Starnberg:Giftige Untermieter

Wegen einer Schlange musste ein 18-Jähriger aus Leutstetten ins Krankenhaus. Ihr Sekret soll versehentlich in eine Wunde an seiner Hand geraten sein, berichtet die Mutter

Von C. Deussing, D. Costanzo, Starnberg

Der 18-jährige Giftschlangen-Halter aus Leutstetten liegt weiter auf der Intensivstation eines Münchner Krankenhauses, er war zunächst nicht ansprechbar und musste beatmet werden. Am Dienstagnachmittag ist er aus dem künstlichen Koma erwacht. Sein Zustand ist stabil, sagt Florian Eyer, Chefarzt der Toxikologie am Klinikum rechts der Isar. Einer seiner Oberärzte war am Montagvormittag in einem Rettungshubschrauber mit einem Koffer voll Gegengiften nach Starnberg geflogen worden, um den jungen Mann zu behandeln. Am Dienstag war noch unklar, welche seiner Giftschlangen zugebissen hatte. Seine Mutter hofft, dass ihr Sohn alles gut übersteht und bald aus dem Krankenhaus entlassen werden kann.

Sie stellte die Ereignisse anders dar, als bislang bekannt. Ihr Sohn sei nicht von einer der Giftschlangen gebissen worden, berichtete die Mutter. Er habe sie am Sonntag wie schon oft gemolken, doch ein bisschen der Flüssigkeit sei beim Umfüllen in ein Gläschen auf eine Wunde an der Hand gespritzt. "Er hat darauf allergisch regiert und ein Finger schwoll später an", sagte die Leutstettenerin am Dienstag der SZ. Ihr Sohn sei "sonst immer sehr vorsichtig und penibel dabei gewesen" - auch im Umgang mit seinen Schlangen. "Sie sind seit Jahren seine Leidensschaft, er sieht sich alles über diese Tiere in Videos an." Zudem habe er mit 14 Jahren ein Schülerpraktikum in der Reptilienauffangstation in München gemacht und danach auch Giftschlangen erworben. "Darüber waren wir aber nicht ganz so glücklich", betont die Mutter. Zudem sei es ein "teures und nicht ungefährliches Hobby". Die Polizei hatte am Montag gemeldet, der junge Mann habe noch selbst den Notruf gewählt, von einem Biss berichtet und sei dann im Treppenhaus zusammengebrochen. Die Ermittlungen der Polizei laufen derzeit noch.

Sehr gefährlich war der Einsatz für den Reptilien-Spezialisten Stephan Zobel von der Münchner Berufsfeuerwehr, den die Polizei mit einem Hubschrauber zum Unglücksort brachte, um die Tiere zu bergen. "Eine Speikobra reagierte sehr nervös, sie spritzte mir Gift ans Klappvisier", erzählt Zobel. Dem 43-Jährigen gelang es, die Kobras zu beruhigen und auch die anderen Schlangen mit der Hand und einem speziellen Haken behutsam aus den Terrarien in Boxen zu verladen. Seinem ersten Anschein nach seien die Reptilien in dem Zimmer durchaus artgerecht gepflegt worden.

Der Brandoberinspekteur wird schon seit 20 Jahren zur Hilfe gerufen, wenn irgendwo gefährliche Tiere auftauchen. Zobel hatte zum Beispiel eine entweichende Vogelspinne auf dem Dachboden, einen Skorpion aus einer Blaubeerschachtel und einen Leguan auf einem Ast eingefangen. Doch so einen extremen Fall wie jetzt in Leutstetten hat der Reptilien-Kenner noch nie erlebt. Er reist auch jährlich zu Übungen auf einer Schlangenfarm im Harz. Er wisse natürlich, dass Gift- und Würgeschlangen in freier Wildbahn "noch ganz anders Gas geben" als in Terrarien. Deswegen will Zobel auch einmal in Australien und Thailand aus nächster Nähe Schlangen beobachten.

Exotische Tiere

Gefährliche Arten dürfen in Bayern nur mit Erlaubnis gehalten werden. Nach Artikel 37 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes müssen Halter ein "berechtigtes Interesse" nachweisen. Zuständig ist die Gemeinde, bei Verstößen droht ein Bußgeld bis 10 000 Euro. Für geschützte Arten benötigen Halter eine Genehmigung der Naturschutzbehörde. Das Landratsamt verzeichnet im Kreis etwa 25 Boa Constrictor, zwei Krokodile, ein Spitzmaulnashorn, drei Elefanten, drei Nandus, sogar einen Braunbär - sowie jede Menge geschützter Schildkröten und Papageien. sz

Der Vermieter Verband Wohnen hat erst aus den Medien erfahren, dass die Familie unerlaubt exotische Schlangen in ihrer Wohnung hielt. Auch der Hausmeister hatte nichts mitbekommen. "Die Giftschlangen hätten auch die übrigen Mieter gefährden können", sagte Jacqueline Schürger, Abteilungsleiterin beim Zweckverband, der SZ. Nach dem Vorfall würden mietrechtliche Konsequenzen geprüft, zudem werde ein Anwalt eingeschaltet.

Auch für den Giftnotarzt handelt es sich wegen der Sammlung giftiger Schlangen um einen ungewöhnlichen Fall, sagte Toxikologie-Chefarzt Eyer. Bisse dieser Art würden höchstens alle zwei Jahre in München versorgt. Meistens geschähen die Unglücke bei der Reinigung der Terrarien in Privathäusern, in Zoos würden Tierpfleger dagegen praktisch nie gebissen. Schlangengift könne drei Arten von Schäden anrichten: Sie können an der Bissstelle zu massiven Schwellungen führen und Gewebe zerstören, Gerinnungsstörungen und starke Blutungen verursachen sowie Atemmuskulatur lähmen. Im Notfall steht einer der Oberärzte des Klinikums rund um die Uhr bereit, dass dieser mit dem Hubschrauber eingeflogen wird komme jedoch selten vor und dann meist zu Gasunfällen.

Weil die Familie in Leutstetten laut Polizei keine Erlaubnis für die Tiere hatte, befinden sich die neun Schlangen nun in der Reptilienauffangstation in München. "Sie sind gut genährt und gepflegt", sagt Leiter Markus Baur. Im Keller der Einrichtung gibt es einen eigenen Giftschlangenraum, der mit Kameras überwacht wird, durch eine Schleuse gesichert ist und zu dem nur ein Teil der Mitarbeiter Zutritt hat. Giftschlangen seien leicht im Internet zu kaufen, sie kosteten 50 bis 200 Euro. In Einzelfällen würden Tiere auch an Zoos vermittelt. Private Halter mit Erlaubnis gebe es in Bayern wegen der strengen Gesetze kaum. Die Tierrechtsorganisation forderte anlässlich des Starnberger Falls sogar ein komplettes Verbot von gefährlichen Reptilien in privaten Haushalten.

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