Stadtgeschichte:Als München noch ein lustiges Dörflein war

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Vom Badehaus am Rosental über den ersten Tanzsalon auf der Praterinsel bis zum Disco-Irrsinn im Yellow Submarine: Ein neues Buch zeichnet die Geschichte verschwundener Vergnügungsstätten nach.

Von Franz Kotteder

Ausgehführer für München gibt es ja beinahe ohne Zahl. Wer wissen will, wo er sich in der Stadt amüsieren kann, hat also kein Problem. Dafür gab es bisher kein Buch zur Frage, wohin man in München zu ebendiesem Zweck nicht (mehr) hingehen kann. Diese Lücke ist nun endlich auch geschlossen. "Aus is und gar is" heißt das Buch aus dem Allitera-Verlag, der laut Untertitel "Wirtshäuser, Theater, Cafés, Nachtclubs und andere verlorene Orte Münchner Geselligkeit" behandelt.

Der Autor kennt nicht wenige dieser Etablissements noch aus eigener Anschauung. Karl Stankiewitz, Jahrgang 1928, ist seit 1947 als Reporter in der Stadt unterwegs (auch für die SZ) und zieht seit bald 20 Jahren in vielen München-Büchern gewissermaßen die Bilanz seines Lebenswerks. Man könnte in Anlehnung an die Lucky-Luke-Comics auch sagen: Er ist der Mann, der schneller schreibt als sein Schatten. Auf alle Fälle kann er inzwischen ein beeindruckendes Werk über die städtische Zeitgeschichte vorweisen, wofür er kürzlich auch mit der Medaille "München leuchtet" in Silber ausgezeichnet wurde.

Stadtgeschichte
:Verlorene Orte Münchner Geselligkeit

Badehäuser, Tanzcafés, Discos: München spielte einst bei den Vergnügungsstätten ganz vorne mit.

"Aus is und gar is" ist ein recht umfangreiches Kompendium von Münchens einstiger Größe auf dem Gebiet der Vergnügungsstätten geworden. Beginnend bei den mittelalterlichen Badehäusern am Rosental, in der Dultstraße und am Unteranger, die mutmaßlich eher Bordelle waren als Reinlichkeitsanstalten, erzählt Stankiewitz anhand herausragender Beispiele eindrücklich, wie sich die Münchner einst die Zeit vertrieben, sofern sie nicht arbeiten mussten.

Anfang des 19. Jahrhunderts taten sie das zum Beispiel auf der Praterinsel. Dort hatte der Gastwirt Anton Gruber schon 1810 ein "lustiges Dörflein" aufgebaut, sein Sohn Georg errichtete später neben zahlreichen anderen Attraktionen den ersten Tanzsalon der Stadt. Und ging, nach einem verheerenden Isarhochwasser 1848, ins Kloster. Das sind Schicksale!

1810 war überhaupt so ein Schlüsseljahr: Neben dem Prater fand auch das erste Oktoberfest statt, das Tivoli am Englischen Garten wurde gegründet, und beim Schloss Biederstein baute Carl von Fischer ein Belvedere, also eine Art Aussichtspavillon. Nichts ist davon übrig geblieben, sowohl das alte als auch das neue Schloss Biederstein sind ebenso verschwunden wie das Belvedere.

Werden die heutigen Kultstätten auch so in Erinnerung bleiben?

Nun sind das - wie auch das berühmte Café Stefanie, das Colosseum oder das Apollotheater - alles Einrichtungen, an die sich selbst Stankiewitz nicht mehr erinnern dürfte. Weshalb der nicht minder interessante Part des Buches nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt. Angefangen von den alten Bierkellern wie dem Mathäserbräu am Stachus bis hin zu den Kabaretts Die kleine Freiheit und der Schaubude, vom Kino Türkendolch bis zu den Jazzclubs Birdland, Allotria und Alte Burg - alles Orte, die die Überlebenden heute erst so richtig in ihrer Bedeutung erkennen. Damals waren das alles ganz normale Lokale, in denen man halt seinen Spaß hatte.

Andere stachen wieder deutlich daraus hervor. Das berühmte "Schwabylon" zum Beispiel, bis heute ein Symbol für die Swinging Seventies. Ein knallbuntes Einkaufszentrum mit 100 Boutiquen und 15 Restaurants, einer Kunsteisbahn und anderen Attraktionen, 1973 eröffnet und 1979 schon wieder abgerissen. Direkt daneben stand seit 1971 die Diskothek Yellow Submarine, die zum inzwischen ebenfalls abgerissenen Hotel Holiday Inn gehörte. Neun Meter hoch war sie, auf drei Stockwerken konnte man in einer Stahlkugel speisen und tanzen und durch Bullaugen aus Panzerglas in ein riesiges Aquarium mit einem Fassungsvermögen von 650 000 Liter Meerwasser gucken, in dem doch tatsächlich 40 Haie, kleine Fische und Schildkröten lebten. Auf so etwas muss man erst mal kommen.

Viele bunte Geschichten also aus Zeiten, die alles andere als langweilig waren. Unwillkürlich fragt man sich, ob die Orte, die man heute zu Unterhaltungszwecken so aufsucht, eines Tages tatsächlich auch mal so viel Stoff hergeben? Da bleiben Zweifel.

Karl Stankiewitz: "Aus is und gar is", Allitera-Verlag, 181 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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