Andechs/München:"Aber ich will jetzt Tacheles reden"

Christian Springer

"Wenn ich mich zwischen Orienthelfer und Bühne entscheiden müsste, würde die Wahl immer ganz klar auf die Bühne fallen": Kabarettist Christian Springer.

(Foto: Manfred Neubauer)

Christian Springer über seine Doppelrolle als Kabarettist und Orienthelfer, den Abschied von der Kunstfigur Fonsi, seine Lust auf die Bühne und das neues Programm "Trotzdem"

Interview von Astrid Becker, Andechs/München

"Trotzdem" heißt das neue Programm des Kabarettisten Christian Springer. Für den 1964 geborenen Münchner versteckt sich hinter diesem Titel der Wunsch, den Menschen satirisch Mut zu machen. Seine Stilmittel sind Sinn und Unsinn, die er geschickt in skurril-komische Geschichten packt, die durchaus auch mal die Grenze zum Aberwitzigen überschreiten. Die SZ sprach mit Christian Springer, der vor vier Jahren den Verein Orienthelfer gegründet hat und am Sonntag in Andechs gastiert.

SZ: Sie sind gerade erst aus dem Libanon zurückgekehrt, wo Sie Flüchtlingen helfen, und nun stehen Sie schon wieder auf der Bühne. Ist das nicht ein etwas heftiges Kontrastprogramm?

Christian Springer: Ich würde es mal so sagen: In meinem Alter nicht. Ich habe ja auch schon die 5 vorne stehen und leide an einer Art seniler Bettflucht. Nein, im Ernst: Ich habe das Glück, mit nur wenig Schlaf bestens zurecht zu kommen. Fünf Stunden - und ich bin absolut ausgeruht und wieder fit. Das hilft mir natürlich bei meinem jetzigen Lebenswandel, der mich etwa drei Mal im Monat in den Libanon bringt.

Na ja, aber was Sie treiben, strengt ja nicht nur körperlich an, sondern auch psychisch. Wie schaffen Sie das?

Ich sehe im Libanon und als Orienthelfer ja nicht nur Leid, wie es vielleicht viele meinen könnten. Wenn uns zum Beispiel ein Kind herangetragen wird, das dringend eine Operation braucht, die aber sonst niemand auf der Welt zahlen würde, und ich nach vier Wochen dieses Kind wieder sehe, es operiert ist und alles gut gelaufen ist, dann sind das sehr freudige Momente. Und so etwas wirkt dann wie ein Motor auf mich. Man darf auch nicht vergessen, dass ich in der Zwischenzeit Tausende Flüchtlinge persönlich kenne, da wird sehr viel gelacht - eben weil die Menschen dort eine unglaubliche Sehnsucht nach Leben haben. Da können wir uns ein großes Stück Lebenslust von ihnen abschneiden.

Das klingt fast ein bisschen moralisch. Sind Sie das geworden - moralischer?

Vielleicht noch eher auf der Bühne als in meinem sozusagen normalen Privatleben. Mit meinem neuen Programm habe ich aber eine Form von Kabarett gefunden, das bestimmte Themen nicht unterdrückt, sondern sie direkt anspricht und mit ihnen so umgeht, das es unterhaltsam ist. So erzähle ich den Leuten nicht über das, was sie ohnehin in den Nachrichten sehen, sondern erzähle über uns selbst. Zum Beispiel über das "Mia san mia, aber was ist, wenn die anderen aa mia san". Also was sozusagen dann passiert, wenn die Integration wirklich gelingt, wie es dann weitergeht.

Was ist für Sie dabei besonders wichtig?

Zu versuchen, den Menschen die Angst vor Veränderung zu nehmen. Ihnen klar zu machen, dass Veränderung das Normalste von der Welt ist. Und dass unsere christlich-abendländische Kultur viel fremder ist als wir denken. Die deutsche Nationalhymne zum Beispiel ist in Wahrheit ein kroatisches Volkslied, genauer gesagt sogar ein Liebeslied. Das kann man sich übrigens auf Youtube anhören. Oder auch bayerische Volksfeste, die ihre türkische Wurzeln haben. Oder einen bayerischen Hoagascht, den gäbe es ohne seine arabischen Ursprünge gar nicht. Das habe ich mir nicht selbst ausgedacht, das ist tatsächlich so.

Herr Springer, mal ganz ehrlich: Ein neues Programm zu schreiben, braucht ja auch Zeit, allein für die von Ihnen angeführten Recherchen. Wann finden Sie diese Zeit? Mal zwischendrin, im Flieger vom Libanon zurück nach München?

Es stimmt schon. Seit ich den Verein Orienthelfer gegründet habe, also seit vier Jahren, hat sich mein Leben komplett verändert. Aber ich liebe diese Intensität, die es hat. Für mich ist das alles keine Frage von Minuten oder Stunden oder von Uhrzeiten. Mich bestimmt meine Neugier, meine große Lust, Menschen kennenzulernen. Meine große Lust auf die Bühne. Das ist mein Antrieb. Andere verbringen Stunden über Stunden damit, aus Streichhölzern den Kölner Dom nachzubauen. Das wäre aber nicht meins.

Aber wie können Sie Ihre verschiedenen Rollen trennen, dort der Orienthelfer, hier der Kabarettist? Beides ist ja mit völlig anderen Erwartungen Ihrer Gegenüber verknüpft.

Meine Liebe für die arabische Welt habe ich schon als Kind entdeckt, mit der Lektüre von Karl May fing diese Faszination schon an. Aber um es mal auf die Spitze zu treiben: Wenn ich mich zwischen Orienthelfer und Bühne entscheiden müsste, würde die Wahl immer ganz klar auf die Bühne fallen. Als Orienthelfer ist es mir gelungen, mittlerweile die Strukturen zu schaffen, dass auch andere leidenschaftliche Menschen das alles selbst bewältigen und mich ersetzen könnten. Daher könnte ich mich also auch guten Gewissens für das Kabarett entscheiden. Ich bin einfach voll und ganz Kabarettist.

2013 haben Sie Ihre Figur Fonsi aufgegeben. Vermissen Sie sie nicht manchmal?

Ich vermisse meinen Wiesnbummel, den ich als Fonsi gemacht habe. Aber den unternehme ich jetzt einfach immer privat. Auf der Bühne vermisse ich den Fonsi aber gar nicht. Es hat sich ja in den letzten beiden Fonsi-Jahren schon angekündigt, wohin die Reise geht. Früher haben die Menschen zum Fonsi ja auch immer ein wenig Christian Springer bekommen. Jetzt bekommen sie Christian Springer pur. Es kommt einfach irgendwann der Punkt, an dem man keine Lust mehr auf Maskerade hat. Aber natürlich ist man auch seinem Publikum verpflichtet, das diese Figur ja liebgewonnen hat. Man muss das Publikum also in gewisser Weise darauf vorbereiten.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrer Entscheidung, den Fonsi in Rente zu schicken, und Ihrem Engagement als Orienthelfer? Das fiel ja alles in dieselbe Zeit.

Natürlich habe ich speziell als Orienthelfer tiefe Einblicke in das Flüchtlingsthema gewonnen, das wissen die Leute natürlich. Wenn ich mit diesem Thema komme, dann macht mich das heute sehr viel schutzloser. Das jetzige Programm ist das erste überhaupt, in dem ich sehr viel Autobiografisches erzähle. Aber ich will jetzt Tacheles reden, und die Leute mögen das zum Glück. Vielleicht, weil sie selbst die Nase voll haben von all den Lügen, mit denen wir alle konfrontiert werden. Die Leute sehnen sich nach Authentizität. Deshalb ist das Programm aber nicht moralischer oder trauriger als früher. Mein Leben ist jetzt ja auch immer noch genauso schräg, lustig, skurril und unterhaltsam. Und ich hoffe, dass das so bleibt.

Eine private Frage noch am Schluss: Machen Sie eigentlich auch mal Urlaub?

Ja, heuer gehe ich mal eine Woche in die Berge, mehr gibt meine Wadlkondition eh' nimmer her. Aber darauf freue ich mich schon sehr.

Christian Springer ist am Sonntag, 5. Juni, 11 Uhr, mit "Trotzdem" beim Frühschoppen im Florianstadl in Andechs zu erleben. Einlass ist um 10.30 Uhr. Tickets gibt es im Bräustüberl für 20 Euro oder an der Tageskasse für 23 Euro.

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