Stadtrat München:Das große Schweigen

Die Grünen bleiben blass, die ÖDP manövriert sich ins Aus, die Bürgerliche Mitte findet keine Linie: Die zersplitterte Opposition im Münchner Rathaus tut sich auch mehr als ein Jahr nach der Kommunalwahl schwer, gegen die schwarz-rote Übermacht Akzente zu setzen

Von Andreas Glas und Dominik Hutter

Vergangene Woche ist es tatsächlich passiert. Ein leises Rumpeln im Mikrofon, dann sprach Richard Progl von der Bayernpartei. Erst im Kreisverwaltungsausschuss, anschließend im Finanzausschuss - und einen Tag später im Plenum. Die Stimme wirkte fremd. Man kennt sie kaum, weil der 34-jährige Betriebswirt normalerweise stumm dasitzt. "Jetzt ist er in der Vollversammlung angekommen", sagt Johann Altmann, der Fraktionschef der Bürgerlichen Mitte, zu der auch die Bayernpartei gehört. Altmann meint seine Aussage ernst, auch wenn Progl schon seit gut viereinhalb Jahren im Stadtrat sitzt und schweigt. Anlaufschwierigkeiten? Ein CSU-ler urteilt härter: "Der sieht das, glaube ich, recht gemütlich." Echte Opposition sieht anders aus.

"Opposition? Gibt's die noch?", flachst ein führender Sozialdemokrat. Es ist als Scherz gemeint, hat aber einen wahren Kern. 51 von 81 Sitzen kann das Bündnis aus CSU und SPD für sich beanspruchen, den Oberbürgermeister miteinberechnet. Ein stolzer Trupp, der sich um Mehrheiten keine Gedanken machen muss. Die verbleibenden 30 Sitze der Opposition verteilen sich auf drei Fraktionen, zwei Ausschussgemeinschaften und einen Rechtsradikalen, mit dem keiner etwas zu tun haben will. Patchwork im Rathaus. Ganz zerfleddert wird es, wenn man alle Oppositionsparteien einzeln zählt - ohne die Bündnisse, die oft reine Zweckgemeinschaften sind: Elf sind es, plus Josef Assal, der eigentlich per SPD-Ticket ins Rathaus gereist ist, nun aber zu Altmanns Bürgerlicher Mitte gehört. Zwölf Parteien und Gruppierungen für 30 Sitze. Da wirken die 14 Stadträte von Grünen und Rosa Liste schon wie eine Großmacht.

Kein Wunder, dass gerade konservativere Stadträte den Zeiten hinterhertrauern, als noch eine 22-köpfige CSU-Fraktion die Opposition anführte. Aber auch das Dahinscheiden des rot-grünen Bündnisses hat den Stadtratsdebatten viel Schärfe genommen. Bei Schwarz-Rot sei "die Angriffsfläche nicht mehr so extrem wie bei Rot-Grün", hat Michael Mattar (FDP) festgestellt, der als Frontmann der Fraktion "Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung" (FTB) unbestritten zu den Aktivposten zählt. Die CSU setze andere Themen als die frühere Regierungspartei Grüne, sagt auch Altmann, der einst von den Christsozialen zu den Freien Wählern wechselte. "Dadurch sind wir ein bisschen zahnloser geworden."

Dieses Problem dürften die Grünen eigentlich nicht haben - gerade im Verkehrsbereich haben die CSU wie auch der einstige Koalitionspartner SPD Vorlagen geliefert, die einer erklärten Radl-Partei wie gerufen kommen. Dass es trotzdem eher zahm zugeht in den Sitzungssälen, führen die meisten Beobachter darauf zurück, dass die Grünen enorme Schwierigkeiten haben, in der Oppositionsrolle anzukommen. Die Stadt schlecht reden können sie ja nicht - dazu haben sie selbst viel zu lange mitregiert. Und das schwarz-rote Bündnispapier, das die neue Mehrheit in den ersten Monaten anpackte, ist während der Koalitionsverhandlungen noch mit grüner Mitwirkung verfasst worden - auch das lässt sich also nur schwer in Bausch und Bogen verdammen. Inzwischen, so meint Fraktionschef Florian Roth, haben sich die Grünen mit der Oppositionsbank angefreundet. Vor allem in puncto Verkehr und Bürgerbeteiligung wollen sie klare Kante zeigen. "Wir sehen uns als klare Oppositionsführer", sagt Roth.

Die Rathaus-Kollegen beurteilen das grüne Wirken weniger euphorisch. "Extrem schwach bis inkonsistent", sei das bisher, ist aus der CSU zu hören. Nebst dem Tipp, die Grünen sollten am besten zwei Jahre lang eine Art konstruktive Opposition machen "und dann langsam einen aggressiveren Schwenk hinbringen". Ein Oppositionsmann ist überzeugt: "Die haben noch nicht verinnerlicht, dass sie nichts mehr zu sagen haben." SPD-Fraktionschef Alexander Reissl, der im einstigen rot-grünen Bündnis als Grünenfresser galt, lobt immerhin den Fleiß der Grünen beim Antragstellen. Ihre Rolle hätten sie jedoch noch immer nicht gefunden.

Das ist bei der FTB, der zweitgrößten Oppositionsfraktion, anders - schon weil lediglich der frühere Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch über Regierungserfahrung verfügt. Mattar gilt seit Langem als Premium-Oppositioneller, selbst politische Gegner loben seine Argumente und Ideen. Dennoch ist in Zeiten der leisen Opposition auch Mattars Stimme weniger durchdringend als noch vor den Wahlen 2014. Dabei hat sich der überzeugte FDP-Großstädter doch eine ziemlich illustre Runde zusammengeschreinert. Die FTB besteht aus FDP, Piraten und dem wohl interessantesten Phänomen des jüngsten Wahlkampfs: der Wählergruppe Hut, die inzwischen viel von ihrem Zauber verloren hat. Aus einem einfachen Grund: Die politische Wirkung des Hut-Stadtrats Wolfgang Zeilnhofer-Rath ist am ehesten mit der des Piraten (und Ex-FDP-lers) Thomas Ranft zu vergleichen - und die wiederum mit der des Kollegen von der Bayernpartei. Allerdings sitzen Zeilnhofer-Rath und Ranft noch nicht so lange im Stadtrat wie Progl. "Ohne Mattar wäre die Fraktion blass", sagt ein politischer Konkurrent. "Er ist der Motor." Für ziemlich blass halten viele im Rathaus auch die Bürgerliche Mitte, die ebenfalls sehr stark auf eine einzige Person zugeschnitten ist: Johann Altmann. Frische, vielleicht sogar freche Akzente kommen von dieser Seite nie. Die Vier-Personen-Fraktion sagt einfach mal hier Ja, mal dort Nein und wünscht sich ansonsten einen neuen Konzertsaal.

30 Sitze

30 Sitze hat die Opposition seit der Kommunalwahl 2014 im Rathaus - ziemlich überschaubar. CSU und SPD verfügen hingegen über 50 Sitze, dazu kommt noch der Oberbürgermeister. Die Opposition tut sich traditionell schwer gegen große Koalitionen. Noch schwieriger aber wird es, wenn sich ihre wenigen Stimmen auf drei Fraktionen, zwei Ausschussgemeinschaften und einen Rechtsradikalen verteilen.

Vor der Wahl war das anders, da setzte zumindest der ÖDP-Einzelkämpfer Tobias Ruff immer wieder ein paar Öko-Akzente. Die ÖDP hat jedoch seit ihrem Ausscheiden aus der Bürgerlichen Mitte enorm an Reputation und Einfluss verloren - obwohl sie nun zwei Stadträte stellt. Der peinliche Rückzug aus den Koalitionsgesprächen mit Rot-Grün und dann noch die Causa Hollemann haben die ÖDP nach Einschätzung weiter Teile des Stadtrats völlig ins Abseits katapultiert. Wobei weniger die Personalie Markus Hollemann, der als Gesundheitsreferent kandidiert hatte, als vielmehr die Reaktion auf dessen Scheitern den Ausschlag gab: Statt klarer Worte zu den höchst zweifelhaften Vereinen auf Hollemanns Förderliste kamen von der ÖDP nur weinerliche Schuldzuweisungen an Politiker und Medien, es habe eine Rufmordkampagne gegeben.

Die ÖDP ist seit der Kommunalwahl mit einem ungleichen Partner in einer Ausschussgemeinschaft liiert: mit den Linken, deren Frontfrau Brigitte Wolf einen besonderen Ruf genießt. Obwohl im Stadtrat nur wenige ihre politische Haltung teilen, ist sie praktisch überall als kompetente, fleißige und angenehme Kollegin geschätzt. Linke und ÖDP stimmen gerne gemeinsam ab - oft auch zusammen mit den Grünen.

Weniger wohlgelitten ist die AfD - wobei man genauer sagen muss: Andre Wächter und Fritz Schmude. Die beiden haben nur sehr wenig gemeinsam, symbolisieren dafür aber nahezu perfekt die Pole ihrer Partei. Wächter ist der Banker mit Euro-Phobie, Schmude der Rechtspopulist mit Angst vor dem Islam. Richtig rathaustauglich sind beide Themen nicht: Das eine gehört in den Bundestag, das andere rückt die AfD in die Nähe rechtsradikaler Kreise. Die Ausschussgemeinschaft der AfD mit der Bürgerlichen Mitte ist ebenso umstritten wie zweckorientiert - politisch entfaltet sie keine Wirkung.

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