Stadt der Frauen:Ein Schuss Testosteron

Stefan Zechmeister ist ein Exot: Als Grundschullehrer arbeitet er fast nur unter Frauen. Seinen Job bezeichnet er als Traumberuf, die Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen macht ihm Spaß, auch wenn immer alles tausendmal diskutiert wird. Trotzdem sagt er: "Wir bräuchten viel mehr Männer."

Von Stephan Handel

An der Wand hängt ein Plakat mit Fotos, und die Namen, die daruntergeschrieben sind, zeigen vielleicht schon, worum es geht in Stefan Zechmeisters Job: Omar, Heriss, Elpida, Ivan, Saldin heißen die Kinder auf den Fotos; dass zwei von ihnen deutsche Vornamen tragen, heißt nicht unbedingt, dass sie die unproblematischsten Schüler sind. "Man könnte schon den Begriff Brennpunktschule verwenden", sagt Zechmeister über seine Arbeitsstelle, die Grundschule an der Weissenseestraße in Giesing. Aber dann relativiert er das gleich wieder: "Aber dann sind fast die Hälfte der Münchner Schulen Brennpunkte."

Stefan Zechmeister ist ein Exot, aber das liegt nicht allein an dem auffälligen Piercing in seinem linken Ohr oder dem Tatoo, dessen Ausläufer unter dem Ärmel hervorspitzen. Zechmeister ist ein Mann, und er ist Grundschullehrer. Wie außergewöhnlich das ist, zeigt sich nicht nur im Kollegium seiner Schule: Unter mehr als 40 Lehrkräften hat Zechmeister nur einen männlichen Kollegen, dazu ein Förderlehrer, ein Islamlehrer und der Hausmeister - ansonsten ist alles fest in weiblicher Hand. Die Tendenz zur weiblichen Übernahme, was die Grundschul-Bildung betrifft, besteht seit mindestens 30 Jahren. 1985 waren damals noch an den Volksschulen, also Grund- und Hauptschulen zusammen, 57,4 Prozent der Lehrkräfte weiblich. 1995 war der Anteil auf 64, 9 Prozent gestiegen. Noch einmal zehn Jahre später lag er bei 71,7 Prozent. Und für das Jahr 2014 meldet das bayerische Landsamt für Statistik: Unter den Grundschul-Referendaren, die die zweite Staatsprüfung mit Erfolg absolviert und damit ihr Lehramtsstudium abgeschlossen haben, lag die Frauen-Quote bei 94,6 Prozent.

Stefan Zechmeister sieht darin, zumindest an seiner Schule, kein großes Problem, er betont den großen Teamgeist und die "super Zusammenarbeit". Jedoch gibt es durchaus wissenschaftliche Stimmen, die vor dem Männermangel in der Pädagogik warnen. Nicht nur, so haben Studien ergeben, neigen weibliche Lehrkräfte dazu, die Leistungen der Buben tendenziell eher schlechter zu bewerten als die der Mädchen. Vor allem fehle es durch die Abwesenheit männlicher Identifikationsfiguren an positiven Vorbildern: Alleinerziehende Mütter, im Kindergarten nur weibliche Erzieherinnen, keine männlichen Lehrer an der Grundschule - bis zu ihrem zehnten Lebensjahr oder länger erleben manche Kinder keine festen, tragenden Beziehungen zu Männern. Wie sich das auf ihr späteres Leben auswirken wird, ist noch unklar.

Stadt der Frauen: Stefan Zechmeister mit einigen seiner Kolleginnen. Er ist einer von nur zwei Männern im gesamten Kollegium.

Stefan Zechmeister mit einigen seiner Kolleginnen. Er ist einer von nur zwei Männern im gesamten Kollegium.

(Foto: Catherina Hess)

Seit acht Jahren, die zwei Jahre Referendariat miteingerechnet, ist Stefan Zechmeister Lehrer, das Wort vom Traumberuf geht ihm leicht über die Lippen. Wie es dazu kam, weiß er selbst nicht mehr so genau - dass ihn seine eigene Schulzeit am Michaeligymnasium in Berg am Laim, die "tollen Lehrer", das engagierte Schulleben neben dem Unterricht geprägt haben, das ist ihm erst später aufgegangen. Eigentlich dachte er daran "was Kreatives" zu studieren, Architektur vielleicht. Aber dann kam der Zivildienst in einer Pflegeeinrichtung, die Erfahrung, wie viel Spaß es macht, mit Menschen zu tun zu haben. Schließlich die Bewerbung ums Lehramt-Studium, das dabei verpflichtend notwendige Orientierungs-Praktikum und die Erkenntnis: Das ist mein Ding. Dass es an die Grundschule gehen sollte, war auch klar - am Gymnasium, so findet er bis heute, trifft der Lehrer ja doch auf eine Vorauswahl, auf die, die den Übertritt geschafft haben. An seiner Grundschule aber, da findet er die ganze Bandbreite der Gesellschaft.

Naja. Kinder, deren Mutter drogenabhängig ist. Die schlecht Deutsch sprechen, aber nicht einmal, weil sie aus fremden Ländern stammen, sondern weil ihre deutschen Eltern nicht so viel davon halten, mit ihren Kindern zu reden. Die mit sieben Leuten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung leben. "Da ist die Schule manchmal ein Ruhepol und ein Gegenpol zur Familie", sagt Zechmeister. Dass seine Kolleginnen in Giesing nichts mit den idealistischen Anwärterinnen gemein haben, die er an der Uni kennengelernt hat - "Tüdelü-Lehrerinnen" nennt er sie -, dürfte klar sein: "Die würden hier untergehen." So gesehen, sieht er in seinem Mann-Sein keinen großen Vorteil, außer vielleicht den, dass er sich, wenn nötig, durch Stimmlage und -volumen leichter gegen überbordenden Kinderlärm durchsetzen kann. Und dass die Eltern aus patriarchalisch geprägten Familien ihn, den Lehrer, vielleicht leichter als Autorität akzeptieren als eine Lehrerin.

Trotzdem sagt Zechmeister: "Wir bräuchten viel mehr Männer." Warum die fehlen an den Schulen, dafür gibt es eine Menge an Gründen. Die Bezahlung - Beamter, A12, Einstiegs-Grundgehalt etwas über 3000 Euro brutto - ist für einen Akademiker nicht sehr verlockend, und die Aufstiegsmöglichkeiten sind bescheiden. Zudem ist der Zugang zum Studium nicht gerade einfach, den Abiturienten, die den Numerus clausus von 2,0 oder darunter schaffen, stehen die meisten anderen Studienfächer ebenfalls offen. Und schließlich: Kindererziehung ist - immer noch - Frauensache. Und so dauert es, wenn Stefan Zechmeister seinen Beruf sagt, immer mindestens eine Sekunde bis zum "Toll" - eine Denkpause, die seine Schwester (Physikerin) und sein Bruder (Arzt) nach seiner Beobachtung nicht erleben.

Stadt der Frauen: Die Tendenz zur weiblichen Übernahme, was die Grundschul-Bildung betrifft, besteht seit mindestens 30 Jahren.

Die Tendenz zur weiblichen Übernahme, was die Grundschul-Bildung betrifft, besteht seit mindestens 30 Jahren.

(Foto: Catherina Hess)

Er ist trotzdem glücklich in seinem Beruf, und wenn es etwas gibt, was ihm auffällt, den Frauenüberschuss betreffend, dann dies: dass immer alles 1000 mal durchdiskutiert werden muss - "das könnte aber auch ein allgemeines Lehrer-Ding sein", sagt er. Und dass es von den Kolleginnen anders aufgenommen wird, wenn er mal Kritik äußert: "Das wird immer auf der sachlichen Ebene aufgenommen. wenn eine Frau eine Frau kritisiert, wird's schnell mal emotional."

Im Verhältnis zu seinem Schülern sieht Zechmeister keinen Unterschied zu den Kolleginnen: Die Mädchen sind noch zu jung, um sich in ihn zu verlieben - 34 ist er, also so alt wie ihre Eltern -, und die Jungs brauchen auch noch ein paar Jahre, bevor das Testosteron im Blut männliche Konkurrenzkämpfe notwendig macht. Bis dahin, so hofft er, hat er ihnen neben Lesen, Schreiben und Rechnen das beigebracht, was er selbst als wichtigsten Lehrinhalt abseits der puren Wissensvermittlung sieht: Respekt vor jedem zu haben, was sich dann auch zeigt in Dingen wie Umgangsformen und Pünktlichkeit. Das, so gesteht Stefan Zechmeister zum Schluss, ist manchmal aber ganz schön anstrengend. Deshalb ist bei ihm auch der Wunsch nach eigenen Kindern noch nicht sehr ausgeprägt. Denn wenn er nach Hause kommt, weg von Omar, Heriss, Elpida und Daniel - "dann bin ich manchmal nur froh, meine Ruhe zu haben".

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