auf einem Flyer notiert werden. Nachmeldungen sind bis eine Woche nach Abschluss der Aktion am 7. Juli möglich. Teilnehmen kann jeder, der im Landkreis wohnt, hier arbeitet oder zur Schule geht - oder einem Verein angehört. Auch die Teilnahme mit E-Bikes ist möglich, vorausgesetzt es handelt sich um Modelle, die das selbständige Treten lediglich unterstützen und nicht übernehmen.

Flinke Kita

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(Foto: privat/oh)

Maria Graf-Schmerbeck hat den Elternbrief schon hergerichtet, "heuer packen wir es noch einmal", sagt die Leiterin des Kindergarten Sankt Elisabeth in Andechs überzeugt. Im vergangenen Jahr hat die Erzieherin erstmals ein Stadtradel-Team angemeldet, das prompt die goldene Urkunde als bestes Kindergarten-Team gewann. Doch das war nicht der einzige Erfolg: Die Gesamtbilanz der Gemeinde Andechs hatte sich 2017 mit den mehr als 5000 Kilometern des Kindergartens nahezu verdoppelt. "Wir hatten eine Radralley geplant und da hat das Stadtradeln einfach gut dazu gepasst", erklärt Graf-Schmerbeck. Zusammen mit engagierten Eltern wurden möglichst viele Teilnehmer mobil gemacht, auch Geschwister und Eltern dürfen im Team des Kindergartens mitmachen und ihre geradelten und mit dem Roller absolvierten Kilometer jede Woche an die Einrichtungsleitung melden. 90 Kinder besuchen die Einrichtung, etwa 100 Teilnehmer kamen im vergangenen Jahr zusammen. "Wir haben auch Buskinder, weshalb das ein guter Schnitt ist", sagt Graf-Schmerbeck. Bei den Buskindern ist sie nachsichtig, ansonsten gebe es keine Ausrede: "Jeder Meter zählt", sagt Graf-Schmerbeck, die Familien Mut machen will, sich an der Aktion zu beteiligen - auch wenn nur zum Kindergarten geradelt wird.

Agile Senioren

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(Foto: privat/oh)

Ursula Freymadl wird öfter gefragt, ob ihr der Führerschein genommen worden oder das Auto kaputt ist. Denn meistens ist die 68-Jährige mit dem Fahrrad unterwegs. Die Starnberger Rentnerin sagt: "Ich bin eine überzeugte Radfahrerin." Knapp 3000 Kilometer legt sie jedes Jahr mit ihrem Pedelec zurück, das Auto macht kaum mehr Strecke. Auch längere Touren wie beispielsweise Krankenbesuche in Solln erledigt sie mit dem Rad. Der Antriebsmotor kommt nur bergauf zum Einsatz, Freymadl hat zwei kaputte Hüften und benutzt eine Gehprothese. "Das Radfahren tut mir gut", sagt sie. Die Aktion Stadtradeln unterstützt sie schon lange, seit sieben Jahren leitet sie das Team des Seniorentreffs, einer offenen Einrichtung der Caritas. Im vergangenen Jahr gelang ihr damit ein besonderer Coup: Die Senioren sammelten 23276 Kilometer und lagen damit erstmals vor den jugendlichen Sprintern des Gymnasiums, die regelmäßig die Stadtwertung anführten. "Das war wirklich ein Ausnahmejahr", sagt Freymadl. Sie habe keine Mühen gescheut, möglichst viele Senioren von der Aktion zu überzeugen. Mehr als 70 Rentner machten schließlich mit. Inzwischen sei bei vielen aber die Motivation wieder verpufft. "Weil bei uns in der Stadt zu wenig für Radfahrer getan wird", sagt Freymadl.

Fitter Fahrlehrer

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(Foto: privat/oh)

Helmut Heilmann sitzt als Fahrlehrer durchschnittlich sieben Stunden am Tag im Auto, "früher war es noch mehr", sagt der 57-Jährige. Denn so sehr er seinen Job auch liebt, es muss auch Zeit fürs Radfahren bleiben. "Die zwacke ich mir konsequent ab", sagt Heilmann, der regelmäßig aus seiner Heimatgemeinde Gilching nach Starnberg zur Fahrschule am See radelt. Meistens fährt er mit dem Rennrad, manchmal steigt er auch aufs Mountainbike. Knapp 3000 Kilometer sei er in diesem Jahr schon geradelt, "für einen Fahrlehrer ist das viel". Heilmann kennt den Verkehr im Landkreis wohl so gut wie kaum jemand aus zwei Perspektiven. Er sagt: "Die Infrastruktur ist sehr stark auf den motorisierten Fahrzeugverkehr ausgerichtet." Längere Strecken autofrei zurückzulegen, sei kaum möglich - oder lebensgefährlich, weil Teilstücke auf Hauptverkehrsstraßen überbrückt werden müssen. "Und da wollen die Autofahrer halt überhaupt nicht abbremsen". Er wünscht sich ein besseres Miteinander im Straßenverkehr und gegenseitige Rücksichtnahme. Und langfristig mehr Radwege. Die müssten dann aber auch in einem benutzbaren Zustand erhalten bleiben. Er erlebt immer wieder, dass Straßen gereinigt und gekehrt werden, Radwege aber nicht. Protokolle: Carolin Fries

Zum Auftakt am Sonntag, 17. Juni, findet von 12 Uhr an ein Aktionstag "Fußball, Fahrrad und Fairer Handel" auf dem Sportgelände in der Starnberger Ottostraße statt. Aus verschiedenen Gemeinden gibt es geführte Radtouren nach Starnberg. Von 17 Uhr an besteht die Möglichkeit, das WM-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Mexiko zu sehen.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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