Andechs:Zivilcourage in Bronze

Der Bildhauer Franz Nickel und seine Tochter Franziska Ghirardo fertigen die Stele zum Gedenken an die mutigen Machtlfinger, die dem Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer 1944 Unterschlupf gewährt hatten. Ein Atelierbesuch

Von Ute Pröttel, Andechs

Dass die beiden Vater und Tochter sind, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Doch im Gespräch ist eine tiefe Vertrautheit zu spüren. Franziska Ghirardo und Franz Nickel aus Erling realisieren das Denkmal für Machtlfinger Bürger. Es ist das erste gemeinsame Kunstwerk von Vater und Tochter. Beide haben das Handwerk des Bildhauers von der Pike auf gelernt. Ihrer frühen Intervention ist es zu verdanken, dass der ursprünglich angedachte Gedenkstein, ein Findling samt Bronzetafel, schnell wieder verworfen worden ist. Stattdessen präsentierte das Bildhauer-Duo den Entwurf einer transparenten Stele in Bronze.

Der schlanke rechteckige Rahmen ist leicht überlebensgroß und umfasst zwei Textblöcke, die in verschieden großen Lettern mal rechts-, mal linksbündig verlaufen. Die Buchstaben werden freigestellt gegossen, so dass ein Bild aus Text entsteht. "Nur das Problem mit dem Bindestrich müssen wir noch lösen", sagt Franziska Ghirardo und tippt auf das Pergament mit dem Entwurf. "Wichtig ist, dass alle Buchstaben sich berühren."

Stundenlang saß sie über dem Text und hat die einzelnen Lettern mit der Feder gezeichnet, teilweise ausgeschnitten und verschoben, damit ein stabiler Textblock entsteht. "Das kann kein Computer", erklärt die 41-Jährige. Ihr macht die Detailarbeit sichtlich Spass. Neben ihrer Tätigkeit als freischaffende Künstlerin unterrichtet Franziska Ghirardo an der Berufsfachschule für das Holzbildhauerhandwerk in München. Sie lehrt dort Schriftgestaltung und Freihandzeichnen.

Nach dem Abitur in Tutzing 1995 absolvierte die gebürtige Andechserin just dort eine Ausbildung zur Bildhauerin und studierte im Anschluss an der Akademie der Bildenden Künste in München Bildhauerei und Kunsterziehung. Ganz ähnlich wie es auch ihr Vater getan hatte.

Von Weitem betrachtet werden die in Grotekschrift gehaltenen Buchstaben der Stele ein Gitternetz aus Senkrechten und Waagrechten formen. Der Blick auf die umgebende Landschaft bleibt gewahrt. Bei näherem Herantreten erst erschließt sich der Text. Im oberen Teil wird das Engagement der Machtlfinger erwähnt, allen voran das mutige Handeln des Arztes Dr. Martin Otto.

Die Künstler mit der Machtlfinger Stele

Transparentes Denkmal: Franziska Ghirardo und Franz Nickel mit dem Entwurf der Stele.

(Foto: privat)

Sieben Wochen lang hatte die Dorfgemeinschaft im Kriegsjahr 1944 dem Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer Unterschlupf gewährt. Den Nazischergen entkommen konnte Haushofer nicht. Wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er von einem Kommando der SS ermordet. Während seiner Gefangenschaft im Berliner Gefängnis Moabit verfasste er noch einen Zyklus von achtzig Gedichten, darunter das Sonett "Heimat". Der untere Textblock der Stele zitiert die zweite Strophe dieses Gedichtes.

Schrift und Rahmen werden in Bronze gegossen. Für das Ausschmelzverfahren muss ein Wachsmodell in Originalgröße gefertigt werden. Der erste Textblock steht nun auf der Staffelei im Atelier von Franz Nickel. Vor kurzem hatte der Andechser Gemeinderat das geschichtsträchtige Projekt bewilligt.

Franz Nickel kam im Alter von zwei Jahren mit der gesamten Familie als Vertriebener nach Andechs. Acht Jahre lebten sie mit acht Personen in einem einzigen Zimmer in einem kleinen Häuschen unterhalb des Klosters. Schon sein Vater war Bildhauer und eröffnete eine kleine Werkstatt im Dorf. Eine Zeitlang stellte er Bilderrahmen her und experimentierte mit künstlichen Händen und Füßen für Kriegsversehrte. "Mein Vater wünschte sich, dass ich für Kriegsversehrte orthopädische Prothesen herstellen sollte. Deswegen schickte er mich auf die Bildhauerschule nach München", erzählt Franz Nickel. Die Ausbildung beendet er als Bundessieger im Leistungswettbewerb der Handwerksjugend.

Der bekannte Karikaturist Ernst Maria Lang ist zu diesem Zeitpunkt Direktor des Berufsbildungszentrums für Bau und Gestaltung. Er stellt Nickel ein Referenzschreiben aus und bietet ihm Jahre später eine Lehrerstelle an der Meisterschule an. In der Zwischenzeit hatte Nickel sein Abitur in der Abendschule nachgeholt und an der Kunstakademie studiert. "Eigentlich wollte ich Architekt werden", erzählt Nickel. Doch Ernst Maria Lang, selber auch Architekt, rät ihm ab und holt ihn ans Berufsbildungszentrum. Anstatt Architektur zu studieren, absolviert Franz Nickel sein Staatsexamen und Referendariat in Kunsterziehung und lehrt 30 Jahre lang Bildhauerei, Abgusstechnik und Schriftgestaltung.

Albrecht Haushofer

Diplomat, Autor und Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer.

(Foto: Privat)

Seit 2006 ist der heute 73-Jährige nun als freischaffender Bildhauer tätig. Sein Atelier betreibt er im ältesten Teil von Erling, wo die Familie sesshaft geworden ist. Es ist fester Bestandteil des Wohnhauses und war von Anfang an mit eingeplant. "Meine Schwester und ich sind mit diesem Kontakt zur Kunst groß geworden", erzählt Franziska Ghirardo und lässt den Blick durch das 50 Quadratmeter große Atelier gleiten. Neben der Staffelei mit den Wachsbuchstaben für die Stele stehen zwei Bronzefiguren. Es sind die Abbilder von zwei Fünfjährigen, die zusammen ein tanzendes Kinderpaar darstellen. Modell gestanden dafür haben zwei der vier Enkelkinder von Franz Nickel. Auch Franziska Ghirardo musste dem Vater als Mädchen Modell stehen. Im Garten ziert ihr Abbild einen Brunnen. Im Flur des Hauses steht eine weitere Figur. "Dafür ließ ich mich immer mit TKKG-Kassetten bestechen", erinnert sich die Tochter. Doch Franz Nickel arbeite nicht nur in Bronze, sondern hat zuletzt auch viele abstrakte Skulpturen aus Holz geschaffen. Besonders eindrucksvoll ist ein Werk, das an den Terrorangriff von 9/11 erinnert.

Im Gegensatz zu ihrem Vater arbeitet Franziska Ghirardo mit einem ganz anderen Material: Aus Knete, die sie selber herstellt und der verschiedene Salze und Farbpigmente beigemischt werden, formt sie Köpfe oder lebensnahe Skulpturen, beispielsweise eine junge Frau beim Kopfstand. Die ausblühenden Salze verleihen den Skulpturen eine ungewöhnliche fast grobe Oberflächenstruktur. Die jugendlichen Figuren unterliegen damit einem ganz eigenen Alterungsprozess. "Dass wir einmal gemeinsam an einem Kunstwerk arbeiten, hätte ich mir früher nicht vorstellen können", erzählt Ghirardo. Sie blickt den Vater offen an und fährt fort: "Aber heute können wir beide voneinander lernen. Handwerklich ist mein Vater ein absoluter Perfektionist." Was sie damit meint, sieht man an den beiden Bronzefiguren, die vor der hellen Fensterfront stehen.

In den kommenden Monaten jedenfalls wird die Vater-Tochter-Beziehung sicherlich auf eine ungewöhnliche Probe gestellt werden. Bis die Stele für die Zivilcourage der Machtlfinger am 17. September 2017 eingeweiht werden kann, haben Franziska Ghirardo und Franz Nickel arbeitsintensive Wochen vor sich. Nach dem Guss im Ausschmelzverfahren, der in mehreren Teilen erfolgen muss, wird die Bronzeoberfläche durch Ziselierung und verschiedenartige Patinierungen gestaltet. Am Ende werden die Einzelstücke zusammengefügt. Eine Arbeit, die sich niemals in den 17 100 Euro wiederfindet, die die Stele offiziell samt Fundament kostet. "Aber ich möchte Andechs auch etwas wiedergeben", sagt Franz Nickel, dem die Heimat von Albrecht Haushofer zu seiner eigenen geworden ist.

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