Stadt der Frauen:Münchner Alleinherrscher

In 197 Jahren Kommunalgeschichte hat es noch keine Frau geschafft, Oberbürgermeisterin zu werden. Dabei hätte es durchaus Frauen gegeben, die die Hand gehoben haben - auch bei der mitregierenden SPD

Von Silke Lode

Wir schreiben das Jahr 2015. Vor 197 Jahren hat der Münchner Magistrat zum ersten Mal einen Ersten Bürgermeister bestimmt, inzwischen wählen die Münchner ihren Oberbürgermeister selber. Eine Frau war bisher noch nie im Amt - schon allein, weil die Parteien den Bürgern noch nie die Gelegenheit gegeben haben, eine Frau zu wählen. Natürlich gab es immer wieder vereinzelt auch OB-Kandidatinnen, aber nie von Parteien, die ernsthaft eine Chance gehabt hätten, eine Mehrheit hinter ihrer Kandidatin zu versammeln. Gefühlt gab es zwar eine Ausnahme, nämlich die Grünen, die mit Sabine Nallinger 2014 eine Frau ins Rennen schickten, vor der auch ihre beiden Hauptkonkurrenten von SPD und CSU, Dieter Reiter und Josef Schmid, gehörigen Respekt hatten. Doch die Realität, nämlich das Wahlergebnis von 14,7 Prozent für Sabine Nallinger, zeigt, dass die Grünen in München bei Weitem nicht den Rückhalt haben, den die Partei eines Oberbürgermeisters braucht.

Um nicht an der Gegenwart zu verzweifeln, lohnt es sich trotzdem, in die Geschichte zurückzuschauen. Zu den Anfängen von Hildegard Hamm-Brüchers politischer Karriere zum Beispiel, die 1948 im Münchner Stadtrat begann. Ein kurzer Blick auf die Kämpfe, die sie ausgefochten hat, reicht, um sich in Erinnerung zu rufen, dass Gleichstellung eine Jahrhundertaufgabe ist. Im Stadtrat verteilte Frau Brücher, die damals noch nicht mit ihrem CSU-Ratskollegen Erwin Hamm verheiratet war, Postkarten. Adressiert waren sie an den Parlamentarischen Rat, verbunden mit der Forderung, den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" ins Grundgesetz aufzunehmen. Sie hatte mit Männern zu tun, die ihr die Türen aufhielten, aber dachten, "Frauen seien nur für den Sex da und dass sie den Haushalt in Ordnung halten", wie Hamm-Brücher sich erinnert. Sie stritt dafür, dass Frauen in Symphonieorchestern spielen oder eine gehobene Beamtenlaufbahn einschlagen durften. Die Einwände dagegen müssen noch einmal auf den Tisch, da sie die kuriose Sammlung an Argumenten so wunderbar bereichern, die Frauen mit Ehrgeiz im Beruf bis heute zu hören bekommen. Also: Männliche Musiker könnten abgelenkt werden. Und noch schöner: Für den Begriff "Amtmann" gebe es einfach kein weibliches Pendant.

Inge Hügenell mit Stadtratskandidatinnen

1978 kandidierten 14 SPD-Frauen für den Stadtrat. Darunter war auch Edith von Welser-Ude (hinten, 3. v. re.), die 1984 Spitzenkandidatin der SPD war.

(Foto: privat)

Hamm-Brücher hat gegen alle Widerstände eine außergewöhnliche Karriere hingelegt, auf sämtlichen politischen Ebenen bis hin zur Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Mit ihrer Haltung wurde sie zu einer Ikone des Liberalismus, bevor dieser sich den Zusatz "Neo" zulegte - auch und gerade, weil Hamm-Brüchers Geradlinigkeit so weit ging, dass sie mit über 80 Jahren ihrer Partei, der FDP, endgültig den Rücken kehrte.

Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass nicht wenigstens ein Chefbüro im Rathaus in weiblicher Hand ist. Seit mit Sabine Csampai 1990 zum ersten Mal in der Stadtgeschichte eine Frau in ein Bürgermeisteramt gewählt wurde, gab es immer ein gemischtes Trio an der Stadtspitze. Mit Csampai hatte eine ganz besondere Frau Premiere: Als Grüne galt sie damals so manchem Stadtratskollegen oder Verwaltungsmitarbeiter per se als Bürgerschreck. Obendrauf war sie alleinerziehend und explizit feministisch. Männern attestierte sie schon einmal, dass sie "Jahrhunderte lang die Chance hatten, praktisch als Alleinherrscher diese Welt zu regieren - und sie haben alles in den Graben gefahren". Deshalb war für sie nur logisch: "Die Frauen müssen übernehmen."

Genauso entschieden konnte Csampai aber sein, wenn es um ihre Familie ging: Während ihrer Amtszeit bekam sie ein drittes Kind, direkt nach dem Mutterschutz war sie zurück im Büro. Doch 1996 gab sie - unter Verzicht auf Pensionsansprüche - den Posten auf. Wegen der Kinder.

Gertraud Burkert, Zweite Bürgermeisterin von 1993 bis 2005, war auf den ersten Blick aus ganz anderem Holz geschnitzt. Sie galt als soziales Gewissen der Stadt und wurde für ihr Talent gepriesen, die schärfsten Konflikte beilegen zu können. Doch auch die SPD-Frau musste ihre Schlachten schlagen: Die promovierte Germanistin, die bereits 20 Jahre im Bezirksausschuss war und sich stark ehrenamtlich engagiert hatte, wurde 1993 zunächst vom Stadtrat zur Schulreferentin gewählt. In den Augen des Verwaltungsgerichts erfüllte sie aber bestimmte Anforderungen für den Referentenjob nicht. Der damalige CSU-Fraktionschef Gerhard Bletschacher verstieg sich sogar zu der Aussage, Burkert habe "in ihrem Leben noch nichts gearbeitet". Auf solche Anfeindungen, die für sie Ausdruck einer "ungeheuren, leider weit verbreiteten Verachtung der Arbeit von Frauen und Ehrenamtlichen" sind, reagierte selbst die gelassene Burkert noch Jahre später verärgert. Triumphiert hat sie trotzdem: Noch im selben Jahr machte der Stadtrat sie zur Bürgermeisterin.

Sitzung des FDP-Vorstands in München, 1970

Herrenrunde mit Dame: Hildegard Hamm-Brücher war, wie hier bei einer Vorstandssitzung der FDP München 1970, oft die einzige Frau.

(Foto: dpa)

Auch Burkert hatte nicht nur einen anspruchsvollen Job zu meistern, sondern eine Familie, für die sie sich verantwortlich fühlte. Ihre Kinder waren zwar schon groß, als sie Berufspolitikerin wurde, dafür wurde ihre Mutter pflegebedürftig. Tagsüber arbeitete Burkert sich im Rathaus auf, nachts sorgte sie für die demente Mutter - bis sie nicht mehr konnte und selbst an Krebs erkrankte. Burkerts Mutter wurde zwar später in einem Heim gepflegt, eine Last konnte ihr aber niemand abnehmen: das schlechte Gewissen, das sie bei dieser Entscheidung immer verfolgt hat.

Während von keinem Mann, der in München je Bürgermeister war, ähnliche Doppelbelastungen von Beruf und Familie bekannt sind, zieht sich das Thema bei den Frauen wie ein roter Faden durch alle Lebensläufe. Auch Christine Strobl (SPD) hat da eine besondere Geschichte zu erzählen. "Ich war die erste seit Hildegard Hamm-Brücher, die als Stadträtin Kinder bekommen hat", sagt Strobl. 1994 und 1998 kamen Maria und Michi auf die Welt. 2003 starb ihr Mann ganz plötzlich mit nur 42 Jahren, ein Herzinfarkt bei einer Wanderung. Strobl zieht die beiden seither alleine groß, trotzdem hat sie es im Rathaus fast bis ganz nach oben geschafft: 2006 übernahm sie Burkerts Amts. Das Zeug zur Ude-Nachfolgerin hätte Strobl wohl auch gehabt, wäre da nicht der Krebs gewesen, der pünktlich zur heißen Phase der OB-Kandidatensuche in den Jahren 2009 und 2010 ihr Leben stark beeinträchtigt hatte.

Stadt der Frauen: SZ-Grafik/Quelle: Handbuch des Münchner Stadtrats 1960-heute

SZ-Grafik/Quelle: Handbuch des Münchner Stadtrats 1960-heute

Strobl hat aber nicht nur Erfahrungen mit einer schweren Krankheit gesammelt, sondern auch mit der gläsernen Decke, an die selbst Frauen wie sie stoßen. Denn ursprünglich hat sie sich die OB-Kandidatur sehr wohl vorstellen können. "Als Zweite Bürgermeisterin sollte man ernsthaft zur Debatte stehen", meint Strobl. Heute will sie das Thema nicht mehr vertiefen, die Sache ist gelaufen. Aber ihre Andeutungen verraten, dass die Unterstützung einiger führender Genossen schon vor ihrer Erkrankung eher mau war. Mit einer Feststellung hält Strobl aber nicht hinter dem Berg: "Wenn ich ein Mann gewesen wäre, wäre das sicher anders gewesen."

2014 stand Strobl erneut vor einer schwierigen Aufgabe. In den Koalitionsgesprächen mit CSU und Grünen sollte sie sich selber wegverhandeln. Denn es war klar: wenn das Dreierbündnis zustande käme, würde Strobl ihren Posten an der Stadtspitze verlieren. Es gibt Leute, die einen sehr emotionalen Auftritt Strobls dafür verantwortlich machen, dass statt dem Dreierbündnis nun eine große Koalition München regiert. Es ging damals auch um ihr eigenes Schicksal. Aber auf jeden Fall hat Strobl, die als knallharte Verhandlerin gilt, diesen Ruf unter Beweis gestellt. Das Nachsehen hatten die Grünen und vor allem Sabine Nallinger, die von den Mehrheitsbeschaffern für Reiter nach fast einem Vierteljahrhundert Rot-Grün zur Rathaus-Opposition degradiert wurden.

Beispiele wie Hamm-Brücher, Csampai, Burkert oder Strobl dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, welche Besonderheit einflussreiche Frauen in der Münchner Stadtpolitik bis heute sind. In der CSU will einem nach wie vor überhaupt keine Vorreiterin einfallen. Und auch ein Blick auf die Liste der Ehrenbürger spricht für sich: Hildegard Hamm-Brücher war nach 177 Jahren die erste Frau, Gertraud Burkert erklärte 2014 mit Blick auf den fast frauenfreien Zirkel süffisant, sie sei "überrascht und verwirrt", nach Charlotte Knobloch als dritte Frau geehrt zu werden. Es gibt zwar noch viele andere, man denke nur an all die Tag und Nacht schuftenden Frauen, die zum Beispiel Christian Udes OB-Büro oder sein Direktorium geleitet haben. Ganz an die Spitze hat es aber noch keine geschafft.

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