Stadtführungen:Münchens Stadtgeschichte, erzählt in Sprichwörtern

Liane Reithofer vor dem Isartor  macht Stadtführungen und verknüpft Redewendungen mit Münchner Geschichte.

Ausflüge in das mittelalterliche München bietet Liane Reithofer den Teilnehmern ihrer Führungen, die sie mit alten Redewendungen spannend zu machen versteht.

(Foto: Florian Peljak)

Bei Liane Reithofers Führungen erfährt man Geschichten "aus dem Nähkästchen" - sie erforscht die Herkunft alter Redewendungen und verortet sie an bestimmten Plätzen in der Stadt.

Von Julia Haas

Erbsenzähler, das ist ein anderer Ausdruck für "Dipfalscheißer", wie der Bayer sagen würde, für einen Menschen also, der es allzu genau nimmt. Für Liane Reithofer ist Erbsenzähler ein geschichtsträchtiges Wort. In ihrer Stadtführung für die Münchner Volkshochschule verknüpft sie solch mittelalterliche Redewendungen mit Münchner Geschichte. Den Erbsenzähler zum Beispiel verortet sie am Isartor.

Und Liane Reithofer hat natürlich die Erklärung parat: Um das Jahr 1480 war der Bau der Frauenkirche in vollem Gang, doch gingen der Kirche langsam die Mittel aus. Deshalb ordnete Papst Sixtus IV. an, dass alle Menschen, die nach München pilgerten, einen Wochenlohn spenden und beichten sollten, um von ihren Sünden freigesprochen zu werden.

Das Ablassgeschäft war für die Kirche damals sehr erfolgreich, und so strömten bald viele Pilger nach München. Die meisten kamen über die alte Handelsstraße, die Salzstraße, und mussten durch das Isartor, um zur Frauenkirche zu gelangen. Um einen besseren Überblick über die Besucherzahlen zu haben, beauftragte der Magistrat einen Mann, für jeden Pilger, der das Tor passierte, eine Erbse in einen Eimer zu werfen. Abends wurden die Erbsen gezählt.

Liane Reithofer ist eigentlich pharmazeutisch-technische Assistentin und arbeitet in einer Apotheke. Stadtführungen sind ihr Hobby, sie bezeichnet sich als Münchnerin aus Leidenschaft und möchte den Teilnehmern ihrer Touren einen neuen Blick auf die Stadt geben. Freilich seien diese Redewendungen nicht alle unbedingt direkt in München entstanden, gibt sie zu: "Wo genau, hat damals ja niemand aufgeschrieben." Reithofer pickte sich deshalb Ausdrücke heraus, recherchierte und verknüpfte sie mit der Stadtgeschichte.

Zur Salzstraße passt für Reithofer beispielsweise auch die Wendung "eine Eselsbrücke bauen". Der Esel sei früher ein gängiges Lastentier gewesen, allerdings schon immer mit einen eigenen Kopf. Deshalb habe er auf seinem Weg zur Stadt auf keinen Fall durchs Wasser laufen wollen. Die Kaufleute und Bauern hätten deshalb eine kleine Brücke über die Isar gebaut, eine erste Vorgängerin der Ludwigsbrücke. Diese Eselsbrücke stehe auch heute noch für eine Hilfestellung, die das Leben leichter macht.

Ein neuer Zugang zur Stadtgeschichte

"Sprache ist einfach spannend", findet Liane Reithofer. Auch im Alltag benutzt sie gerne Sprichwörter. Sie bezeichnet sich als Jägerin und Sammlerin, bei den Recherchen für die Führungen komme sie gerne vom Hundertsten ins Tausendste. Aber Stadtführungen gebe es eben viele, und sie wolle ihren Zuhörern etwas Neues bieten. So kann sie am Start ihrer Tour am Isartor noch ein drittes Wortgebilde verorten: die Torschlusspanik.

Im Mittelalter schlossen die Wächter die Stadttore bei Anbruch der Dunkelheit. Wer nicht in der Stadt lebte, durfte dort nicht übernachten und musste hinaus. Münchner, die auswärts unterwegs waren, mussten sich beeilen, damit sie rechtzeitig zurückkamen, bevor die Tore schlossen. Mit viel Glück half eine Einlassgebühr, wenn sie zu spät kamen. Torschlusspanik kennen die Menschen auch heutzutage noch, allerdings nicht mehr, weil sich ein Stadttor schließen könnte.

Liane Reithofers größter Traum ist es, einmal in die Vergangenheit reisen zu können. "Nur für einen Tag", sagt sie. Sie möchte einfach gerne durch die Straßen schlendern, sehen, wie München damals ausgesehen habe. "Nur für meine Nase wären die Gerüche wahrscheinlich eine Qual", sagt sie, Kanalisation nämlich oder Müllabfuhr waren damals unbekannt.

Geschichtsunterricht sollen die Führungen nicht sein

Bei ihrer Reise in die Vergangenheit könnte sie dann auch gleich nachforschen, wie das mit der Föhringer Brücke wirklich war. Der Überlieferung nach hat Heinrich der Löwe die Brücke abbrennen lassen, die dem Freisinger Bischof Otto gehörte. Damit verbunden waren auch die Einnahmen aus dem Salztransport aus Berchtesgaden, der über diese Brücke führte. Heinrich ließ eine neue Brücke bauen, weiter flussaufwärts, um so die Einnahmen selbst zu kassieren und den Handel durch sein damaliges Lehen München zu schleusen. Im Augsburger Schied regelte Kaiser Friedrich Barbarossa den Streit und sprach München das Marktrecht zu, der Schied gilt deshalb auch als Gründungsurkunde der Stadt. Heinrich musste dem Bischof noch viele Jahre einen Teil seiner Einnahmen abgeben, doch München blühte auf.

Ob der Welfe den Brückenbrand nun wirklich angeordnet hat,und wann genau das gewesen sein soll, darüber streiten sich Historiker. Einig sind sie sich aber, dass Heinrich bei seinem Vetter, dem Kaiser, später in Ungnade fiel, weil er nicht für ihn in Italien kämpfen wollte. "Deshalb steht Heinrichs Zinnstatue im Turm des Alten Rathauses auch mit Blickrichtung aus der Stadt hinaus", sagt Liane Reithofer. Aber dann ist sie wieder bei den alten Redewendungen und erzählt, dass sich die adligen Frauen im Münchner Mittelalter dem Klatsch verschrieben hätten. Dazu hätten sie sich zum Nähen im Alten Hof getroffen. Und dort "plauderten sie aus dem Nähkästchen".

Weiter geht es zum Orag-Haus am Jakobsplatz. Orag steht für Oberbayerische Rohstoff- und Arbeitsgemeinschaft. Münchens Schneider schlossen sich um 1880 zu einer Genossenschaft zusammen, um Waren gemeinsam einkaufen zu können. Auch heute ist in diesem Haus noch das Schneiderhandwerk zuhause. Einkaufen könne dort aber jeder, berichtet Liane Reithofer, man könne selbst die seltensten Knöpfe finden, auch Garn und Zwirn.

Und schon ist sie beim nächsten Sprichwort. Früher arbeiteten die Bauern im Winter nicht auf dem Feld, sondern webten und sponnen daheim. Erst am 17. März, dem Tag der Heiligen Gertrud, ging es wieder aufs Feld. Diese Heilige wurde zur Abwehr von Mäuse- oder Rattenplagen angerufen. Wenn ein Bauer an diesem Tag mit seinen Spinnarbeiten noch nicht fertig war, so behauptete man, dass der Flachs von den Mäusen zerfressen, beziehungsweise der Faden abgebissen worden sei. Daraus könnte sich, vermutet Reithofer, die Redewendung "da beißt die Maus keinen Faden ab" entwickelt haben.

Ihre Stadtführung soll kein fehlerfreier Geschichtsunterricht sein, sie möchte den Teilnehmern ihre Stadt mit anderen Augen zeigen. "Die Redewendungen sind das Sahnehäubchen", sagt sie. Gerade für Touristen ist das Glockenspiel am Marienplatz schon Attraktion genug. Doch auch darüber weiß Reithofer mehr. Das Glockenspiel zeigt das Ritterturnier zwischen Bayern und Lothringen, das zu Ehren der Hochzeit von Herzog Wilhelm V. mit Renate von Lothringen auf dem Marienplatz stattfand. "Bis zu dreimal täglich besiegt hier der bayerische Ritter den lothringischen", sagt Reithofer. Sie erzählt, dass sich bei diesen Turnieren die Ritter mit Rüstung und Visier präsentierten. Wer sich dahinter verbarg, konnte man nicht erkennen. Deshalb stellte ein Herold jeden Reiter mit Pferd vor. Daraus sei die Redewendung entstanden: Nenn mir Ross und Reiter. "Ein bisschen old fashioned vielleicht", gibt Reithofer zu, aber gebräuchlich sei sie noch immer.

Jedem Haus seine Geschichte

Wer mehr über die Münchner Stadtgeschichte erfahren möchte, dem empfiehlt Liane Reithofer einen Spaziergang durch die Burgstraße. "Ich liebe das Haus Nummer 5", sagt sie. Dort war früher die Stadtschreiberei, davor das Weinstadl. Die Fassade ist immer noch aufwendig bemalt, und die Türen sind nach wie vor besonders breit, denn früher fuhren die Weinhändler mit ihren Wagen voller Fässer in das Innere des Hofs.

Als damals in der Burgstraße 5 noch Wein angeliefert wurde, musste immer getestet werden, ob die Ware auch gut war. Wenn nicht, schlug man den Boden aus dem Fass, damit der schlechte Wein auslief. Und schon ist Liane Reithofer wieder bei einer Redewendung: "Das schlägt dem Fass den Boden aus."

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