Aufgeschlagen:Gott und die Welt

Sebastian Goy, Dießen

Sebastian Goy.

(Foto: oh)

Sebastian Goys poetischer Dialog "Ans Leben verloren"

Es gibt nie nur Himmel oder nur Hölle, stets begegnet einem beides, das Helle wie das Finstere, denn natürlich ist der Engel auch Teufel und umgekehrt, lehrt Sebastian Goy. Für seinen poetischen Dialog "Ans Leben verloren - Irdisch Lied von Licht und Dunkelheit" gilt das natürlich auch, zumal der Autor aus Dießen in die Vollen geht. Pessimismus und Sarkasmus treffen auf artistische Verspieltheit und eine manchmal umwerfende kindliche Heiterkeit. Fantastereien finden sich genauso wie nachtschwere Gedanken, Grobheiten bekommen Geleit von ungewöhnlich poetischen Bildern, Rätselhaftes folgt auf Klarheit. Das alles führt dazu, dass diese 69 Seiten über Gott und die Welt, Urknall oder Schöpfung nicht so nebenbei durchzublättern sind. Goy lässt seinen Leser fluchen, zappeln, staunen und jubeln, er wälzt ihm einen gewaltigen Brocken hin, soll jeder mal sehen, wie er damit zurecht kommt. Dass der 72-Jährige die Sprache wörtlich nimmt und bis an den Rand ihrer Möglichkeiten treibt, macht die Sache kein bisschen einfacher. Aber schöner.

Goy war einst Lehrer. In den Achtzigerjahren arbeitete er als Redakteur in der Hörspielabteilung des Senders Freies Berlin, er veröffentliche Romane, Kinderbücher und etwa 100 Hörspiele. Für "Frau Holle auf Reisen" bekam er 1998 den Deutschen Hörspielpreis und ein Jahr darauf den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Die Dießener kennen den Mann, der seit 1991 am Ammersee lebt, auch als Hüter eines tollen Gemischtwarenladens: Goy lädt seit zwölf Jahren an den letzten Montagen des Monats zu Vorträgen, Lesungen, Konzerten, Gesprächen, Miniaturen und Polemiken ein. Der Titel der Kulturreihe im Hotel Maurerhansl: "Goys letzte Montage". Auch seine durchgehend in Kleinschreibung gehaltenen Nachtgedanken sind schon rein stilistisch ein Sammelsurium. Goy geht es um die ersten und die letzten Dinge, er will dem "Welttheater eine Bühne" bereiten. Dazu marschieren wunderbare Limericks und Reime à la Wilhelm Busch auf, aber auch Metaphern, wie sie die Dichterin Sarah Kirsch erfunden haben könnte, tollkühne Assoziationen und Passagen voller Zorn. Ansätze zur konkreten Poesie und zum Experiment finden sich genauso wie kleine eingestreute Dialoge. Immer wieder kommt Mick Jaggers Daumen vor (gemeint ist wohl der Stones-Song "Under my thumb"), ständig reitet Maria Furtwängler auf einem weißen Pferd durch den Text, warum auch immer, oft geht es um Adam und Eva. Goy verbreitet sich über die Schule ("sanfte sowie rabauken pauken"), das Kinderkriegen, den Mummenschanz in der Kirche, Kriege und Mörder, die "patridiotenpisse am rande phobiengeschädigter mittelstand-demos", die Gnade des Suizids und den Urknall. Er reimt "fahne hissen" auf "sahne pissen" und "vom urknall schreiben" auf "heißt bleiben". So ist das eben: Goy haut genial wirres Zeug aufs Papier, aber er schafft auch große Poesie voller Wahrheit.

Die vielleicht schönsten Seiten dieser Litanei sind die ersten drei, nein fünf: Goy beschreibt, wie der Sarg eines Mannes ins Grab hinabgelassen wird, langsam dämmert ihm, dass er es ist, der in der Kiste liegt. Und er fragt sich: "warum haben wir uns verändert in solch einem maße?/ überall sitzen, stehen und gehen wir auf unseren lebenswegen/ und sind längst zu bloßen verwaltern / tatsächlicher, eingebildeter/oder selbst erzeugter miseren geworden." Gibt es Hoffnung? Ja, schreibt Goy, "wenn uns an seinem platze jemand begegnet,/ der mit feuer seine sache vertritt,/. . . wie erwärmt es uns,/wie sind wir plötzlich wieder interessiert/an den dingen der welt. .."

Sebastian Goy, "Ans Leben verloren", 2015, Scaneg Verlag München, zehn Euro.

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