Kultur:Diese Männer wollen Innovation an die Staatsoper bringen

Kultur: Die zukünftige Doppelspitze der Staatsoper: Chefdirigent Vladimir Jurowski (links) und Intendant Serge Dorny.

Die zukünftige Doppelspitze der Staatsoper: Chefdirigent Vladimir Jurowski (links) und Intendant Serge Dorny.

(Foto: Robert Haas)
  • Auf einer Pressekonferenz wurde nun offiziell verkündet, dass Vladimir Jurowski und Serge Dorny von 2021 an die Bayerische Staatsoper leiten werden.
  • Damit lösen sie Kirill Petrenko und Nikolaus Bachler als Staatsintendant und Generalmusikdirektor ab.
  • Ein Anliegen ist ihnen, die Oper auch Menschen zugänglich zu machen, die bisher noch keinen Bezug dazu hatten.

Von Egbert Tholl

Es geht auf dieser Pressekonferenz so unaufgeregt zu, dass man es im Bayerischen Kunstministerium nicht einmal für nötig hielt, einen Raum dafür zu reservieren. Man stellt einfach ein paar Stühle in den Flur, dazu ein Rednerpult und ein paar Topfpflanzen, die nicht gerade nach floraler Innovation ausschauen.

Nun, es wird ja ohnehin das verkündet, was jeder der hier Anwesenden schon seit Monaten weiß, und keiner hat etwas dagegen. Vladimir Jurowski und Serge Dorny, die von Herbst 2021 an die Bayerische Staatsoper als Nachfolger von Kirill Petrenko und Nikolaus Bachler leiten werden, bewegen sich in einer Atmosphäre einhelliger Begeisterung ob ihrer Wahl.

Dem entsprechend stellt Kunstminister Ludwig Spaenle die beiden als "große Meister" vor, wogegen nichts zu sagen ist, der Begriff "Meister" aber doch wohl nun zum ersten Mal auf einen Intendanten angewendet wurde. Dorny nimmt's mit Charme, und davon hat er viel. Der gebürtige Belgier entschuldigt sich erst einmal für sein Deutsch, das im Klang weich und in der Wortwahl fantasiereich ist. Dafür, fürs Deutsch, habe er ja noch eine gewisse Vorbereitungszeit, und überhaupt: "Schau ma moi" (oder so ungefähr).

Für die Bachler/Petrenko-Nachfolge war es erklärtes Ziel des Kunstministeriums gewesen, eine genuine Doppelspitze zu finden, also nicht einem Wunsch-Generalmusikdirektor einen Intendanten zuzuordnen oder umgekehrt. Passend dazu erinnert Dorny an die gemeinsame Zeit von ihm und Jurowski beim London Philharmonic Orchestra vor fast 20 Jahren. Für Dorny erfüllt sich 2021 der lang gehegte Wunsch, ein wichtiges Opernhaus in Deutschland zu übernehmen; vor ein paar Jahren hätte dies mit der Semperoper in Dresden fast geklappt, aber da kam ihm wohl Christian Thielemanns Konservatismus in die Quere. Vergleichbare Diskrepanzen kann man für München nun ausschließen, schließlich ließ man sich ja auch Zeit, die Wahl zu verkünden.

Die Bayerische Staatsoper ist für Dorny ohnehin viel besser geeignet als der sächsische Touristentempel, auch weil er in München leichter als in Dresden ein Restaurant findet, das seinen Ansprüchen genügt. Vor allem aber hat er Recht, wenn der das Münchner Publikum als interessiert, neugierig, treu und offen für Neues beschreibt - man frage nur Sir Peter Jonas. Dorny wiederum weiß, wie man das Publikum einfängt und gleichzeitig innovativ ist. Oder durch Innovation das Publikum gewinnt, das ist für ihn eins. Die Oper von Lyon hat er in konzentrierter Arbeit der in Paris ebenbürtig gemacht, im extrem zentralistischen Frankreich eine Sensation.

Nun kommt er an ein Haus, das schon an der Spitze steht; davor, so sagt er, habe er Respekt. Die Fußstapfen seiner Vorgänger seien eine Herausforderung, die Vorfreude, im Herzen dieser "extraordinären Stadt" zu arbeiten, sei groß.

Vladimir Jurowski sagt als erstes, er wolle gar nicht viel sagen, da er sich normalerweise mit Gesten verständlich mache. Nun, mit Worten klappt es aber auch sehr gut. Sofort ist klar: Er ist nicht so in sich gekehrt wie Kirill Petrenko, der einfach über seine Arbeit nicht reden will. Er ist aber auch kein blümeranter Geschichtenerzähler wie etwa Kent Nagano. Er ist konkret, klar, bescheiden, höflich. So höflich, dass er zum Beispiel bis 2021 zwei seiner derzeitigen Posten, das London Philharmonic Orchestra und das Enescu-Festival, abgegeben haben wird. Er bleibe aber Chef des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und (vielleicht) künstlerischer Leiter des Svetlanov Orchesters in Russland.

"Zuerst kommen die wenig bekannten Werke, dann die Hits"

So offen die Antworten beider sind, so wenig erfährt man natürlich über mögliche Spielpläne, es ist ja auch noch ein bisserl Zeit bis 2021. Aber doch sind sich die Beiden erstaunlich einig. Aus der "DNA der Staatsoper" (Mozartstrausswagner) heraus wolle Dorny das Repertoire erweitern, das "Erbe erhalten und neu beleben". Jurowski könnte sich etwa vorstellen, Opern von Rimski-Korsakow für München zu entdecken, "zuerst kommen die wenig bekannten Werke, dann die Hits".

Überhaupt Entdeckungen: Dorny sieht Innovation nicht allein in Uraufführungen und Auftragswerken, es gebe im riesigen Opernkanon noch viel zu entdecken; interessant findet er jüngere Opern wie etwa "Drei Schwestern" von Peter Eötvös oder "Wunderzaichen" von Marc Andre, die entweder bereits im Repertoire angekommen sind oder das Zeug dazu hätten. Er wolle ein "Haus der Tradition und der Moderne, fest verankert im 21. Jahrhundert".

Beide, Dorny wie Jurowski, verstehen Oper als "festen Bestandteil der Gesellschaft" (Jurowski) und "zentrale Stelle in der Stadt" (Dorny). Dorny wolle Kooperationen mit anderen Institutionen in der Stadt suchen und auch Menschen anlocken, die noch keinen Bezug zur Oper haben. Minister Ludwig Spaenle brummelt dazu euphorisch davon, dass das Projekt Marstall in Vorbereitung sei. Heißt: eine zusätzliche Experimentierbühne für die Staatsoper im selben Haus wie eben die Marstall-Bühne des Residenztheaters. Was ja auch eine Öffnung des Hauses mit sich brächte.

Dorny wolle aber nicht einfach sein Konzept von Lyon - da gibt es eine solche zweite Bühne im Untergeschoss - auf München anwenden, jede Stadt sei eigen. Jurwoski erzählt, er sei im Theater geboren und aufgewachsen, er könne sich ein Leben ohne Theater nicht denken. Dorny spricht übrigens auch von "Theater" und davon, dieses als ästhetische Herausforderung zu begreifen. Nachdem Jurowski 2013 die Leitung des Opernfestivals in Glyndebourne abgegeben hatte, fragte ihn einmal Nikolaus Bachler, wie er denn ohne Opernhaus zurecht käme. Schlecht. Zu dieser Zeit dirigierte er zwar an der Met und sonstwo, aber leitete eben kein Haus.

Doch er sei ein Teamplayer, brauche Leute um sich, die ihn kennen und an ihn glauben. Das Orchester, der Chor und das Ensemble in München scheinen genau das Terrain zu sein, wo er seine Träume wahr werden lassen kann. Er habe auch ein wenig Geschichtsforschung betrieben und festgestellt, dass Kirill Petrenko der 21. Generalmusikdirektor der Staatsoper seit 1836 sei - erst seitdem gibt es diesen Titel. Rechne man nun hinzu, dass Hans Knappertsbusch zwei mal hier Chef war (wenn auch nach dem Zweiten Weltkrieg nur sehr kurz), so sei er zwischen Nummer 22 und 23, was ihm sehr gut gefalle.

Im Herbst 2015 hatte Jurowski an der Staatsoper die Premiere von Prokofjews "Der feurige Engel" dirigiert; bis 2021 will er aber das gute Verhältnis zum Orchester nicht auf Eis legen. Im Januar 2020 wird er ein Akademiekonzert leiten, im Frühjahr 2021, also noch vor Antritt seiner Chefposition, leitet er die Premiere des neuen "Rosenkavaliers", eine Anfrage, die bei ihm und Regisseur Barrie Kosky erst einmal drei Wochen Panik auslöste. Der Mann hat wirklich Traditionsbewusstsein.

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