Stadtviertel:Die Au hat mehr zu bieten als nur die Dult

Stadtviertel: Cafés in der Lilienstraße laden zum Verweilen ein.

Cafés in der Lilienstraße laden zum Verweilen ein.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Au stieg einst von einer unspektakulären Vorstadt zum beliebten Münchner Stadtviertel auf. Heute trifft hier traditionelles Handwerk auf hippe Cafés.

Von Ingrid Weidner

Über die Lilienstraße fuhr die königliche Jagdgesellschaft einst nach Grünwald, heute geht es dort ruhiger zu - außer es findet gerade die Auer Dult statt. Ihren Anfang nimmt die Straße gleich nach der Ludwigsbrücke stadtauswärts. Dort zweigt die Zeppelinstraße ab, die parallel zur Isar verläuft. Linker Hand folgt die Lilienstraße der alten Hauptstraße durch die Au, die einst über Giesing nach Holzkirchen führte.

Auf der linken Straßenseite reihen sich zwei- bis dreigeschossige Häuser aus dem 18. Jahrhundert dicht aneinander, die meisten mit einem Laden im Erdgeschoss. In einen dieser Läden zog 2015 die Anton Doll Holzmanufaktur ein. In den hellen Räumen warten Hocker, Tische, Bänke oder Brotzeitbretter auf Kundschaft. Doch Anton Doll sei leider nicht zu sprechen, sagt Jürgen Klanert, einer der beiden Geschäftsführer.

Freundlich und geschäftstüchtig erzählt er vom Konzept des Ladens, den von ihm und seinem Geschäftspartner Robert Häusl entworfenen Möbel, die sie in einer Schreinerei in Bosnien in Handarbeit anfertigen lassen. Häusl, der zweite Kopf hinter dem Konzept, verbrachte als Kind viel Zeit in der Werkstatt seines Großvaters, eines Huf- und Wagenschmieds. Von ihm lernte er den Wert guten Handwerks kennen. Studiert hat Häusl Elektrotechnik; das Tüfteln gab er nie auf. Gemeinsam mit dem Informatiker Klanert, der sich um Marketing und den Online-Shop kümmert, entwirft er die Möbel. Benannt ist der Laden nach Häusls Großvater, Anton Doll.

Viele Ideen für neue Möbel entstehen in der "Denkwerkstatt", wie das im selben Gebäude liegende Büro heißt. Über die B-Lage des Ladens ist Klanert nicht so glücklich, denn er wünscht sich mehr Laufkundschaft, auf die neben Accessoires aus Holz auch Vasen und andere kleine Einrichtungsgegenstände warten. Doch drei Mal im Jahr verwandelt sich die Lilienstraße in eine A-Lage, nämlich zur Auer Dult.

Entstanden ist die Au durch Anschwemmungen der Isar. Bis Mitte des 15. Jahrhunderts lebten dort nur wenige Menschen, im Jahr 1583 zählte man 127 Steuerzahler. Die sandigen Böden eigneten sich nicht für die Landwirtschaft, und die Hochwassergefahr erschwerte die Besiedlung. Dorthin vor den Toren der Residenzstadt München zogen zunächst Fischer und Jäger, später Handwerker und Arbeiter. 1832 wurde die Reichenbachbrücke gebaut, finanziert von den Bürgern der Au. Schließlich wurde die Vorstadt Au 1854 zusammen mit Giesing und Haidhausen eingemeindet. Die Lilienstraße erhielt 1857 wegen ihrer Lage unterhalb des Lilienbergs ihren Namen. Drei Lilien schmücken auch das Wappen der Au.

Neben den bescheidenen Anfängen spiegelt die Bebauung auch die späteren, städtischen Strukturen. Den zwei- bis dreigeschossigen Häusern gegenüber ragt ein sechsgeschossiges Eckhaus mit der Hausnummer 2 in den Himmel. Die Dachwohnung mit der Glaspyramide soll einmal eine der teuersten Wohnungen Münchens gewesen sein, erzählen Nachbarn. Das 1895/96 als Baugruppe mit Lilienstraße 4, 6 und 8 und Zeppelinstraße 79, 81 und 83 im Stil des Neubarock errichtete Gebäude bildet ein galantes, großstädtisches Entree der Straße.

Stadtviertel: Gründerzeitwohnhäuser und Geschosswohnungsbau wechseln sich entlang der Lilienstraße ab.

Gründerzeitwohnhäuser und Geschosswohnungsbau wechseln sich entlang der Lilienstraße ab.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Seit November 1910 beheimatet das Erdgeschoss die Museum Lichtspiele, das zweitälteste Kino Münchens. Eröffnet wurde es von Carl Gabriel, der auch das älteste Kino, die Gabriel-Lichtspiele, in der Dachauer Straße drei Jahre zuvor eröffnet hatte. Heute beherbergt das Erdgeschoss vier Kinosäle mit etwas angestaubtem Charme. Seit den 80er-Jahren treffen sich dort am Wochenende auch die Fans der "Rocky Horror Picture Show" und feiern das Rockmusical mit Reis und Kostümen.

Gründerzeitwohnhäuser und Geschosswohnungsbau wechseln sich entlang der Straße ab. Im Frühling fallen die vielen blühenden Bäume auf. Auch vor dem Café Blá von Stephanie Bjarnason in der Lilienstraße 34 blüht und grünt es. Ende Oktober vergangenen Jahres eröffnete sie ihr Café. In die Au habe sie der Zufall geführt, doch sie wirkt recht glücklich darüber. 2005 kam sie aus Island zum Maschinenbau- und Logistikstudium nach München. Den Traum vom eigenen Café trug die Ingenieurin eine Zeit lang mit sich herum, ein Jahr tüftelte sie, ohne zu wissen, ob und wo sie es umsetzen konnte.

Kitsch und Krempel auf dem Mariahilfplatz

"Das Konzept für das Café stand zu 80 Prozent, als mich ein befreundeter Architekt auf das Haus in der Au aufmerksam machte", sagt Bjarnason. Als sie die großen Fenster im Erdgeschoss sah und den blauen Anstrich des Gebäudes, verwandelte sich ihr Traum in ein konkretes Projekt. Blá heißt im Isländischen blau. Alles im Raum, von den Kaffeetassen über die Stühle und Tische, trägt die Handschrift von Stephanie Bjarnason, selbst die mit blauen Farbfeldern gestaltete Wand. "Wir haben ein Wochenende daran gearbeitet", erzählt sie. Entstanden ist eine Hommage an die Konzerthalle Harpa in Reykjavík, deren Kacheln der Künstler Ólafur Elíasson gestaltete. Einem Gast sei das schon aufgefallen, freut sich die Cafébesitzerin.

In dem Tagescafé sollen sich Stammgäste aus der Nachbarschaft genauso wohlfühlen wie Besucher des Deutschen Museums um die Ecke, die einen kleinen Umweg über die Lilienstraße machen. "Mein Café steht allen offen. Kaffee verbindet, damit eröffnet sich eine Welt", sagt die Isländerin. Der Gastraum soll Ruhe ausstrahlen, ganz egal, ob die Gäste fünf Minuten oder zwei Stunden dort verbringen. Die Kuchen und Waffeln werden in der angeschlossenen Küche selbst gemacht, nun kommen Salate und Sandwiches dazu. Ihr Wissen um Logistik komme ihr in der Planung zu Gute, erzählt Bjarnason. "Das Produkt muss einfach sein", sagt sie, und meint damit sowohl das Konzept des Cafés als auch das Angebot. Kommen viele Gäste auf einmal, hilft sie selbst mit. Das "Du" gilt für alle Gäste, da möchte Stephanie keinen Unterschied machen, auch das ein Mitbringsel aus Island.

Vielleicht kommen auch einige Gäste des "Wirtshauses in der Au" auf einen Kaffee herüber. In dem mächtigen Renaissancebau gibt es seit 1901 eine Gaststätte, unter dem jetzigen Namen werden seit 1993 Knödel und Bier serviert. Schräg gegenüber vom Wirtshaus haben Rolf Günther und Max Schulze-Sölde ihr Architekturbüro, die Schreibtische verstecken sich hinter vielen Sammelstücken. Neben Hochbau, Innenarchitektur, Produkt- und Grafik-Design sammeln beide leidenschaftlich "skurrile Sachen aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren", erzählt Rolf Günther. Im Schaufenster stehen Sessel, im Innern des Geschäfts, das an zwei Tagen in der Woche geöffnet hat, brauchen Besucher echten Spürsinn, denn es gibt viel zu entdecken.

Das dritte Standbein des Büros sind selbst entworfene Möbel. Mehr als 40 Entwürfe gebe es schon, verrät Günther, der Prototyp eines Tisches steht zwischen Leuchtreklametafeln und einem Karussell im Laden. "Wir lassen uns von alten Entwürfen inspirieren", sagt Innenarchitekt Günther und zeigt auf zwei Stapel mit Büchern und Katalogen, in denen sie sich Ideen holen. In dem ehemaligen Lebensmittelladen in der Lilienstraße gefalle es ihnen gut, erzählt Schulze-Sölde. Nach der Nachbarschaft gefragt: "Hier ist alles sehr dörflich, es leben noch viele ältere Bewohner in der Straße, hier ist die Welt noch in Ordnung", meint Schulz-Sölde und verschwindet wieder, denn eines der großen Objekte aus dem Laden soll für einen Kunden verladen werden.

Lesestoff für Einheimische und Gäste

Historisches und Aktuelles über die ehemalige Vorstadt Au finden Interessierte in dem neuen Band der schwarzen Reihe "Au Reiseführer für Münchner" von Franz Schiermeier. In dem Band mit vielen historischen Karten und Fotos lässt sich Wissenswertes nachlesen. Man kann auch einen Rundweg durch die Au jenseits der viel befahrenen Straßen planen, beispielsweise entlang der Bäche, vorbei an ehemaligen Herbergshäusern oder schmalen Gässchen. Natürlich widmet der Autor Schiermeier auch dem bekanntesten Kind der Au, Karl Valentin, eine Doppelseite; der Komiker wurde dort 1882 als Valentin Ludwig Frei geboren.

Franz Schiermeier: Au Reiseführer für Münchner. Franz Schiermeier Verlag, im Herbst 2016 erschienen, 200 Seiten, 16,90 Euro.

Wer weiter durch die Lilienstraße schlendert, kommt direkt zum Mariahilfplatz. Drei Mal im Jahr bauen dort Händler und Schausteller ihre Buden zur Auer Dult auf. Dann verändert sich auch der dörfliche Charakter der Au, und die Münchner strömen über die Isar in die ehemalige Vorstadt.

Neben Karussellen, Töpfen, Geschirr und Kulinarischem gibt es allerlei Kitsch und Krempel auf dem Mariahilfplatz. Auch Bücherliebhaber finden dort seit einiger Zeit eine Anlaufstelle, denn die Münchner Bücherdienste sind mit einer umfangreichen Auswahl an MünchenBüchern vertreten, die sich der Geschichte, Kunst, Kultur und Architektur der Stadt widmen.

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