Stadtgestaltung:München bekommt einen neuen Bach - mitten in der Altstadt

Stadtgestaltung: Der Westliche Stadtgrabenbach könnte nach mehr als einem Jahrhundert bald wieder an der Oberfläche fließen.

Der Westliche Stadtgrabenbach könnte nach mehr als einem Jahrhundert bald wieder an der Oberfläche fließen.

(Foto: Ingenieurbüro Patscheider und Partner)
  • Der historische Stadtgrabenbach soll auf 300 Metern Länge wieder an die Oberfläche geholt werden.
  • Derzeit fließt das historische Gewässer in vier Metern Tiefe unter der Herzog-Wilhelm-Straße.
  • CSU und Grüne befürworten das von der Umweltorganisation Green City vorgestellte Projekt.

Von Thomas Anlauf

Ganz leicht ist es nicht, den alten Stadtgrabenbach zu Gesicht zu bekommen. Da müssen schon ein paar starke Männer her, die einen ganz bestimmten Gullydeckel am Sendlinger Tor herauswuchten - erst dann sieht und hört man ihn in der Tiefe rauschen. Vier Meter unter der Erde liegt heute der historische Kanal, der jahrhundertelang entlang der alten Stadtmauer floss. Noch immer strömen auf 175 Kilometern Länge Stadtbäche unterirdisch durch München. Doch der Westliche Stadtgrabenbach könnte nun tatsächlich wieder auf einem Teilstück inmitten der Altstadt an die Oberfläche gebracht werden.

Martin Glöckner steht vor dem offenen Gullydeckel und blickt in die Tiefe. Der Geschäftsführer der Münchner Umweltorganisation Green City denkt mit seinem Team schon seit knapp drei Jahren darüber nach, wie Münchner Bäche wieder an die Oberfläche geholt werden können. "Stadtbäche steigern nicht nur die Aufenthaltsqualität, sondern kühlen außerdem das Umgebungsklima auf natürliche Weise", sagt Glöckner. Für den Westlichen Stadtgrabenbach, der unter der Herzog-Wilhelm-Straße in Richtung Norden zum Hofgarten fließt, hat Green City deshalb eine Machbarkeitsstudie vom Ingenieurbüro Patscheider und Partner erstellen lassen. Das Ergebnis der Studie klingt vielversprechend: Mithilfe von zwei Wasserturbinen und einer Pumpe könnte auf etwa 300 Metern Länge ein neuer Bachlauf in der Grünanlage zwischen Sendlinger Tor und Josephspitalstraße entstehen.

Ingenieur Mathias Hochschwarzer ist überzeugt davon, dass dieses Prinzip nicht nur funktioniert, sondern auch noch wirtschaftlich ist. Er hatte im Auftrag von Green City verschiedene Varianten geprüft, wie ein Teil des Bachwassers an die Oberfläche gepumpt werden könnte. Ein sogenannter Hydraulischer Widder, wie in Klaus Bäumler vom Münchner Forum bereits vor drei Jahren ins Gespräch gebracht hatte, wäre zwar nicht geeignet, da diese Art der Pumpe in dem dicht bebauten Straßenraum zu laut arbeiten würde.

Zwei kinetische Turbinen, die in dem schnell fließenden Bach eingebaut werden könnten, würden mehr als genügend Energie produzieren, um einen Teil des Bachwassers an die Oberfläche zu pumpen. Etwa drei Prozent des Wassers würden laut Hochschwarzer genügen, um einen Bachlauf zu schaffen, der einen guten halben Meter breit und ebenso tief wäre und sich durch die Grünanlage schlängeln könnte. "Die Installation würde nur etwa 100 000 Euro kosten", sagt der Ingenieur. Im laufendem Betrieb würden dann eigentlich keine Kosten mehr anfallen, da die Turbinen den Strom für die Pumpe liefern.

Theoretisch wären auf dem Abschnitt sogar bis zu acht Turbinen einsetzbar, was schon einem kleinen Wasserkraftwerk gleichkäme. Die Feldafinger Firma "Smart Hydro Power" hat in den vergangenen drei Jahren eine derartige Turbine im Auer Mühlbach auf Höhe der Kraemer'schen Kunstmühle getestet - mit Erfolg, wie das Unternehmen am Donnerstag bestätigte. Auch Wissenschaftler der TU München waren an dem Versuchsprojekt beteiligt.

Dass der Westliche Stadtgrabenbach nun nach mehr als einem Jahrhundert wieder an die Oberfläche geholt werden wird, ist angesichts der Machbarkeitsstudie, die von Green City Energy finanziert wurde, ziemlich aussichtsreich. Bereits vor zwei Jahren hatten die Grünen im Stadtrat gefordert, den Bach zumindest stellenweise wieder oberirdisch fließen zu lassen. Nun hat auch die CSU-Fraktion einen erweiterten Antrag gestellt.

"Ich habe die Idee in der Fraktion eingebracht und es war eine große Begeisterung zu spüren", sagte CSU-Stadtrat Sebastian Schall am Donnerstag. Er persönlich könne sich vorstellen, nicht nur den Stadtgrabenbach wieder sichtbar zu machen. Auch Grünen-Stadtrat Florian Roth ist von der Machbarkeitsstudie angetan: "Bei uns hat man damit offene Tore eingerannt." Er hält einen Grundsatzbeschluss für das Projekt bereits in diesem Jahr für möglich. Denn gemeinsam mit der CSU und der ÖDP würde es bereits für eine Mehrheit im Stadtrat reichen. Doch auch die SPD hatte in der Vergangenheit bereits signalisiert, dass sie sich vorstellen könnten, einen der alten Stadtbäche wieder erlebbar zu machen.

Der Bach würde nicht nur den bislang kaum genutzten Park deutlich attraktiver machen, der Wasserlauf würde auch zu einem besseren Mikroklima beitragen und im Sommer die Umgebung deutlich kühlen. Eine Unwägbarkeit bleibt jedoch: Die Stadtwerke nutzen den Stadtbach als Lieferant für ihr Kältenetz. Wenn ein Teil des Wassers an die Oberfläche geleitet würde, könnte der Bach insgesamt aufgeheizt werden. Doch "die Entnahme wäre so gering, dass es wohl nicht groß schaden würde", glaubt Jens Mühlhaus, Vorstand Green City Energy. Für ihn ist das Projekt auch deshalb so spannend, weil der Betrieb des neuen Stadtbächleins dank der Turbinen "völlig energieautark und umweltverträglich zu realisieren wäre".

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