Städtevergleich:Wie Megastädte mit Wohnungsnot umgehen

Während man in München über Häuser auf Stelzen nachdenkt, setzen andere Metropolen auf Hunderte neue Hochhäuser, planen neue Städte - oder tun einfach nichts.

Von SZ-Korrespondenten

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London: 263 Hochhäuser sind derzeit in Planung

City Skylines As London Finance Jobs Surge

Quelle: Bloomberg

Eine Volksabstimmung über Wohnungspolitik - das solle die Wahl zum Londoner Bürgermeister Anfang Mai sein, sagt der Kandidat der Labour-Partei, Sadiq Khan. Denn die Metropole mit ihren 8,6 Millionen Einwohnern ist inzwischen so teuer, dass sich viele Briten ihre Hauptstadt nicht mehr leisten können. Hauspreise und Mieten haben die Niveaus von vor der Finanzkrise schon längst wieder überschritten und setzen neue Höchstmarken. Linderung ist nicht in Sicht: Fachleute schätzen, dass die Zahl der Einwohner weiter wächst und in 15 Jahren bei mehr als zehn Millionen liegt. Zugleich werden bereits seit Jahren zu wenig Häuser gebaut an der Themse. Anfang der Woche präsentierte eine Expertengruppe Vorschläge, wie das Problem anzugehen sei.

Die London Housing Commission rechnet vor, dass die Stadt jedes Jahr 50 000 neue Wohnungen braucht, um das Wachstum der Bevölkerung auszugleichen. Im vergangenen Jahr wurde aber nur die Hälfte gebaut. Damit das besser werde, müsse die Stadtverwaltung mehr Befugnisse bekommen, fordern die Fachleute. Die Stadt müsse Immobiliensteuern selbst festlegen dürfen; außerdem sollte sie mehr Schulden aufnehmen und mit dem Geld Häuser bauen. Dass in London zu wenig Wohnungen entstehen, liegt auch an strengen Planungsvorschriften. Die verhindern etwa, dass neue große Mietskasernen in hübsche Straßenzüge aus viktorianischen Zeiten hineingesetzt werden. Unbebautes Land am Stadtrand zu betonieren, ist gleichfalls schwierig. Der sogenannte Green Belt um London herum soll als grüne Lunge der Metropole erhalten bleiben.

Reiche aus aller Welt investieren zudem gerne einen Teil ihres Vermögens in Betongold an der Themse - sie kaufen Luxus-Wohnungen. Das freut zwar die Immobilienentwickler, doch jede Brache, die mit Edel-Apartments bebaut wird, steht dann nicht für Häuser für Normalverdiener zur Verfügung. Eine Folge der Wohnungsnot ist, dass sich Londons Silhouette in den kommenden Jahren radikal ändern wird. Im Moment werden 263 Hochhaus-Projekte geplant oder bereits gebaut. Vier von fünf dieser Türme sollen Wohnungen beheimaten. Eine Stadt wächst in den Himmel.

Björn Finke

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Tel Aviv: Aufstocken statt Denkmalschutz

Shadman, excavation director on behalf of Israel Antiquities Authority, touches a mosaic floor which was revealed during excavations in Rosh Ha'ayin, east of Tel Aviv, Israel

Quelle: REUTERS

Grundsätzlich hält sich Tel Aviv für einzigartig, aber wenn dann doch einmal ein Vergleich gezogen wird, dann natürlich nur mit: New York. Dabei hat die quirlige israelische Metropole nur lächerliche 400 000 Einwohner. Doch die leben in der eitlen Selbstgewissheit, dass sie im auserwählten Volk die auserwählten Stadtbewohner sind. Tatsächlich ist der Zuzugsdruck auf die Stadt enorm, und weil der Platz begrenzt ist zwischen Strand und Stadtautobahn, hinter der sich die Stiefschwesterstädte Givataim, Ramat Gan oder Holon anschließen, wird versessen in die Höhe gebaut. Auf die alten Bauhaus-Gebäude, die zum UN-Weltkulturerbe gehören, werden jedem Denkmalschutz-Gedanken zum Trotz ein oder zwei Stockwerke aufgesattelt. Immer mehr Wohntürme werden hochgezogen und erfreuen sich großer Beliebtheit. Nur leider sind die Hochhäuser sündhaft teuer.

Viele weichen deshalb in die umliegende Provinz aus. Tel Aviv ist so zum Zentrum eines 3,8 Millionen Menschen umfassenden Ballungsraums geworden, in dem die Pendler tagtäglich im Berufsverkehr die Zu- und Abfahrtswege verstopfen. Doch wenn es im Einwandererland Israel zu eng wird, dann gibt es seit der Staatsgründung immer noch eine andere Lösung: den Bau einer komplett neuen Stadt irgendwo im Nirgendwo. Entwicklungsstädte heißen diese Ansammlungen, die vorzugsweise in den Weiten des Negev auf Sand gebaut werden. Doch bevor ein Tel Aviver in die Wüste zieht, zieht es ihn dann doch eher in eine andere Metropole: Berlin ist für viele das Ziel. Da ist es spannend wie in New York und billiger als zu Hause.

Peter Münch

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Ulan-Bator: Neue Öko-Musterstadt in der Steppe

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Quelle: AFP

Es gibt Menschen in Ulan-Bator, und es sind noch nicht einmal die ältesten, die erinnern sich an Zeiten, als die mongolische Hauptstadt grün, sauber, übersichtlich und lebenswert war. Der Schauspieler Orgil Makhaan, 40, sagt, er habe als junger Mensch gerne dort gelebt. Inzwischen freilich ist er seiner Kinder wegen in den äußersten Süden der Stadt gezogen, weil die Luftverpestung dort am geringsten ist. Es dürfte nicht sein letzter Umzug gewesen sein, denn zu Ulan-Bator soll es demnächst eine Alternative geben. Der Staat plant eine neue Hauptstadt, weil der Problemfall Ulan-Bator dringend Entlastung braucht. Auf ein paar Hunderttausend Menschen war die Stadt mal ausgelegt, heute ballen sich dort 1,3 Millionen, und der Zustrom aus den ländlichen Regionen reißt nicht ab. Etwa die Hälfte der Bewohner lebt in den traditionellen Nomadenzelten, die sich in einem Elendsgürtel um die Stadt herumziehen und mit dafür gesorgt haben, dass Wasser und Luft immer schmutziger werden.

Die primitiven Sickergruben belasten das Grundwasser, und die Öfen in den Jurten produzieren in den extrem kalten mongolischen Wintern einen hochgiftigen Smog. Dazu noch die Autoabgase und die maroden Kohlekraftwerke - Ulan-Bator ist eine Stadt, welcher der Erstickungstod droht. Deshalb das Projekt Maidar City. Mitten in der Steppe soll in den nächsten Jahren eine Öko-Musterstadt für 300 000 Menschen entstehen, grün, nachhaltig, sauber, vorbildlich.

Der Schauspieler Orgil ist fasziniert von dem Plan, aber er hat auch Zweifel. Er hat schon viele große Ideen in der Mongolei scheitern sehen, er traut den Politikern nicht, und es gibt ja auch noch eine Reihe ungelöster Probleme. Das größte: Im Gebiet von Maidar City fehlt es an Wasser. Außerdem macht die Wirtschaft des Landes gerade schwere Zeiten durch. Andererseits: Die Zustände in Ulan-Bator lassen kaum eine Wahl.

Stefan Klein

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Hamburg: Wohnungsbau auch ohne Olympia

Elbphilharmonie in Hamburg

Quelle: dpa

Für Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz ist der Wohnungsbau ein Schlüsselthema. Dass der SPD-Mann seit seiner Wahl 2011 wie versprochen jährlich 6000 Wohnungen hat bauen lassen, ist eines seiner Kernargumente im Wahlkampf gewesen. Und auch jetzt, ein gutes Jahr nach der Wiederwahl, geht es weiter. Den Bau von 9560 neuen Wohnungen hat die Stadt Hamburg 2015 genehmigt, stolz verkündet Scholz: "Wir haben die höchste Bautätigkeit seit über 20 Jahren." Mehr Wohnungen fördern Integration und wirtschaftliche Entwicklung, das ist die Botschaft der ausführlichen Reden, die Scholz über das Wachstum halten kann. Diese Haltung spiegelt sich auch im "Bündnis für Wohnen in Hamburg" wider, bei dem sich Senat, Verbände der Wohnungswirtschaft und die städtische Baugesellschaft unter Beteiligung der Mietervereine auf Standards geeinigt haben; zum Beispiel darauf, dass ein Drittel aller neuen Wohnungen Sozialwohnungen sein müssen. Und Hamburg ist nicht zimperlich bei der Umsetzung. Unter Scholz haben sich die Genehmigungsverfahren beschleunigt. In jeder freien Nische wird gebaut. Die Stadt schließt Baulücken, belebt frühere Bahn-, Bundeswehr- oder Industrie-Flächen. Und sie baut nach oben, wenn auch "nicht gigantisch hoch", wie Scholz sagt: "Es bringt schon viel, wenn wir nun sieben Stockwerke haben, wo früher vielleicht fünf waren." Die Olympia-Bewerbung war auch ein Wohnungsbauprojekt. Ein neuer Hafen-Stadtteil sollte entstehen. Aber die Hamburger waren dagegen. Schlimm? Angeblich nicht. Aus dem Rathaus heißt es, das Nein habe "keine Auswirkungen auf die jährlichen Genehmigungs- und Fertigstellungszahlen".

Thomas Hahn

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Kairo: Informelle Viertel nehmen die Zuwanderer auf

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Quelle: AP

Der Großraum Kairo hat etwa 22 Millionen Einwohner - vor 20 Jahren waren es noch 14 Millionen, im Jahr 1966 gerade mal sieben. Die größte Mega-City Afrikas und der arabischen Welt schlingert am Rande des Zusammenbruchs, doch irgendwie geht das Leben immer weiter. Der drastische Anstieg der Einwohnerzahl hat mehrere Gründe: Zum einen ist das Bevölkerungswachstum in Ägypten mit deutlich mehr als zwei Prozent in den vergangenen Jahren sehr hoch. Zum anderen entfaltet die ungebrochene Landflucht einen massiven Siedlungsdruck auf die Stadt. Junge Männer kommen hierher, um Arbeit zu suchen, und holen später ihre Familien nach.

Absorbiert haben den starken Anstieg der Bevölkerung zu 75 Prozent sogenannte informelle Viertel - ohne Stadtplanung und meistens illegal erbaut fressen sich vor allem an den Rändern der Stadt immer neue mehrstöckige Häuser in das fruchtbare Ackerland. Sie werden hochgezogen aus Stützen und Deckenplatten aus Beton, ausgemauert mit gebrannten Ziegeln, zunächst meist ohne Anschluss an Strom, Wasser, Kanalisation. Oft erreichen sie später sechs, sieben oder auch mehr als zehn Etagen, die Straßen dazwischen sind häufig nur so breit, dass gerade ein einzelnes Auto durchpasst; Grünflächen oder Plätze gibt es nicht. In manchen dieser Viertel wohnen 250 000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Mit Durchschnittswerten um die 45 000 gehört Kairo zu den am dichtesten besiedelten Metropolen der Welt.

Die Stadtplaner versuchten deshalb die Wüste zu erschließen, die bis an den Stadtrand reicht. Um Kairo herum entstanden Satelliten-Städte wie "6. Oktober", die mehrere Hunderttausend Einwohner haben. Das Leben dort können sich aber nur Familien der Mittelschicht leisten. Die Armen strömen weiter in die informellen Viertel. Die Regierung hat angekündigt, etwa 45 Kilometer östlich von Kairo eine neue Verwaltungshauptstadt zu errichten, die mit einer Bevölkerung von fünf Millionen Menschen geplant wird. Sie soll die Metropole entlasten und ist Teil einer Entwicklungsvision bis 2050, die Kairo zur grünen und lebenswerten Stadt machen soll - bislang sind solche Träume noch immer von der Realität überholt worden.

Paul-Anton Krüger

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Zürich: Die Schweizer im "Dichtestress"

Zürich

Quelle: dpa

Eine Stadt im Zentrum von Europa, knapp 400 000 Einwohner. Um 1,4 Prozent ist Zürich im Jahr 2015 gewachsen, ein normaler Wert, genau im Schnitt der vergangenen fünf Jahre. Das klingt harmlos. Doch wer über die Stadt blickt, sieht vor allem eines: Baukräne. Eine Soziologin nannte Zürich vor ein paar Jahren "Dubai von Europa" - eine Plattform für internationale Konzerne, ein Hub für Talente, ein Ort, an dem Geld verdient und verteilt wird. Die Ausländerquote liegt bei 32 Prozent.

Etwa zehn Jahre ist es her, dass eine Welle deutscher Zuwanderer die Schweiz und besonders Zürich erreichte, die Stadt reagierte langsam. Heute soll jeder Quadratmeter genutzt werden. Tramdepots werden zu Wohnhäusern umgebaut, Städteplaner versuchen, an den Rändern neue Trendquartiere zu etablieren. Die Kunsthochschule war früher eine Molkerei, das Schauspielhaus hat seine Außenstelle im Schiffbau, einer Industriehalle. Die meisten Baukräne ziehen aber Neubauten in die Höhe. Niedrige Decken, Fenster bis zum Boden, 1,5 Badezimmer pro Person. Oft dauert es nur wenige Monate, bis die Aussicht durch ein weiteres Bauprojekt gestört wird.

2014 ging ein Wort durch die Schweiz, das auf Zürich und Umgebung zugeschnitten ist: Dichtestress. Ein Unwohlsein, ausgelöst durch zu viele Menschen. Inzwischen versucht die Schweiz eine Zuwanderungsbeschränkung durchzusetzen. Gleichzeitig sollen Neubauten, Umbauten, bessere Zugverbindungen für Entspannung sorgen. Ein erstes Zeichen Richtung Stressreduktion: Experten sagen für 2017 sinkende Mieten voraus.

Charlotte Theile

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Los Angeles: Mini-Häuser per Crowdfunding

Rain clouds move in over downtown Los Angeles

Quelle: REUTERS

Elvis Summers sieht nun wahrlich nicht aus wie ein Immobilienmakler. Er trägt einen türkis gefärbten Irokesenhaarschnitt, dazu überdimensionale Sonnenbrille und Kapuzenjacke. Er verzichtet bewusst auf Anzug und Gelfrisur, schließlich will er keine Strandhäuser an Prominente vermitteln, sondern den Obdachlosen von Los Angeles helfen. Der 38-Jährige baut Mini-Häuser, er hat dafür über eine Crowdfunding-Seite mehr als 100 000 Dollar Spenden gesammelt. 1200 Dollar kostet die Produktion eines Hauses, es gibt eine Campingtoilette und eine kleine Solaranlage auf dem Dach. Bislang hat Summers 37 Häuser gebaut und über verschiedene Stadtviertel verteilt. Sie passen auf einen Parkplatz am Straßenrand.

"Niemand interessiert sich dafür, dass diese Menschen wortwörtlich im Dreck schlafen müssen", sagt Summers: "Das sind Menschen, denen es nicht gut geht, und so ein Haus sorgt für ein bisschen Würde." Die Verantwortlichen von Los Angeles sehen das anders, für sie stellen die Häuser eine Gefahr dar, seit darin Waffen und Hinweise auf Drogen und Prostitution gefunden wurden. In der vergangenen Woche wurden einige Häuser konfisziert. Etwa 44 000 Menschen leben auf den Straßen von Los Angeles. Bürgermeister Eric Garcetti hat zwar angekündigt, alle Obdachlosen in den kommenden zehn Jahren in Häusern unterbringen zu wollen. Was er jedoch nicht verrät: Woher die zwei Milliarden Dollar für diesen Plan kommen sollen. "Sie reden nur immer, doch es passiert nichts", sagt Summers.

Alleine 2015 ist die Zahl der Einwohner im Bezirk Los Angeles um knapp 100 000 gestiegen, noch immer träumen zahlreiche Amerikaner von einer Karriere in der Unterhaltungsbranche. Wer es geschafft hat, der zieht in eine der Strandstädte oder in die Hollywood Hills. Wer es noch schaffen will, der zwängt sich in die Mini-Wohnungen im Süden oder Osten der Stadt. Wer es nicht schafft, der wird obdachlos. "Das kann schnell passieren", sagt Summers, der selbst obdachlos war." Er will seine Haus-Idee nicht aufgeben, kurzfristig hat er den Obdachlosen nun Zelte geschenkt: "Die Stadt hat keine Alternative angeboten, sondern die Leute einfach zurück in den Dreck getreten."

Jürgen Schmieder

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Tokio: Unkontrollierter Wildwuchs in alle Richtungen

Kandidatenstadt Tokio 2020

Quelle: dpa

Tokio wuchert nach allen Richtungen, auch in die Höhe und sogar in die Bucht von Tokio, wo neue Inseln aufgeschüttet werden. Obwohl Japan jährlich 200 000 Einwohner verliert, weil mehr Alte sterben als Kinder geboren werden, frisst sich der größte Ballungsraum der Welt mit 38 Millionen Menschen scheinbar planlos und unkontrolliert ins Umland. Japan ist sehr zentralisiert, Tokio bläht sich auf, die Provinz entvölkert sich. Die Arbeitswege der Japaner, die im Großraum Tokio leben, werden deshalb immer länger. Andererseits bestehen zentrale Viertel von Tokio bis heute aus winzigen Einfamilienhäuschen von lausiger Bausubstanz. Japans Hauptstadt bräuchte dringend mehr Stadtplanung. Kaum zu glauben, dass einige der weltbesten Architekten Japaner sind, dass Japans Städte historisch harmonische Einheiten bildeten, und dass das Land in Wirklichkeit über differenzierte Städteplanungsgesetze verfügt.

Doch die Bauindustrie ist eng mit der Verwaltung und der Regierungspartei verbandelt, deren Bewilligungsverfahren sind undurchsichtig. Überdies ist Grundbesitz in Japan fast unantastbar: Wenn Besitzer nicht verkaufen wollen, hat die Stadt keine Handhabe, einen Masterplan durchzusetzen. Zuweilen weiß man gar nicht, wem ein Grundstück wirklich gehört, weil die weit verstreuten Erben das Grundbuch nicht nachführen ließen. So wird um baufällige, zuweilen leer stehende Katen herumgebaut. Die Japaner erklären ihr städtebauliches Chaos und die schlechte Bausubstanz mit der Eile in der Nachkriegszeit, mit der sie ihr Land wiederaufbauten. Dabei ist von jenem Tokio, das in den Fünfzigerjahren wiederaufgebaut wurde, nur wenig erhalten. Wenn ein Gebäude 30 oder 40 Jahre alt ist, wird es meist abgerissen. Japan hat wenig Respekt für alte Bausubstanz, fast nur Tempel und Schreine werden erhalten. Bauherren nehmen auch kaum Rücksicht auf die urbane Umgebung: Die ändere sich ja ohnehin bald. In Tokio herrscht ein baulicher Wildwuchs - für eine Nation, deren Bevölkerung gar nicht mehr wächst.

Christoph Neidhart

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Bogotá: Ein Wald ohne Bäume

Protests in Bogota against local Government

Quelle: dpa

Vor 80 Jahren wohnten in Bogotá etwa 350 000 Menschen, heute sind es mehr als sieben Millionen. Sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, im Stau zu stehen. Kolumbiens Hauptstadt liegt wie ein langer Teppichläufer zwischen den Kordilleren der Anden und dem schwer verschmutzten Río Bogotá, sie weiß nicht so recht, wo sie hinwachsen soll. Sie gehört schon jetzt zu den am dichtesten besiedelten Großstädten der Welt. Laut Bürgermeister Enrique Peñalosa wird sich die Bevölkerung in den kommenden 40 Jahren aber noch einmal fast verdoppeln. Er hat deshalb einen Entwicklungsplan verkündet, dem man nicht ganz gerecht wird, wenn man ihn als Stadterweiterung beschreibt. Es handelt sich eher um den Bau von Bogotá 2. Peñalosa nennt sein Projekt "Ciudad Paz" (Friedensstadt), darüber wird jetzt allerdings heftig gestritten. Der Bürgermeister will in den kommenden Jahrzehnten 18 000 Hektar urbanisieren, dafür soll auch ein Naturschutzgebiet namens "Thomas van der Hammen" weichen. Dagegen laufen nicht nur Umweltschützer Sturm. Bogotá ist umgeben von grünen Bergen und Tälern, aber die Stadt selbst ist eine Betonwüste. Auch deshalb wurde La Van der Hammen vor wenigen Jahren unter Schutz gestellt, es sollte "der größte Stadtwald Amerikas" entstehen. Peñalosa sagt, es handle sich um den einzigen Wald der Welt, in dem es keine Bäume gebe. Tatsächlich sind große Teile des Gebietes bebaut, mit Fabriken, einem Friedhof oder einer Autobahn. Gestritten wird nun, ob demnächst ein paar Tausend Bäume oder ein paar Tausend Neubauwohnungen dazukommen.

Boris Herrmann

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Paris: Die Renaissance der Dienstmädchen-Zimmer

Paris erwartet nach Anschlägen einen touristischen Frühling

Quelle: dpa-tmn

Auf engstem Raum zu leben, das gehört zur Pariser art de vivre: Mit mehr als 21 000 Bewohnern je Quadratkilometer - gut das Vierfache von München - ist die französische Hauptstadt die am dichtesten bevölkerte Metropole Europas. Viel Platz für zusätzlichen Wohnraum bleibt da nirgendwo, zumal Hochhäuser in der "Stadt des Lichts" als verpönt gelten. In Betonburgen wohnen nur jene Millionen Normalverdiener, die sich die überteuerten Pariser Mieten von knapp 30 Euro pro Quadratmeter bei Neu-Einzug nicht leisten können und deshalb in die Banlieues gezogen sind. "Intra-muros", also innerhalb des Autobahnrings der Périphérique, stagniert die Einwohnerzahl seit vier Jahrzehnten bei zirka 2,2 Millionen - derweil der Großraum Paris von acht auf zwölf Millionen anwuchs.

Mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen - das verheißen alle Lokalpolitiker. Die Sozialistin Anne Hidalgo, seit April 2014 Hausherrin im prächtigen Pariser "Hotel de Ville", hat versprochen, jährlich 10 000 neue Wohnungen zu schaffen (davon 7000 Sozialwohnungen). Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Bürgermeisterin vor allem auf ein Mittel: Sie will Eigentümer leer stehender Apartments mit Zuschüssen animieren, heruntergekommenen oder veralteten Wohnraum zu renovieren und neu zu vermieten. Große Dinge verspricht sich Hidalgo dabei von kleinen Zimmern unterm Dach: den früheren "Chambres de Bonne", jenen Zimmern für Dienstmädchen, wie sie vor allem in großbürgerlichen Häusern aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich waren. Mehr als 110 000 solcher Dachkammern haben Experten gezählt - und davon werden bisher nur 15 Prozent als vollwertige Bleibe genutzt. Doch die engen Schlafzimmer widersprechen oft den aktuellen Vorschriften: Das Gesetz verlangt mindestens neun Quadratmeter Wohnfläche inklusive Waschgelegenheit. Welche Fügung der Wohnungsnot: Eine linke Stadtverwaltung hilft bei der Umrüstung der Dachgeschosse entlang der feinsten Boulevards, um ausgerechnet in den schicksten Arrondissements preiswerte Apartments zu schaffen - samt Ausblick.

(Illustrationen: SZ)

Christian Wernicke

© SZ vom 10.03.2016/vewo
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