Sportvereine:Doppelte Buchführung

Neun Münchner Sportvereine geraten wegen unklar formulierter Pachtverträge mit der Stadt in finanzielle Schwierigkeiten. Nun soll eine Neufassung für bestehende und neue Kontrakte das Problem lösen

Von Ulrike Steinbacher

Einerseits haben sie aufgeatmet, die Mitglieder des SV Helios Daglfing bei ihrer Versammlung kurz vor Weihnachten: Der Verein muss doch nicht in die Insolvenz, der Streit mit der Stadt München um die Rückzahlung von 130 000 Euro an Zuschüssen plus Zinsen wurde mit einem Vergleich beigelegt. Andererseits aber waren die Helios-Leute sauer, dass sie sich dieses Ergebnis erst mit Hilfe ihres Anwaltes hatten erstreiten müssen. Denn dass mit den Verträgen etwas nicht stimmen könne, das habe einem "der gesunde Menschenverstand von Anfang an gesagt", findet Präsident Xaver Finkenzeller.

So vernichtend fällt das Urteil des Referates für Bildung und Sport (RBS) natürlich nicht aus, schließlich hat es die so geschmähten Verträge formuliert. Dass es Probleme gibt, räumt die Behörde aber ein, allerdings sieht sie die eher in der Umsetzung: "Die Frage der Verwaltungspraxis (. . .) blieb in der Anlaufphase offen". Heißt im Klartext: Die Stadt gab den Vereinen Zuschüsse für ihre Sportanlagen, sagte ihnen aber nicht, dass sie damit nur 50 Prozent der Betriebskosten zahlen dürfen und den Rest selbst drauflegen müssen. Das stellte sich erst nach einigen Jahren heraus, die Stadt erhob Rückforderungsansprüche - und auf einmal stand der SV Helios Daglfing vor einem riesigen Finanzloch.

Sportvereine: Spiel-Freude: Die FT Gern kommt mit den Einnahmen aus der Werbung auf ihren Fußballplätzen an der Hanebergstraße ganz gut über die Runden.

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(Foto: Rumpf)

Dabei geht der ganze Ärger auf eine gute Idee zurück, von der eigentlich beide Seiten profitieren sollten. 1993 entschied der Stadtrat, städtische Sportanlagen an Vereine zu verpachten, die sie in Eigenregie betreiben wollten. Damit sparte sich die damals ziemlich klamme Stadt die Betriebskosten, und die Vereine bekamen das Hausrecht auf ihren Anlagen. Zugleich konnten sie billiger wirtschaften, schon wegen der ehrenamtlichen Arbeit der Mitglieder. Die Stadt gewährte auf zehn Jahre eine Anschubfinanzierung: Die Vereine bekamen in den ersten vier Jahren das Fünffache des regulären Unterhaltszuschusses, bis zum elften Jahr sank die Unterstützung dann langsam auf Normalniveau.

Neun Vereine insgesamt ließen sich für das Modell begeistern und unterschrieben Erbpachtverträge für ihre Sportanlagen. Der erste war im Jahr 1999 der SV Schwarz-Weiß 1931 München. Dem Verein aus Berg am Laim erging es ähnlich wie später dem SV Helios und dem SV Gartenstadt Trudering. Sie alle haben ihre Anlagen inzwischen zurückgegeben, sie alle standen am Ende mit Schulden im sechsstelligen Bereich da.

Grund dafür war, dass die Anschubfinanzierung unter die Sportförderrichtlinien fiel, zumindest interpretierte die Stadtverwaltung das so. Für die Vereine hieß das, sie mussten 50 Prozent der Betriebskosten selbst tragen, durften sie also nicht ausschließlich aus dem Zuschuss finanzieren. Nur: Gesagt hatte ihnen das keiner. "In den Übergabeverhandlungen wurden die Vereine hierauf nicht hingewiesen", stellt das RBS selbst fest, "auch das Informationsblatt enthielt keinerlei Hinweis auf die (. . .) 50-Prozent-Regelung."

Kaputt gespart

Für die Stadtkasse ein echter Gewinn, für viele Clubs eine bedrohliche Situation

Für die Stadt München ist die Rechnung aufgegangen. Sie hat mit der Verpachtung von Bezirkssportanlagen an Vereine eine Menge Geld gespart - knapp fünf Millionen Euro in den vergangenen 16 Jahren, um genau zu sein. Bei den Vereinen dagegen fällt die Bilanz gemischt aus.

Keine Personalkosten für den Platzwart, keine Ausgaben für Pflegegeräte, keine Rechnungen für Reparaturen - nach den Zahlen des Referates für Bildung und Sport (RBS) hat die Stadt seit 1999 mit der Verpachtung von neun Sportanlagen 8,8 Millionen Euro an Betriebskosten gespart, und da sind die Kostensteigerungen gar nicht eingerechnet. Die Vereine, die die Anlagen übernahmen, bekamen zwar eine Anschubfinanzierung von insgesamt vier Millionen Euro von der Stadt; damit bleiben aber immer noch 4,8 Millionen an Einsparung übrig. Entsprechend fällt das Resümee des Referates für Bildung und Sport aus: "Die Erfolgsbilanz ist ambivalent, aber im Wesentlichen positiv."

Das Element der Ambivalenz liefern die drei Vereine, denen der Pachtvertrag Schulden in sechsstelliger Höhe bescherte. Der SV Helios Daglfing, der die Bezirkssportanlage an der Westpreußenstraße sechs Jahre lang pachtete, ersparte der Stadt laut Bilanz des RBS 280 000 Euro, der SV Gartenstadt Trudering mit dem Gelände an der Heinrich-Wieland-Straße, das er für vier Jahre übernahm, ebenfalls 280 000, der SV Schwarz-Weiß mit der Anlage an der Fehwiesenstraße sogar gut eine Million. Er war mehr als 15 Jahre Pächter.

Dass manche Vereine mit dem Modell zurecht kamen, während andere scheiterten, führt das RBS auf "sparsames Wirtschaften" und einen "hohen Anteil ehrenamtlichen Einsatzes" zurück. Helios-Präsident Xaver Finkenzeller weist den impliziten Vorwurf mangelnden Engagements für seinen Verein von sich: "Das ist einfach lächerlich." Die Helios-Anlage sei "enorm groß", die Betriebskosten seien stetig gestiegen, die Zuschüsse gleichzeitig aber gesunken. Allein die Ausgaben für Energie hätten sich in kurzer Zeit verdoppelt.

Der SV Helios ist jetzt wieder Mieter statt Pächter genau wie der SV Schwarz-Weiß, und die Präsidenten Finkenzeller und Günther Metz sind damit zufrieden. Natürlich müsse man sich einschränken, müsse sich etwa an die Trainingszeiten halten, die man von der Stadt bekomme. Der SV Helios zum Beispiel muss damit leben, dass die Stadt unvermutet die Anlage an der Westpreußenstraße von 19. Dezember bis Dreikönig wegen Betriebsferien zusperrt. "Aber der Schritt war für uns überlebensnotwendig", sagt Günther Metz.

Die Freie Turnerschaft (FT) München Gern dagegen hält an dem Pacht-Modell für ihre beiden Fußballplätze nebst Kabinen an der Hanebergstraße fest, auch wenn "vieles holprig gelaufen ist", wie der Vorsitzende Michael Franke sagt: "Wir genießen es trotzdem, dass wir unser eigener Herr sind." Das Erfolgsgeheimnis liegt für ihn in den Werberechten. Früher habe ein Unternehmen sie zentral für die ganze Stadt vermarktet: "Aber wir tun uns da mit unseren persönlichen Beziehungen natürlich viel leichter." Der Verein könne so viel an Einnahmen generieren, dass er seine Kosten stemme.

Das Kleinklein um Bandenwerbung, kaputte Lampen in der Flutlichtanlage und geeignete Rasenpflege sei trotzdem nicht erquicklich. "Früher ging es in unseren Sitzungen zu 90 Prozent um Sport und zu zehn Prozent um Unterhalt", sagt der Vorsitzende, "jetzt ist es andersrum". ust

Ans Licht kam das Problem, als der SV Schwarz-Weiß einen Sanierungsantrag stellte. Die Bezirkssportanlage an der Fehwiesenstraße, errichtet 1956, ist Münchens älteste. Bei der Begehung stellte die Stadt Pflegemängel fest und forderte Zuschüsse zurück. Erst dann, das war 2009, wurden laut RBS ein "indirekter Hinweis" auf die 50-Prozent-Regelung und ein Passus in den Vertrag aufgenommen, dass die Vereine Rücklagen bilden müssen. Beim SV Helios Daglfing, der die Anlage an der Westpreußenstraße 2009 übernahm, entwickelte sich das Problem aus ungünstigen Bedingungen: Es war die Zeit explodierender Energiepreise, als die Zuschüsse nach vier Jahren vertragsgemäß sanken, gerieten die Finanzen in Schieflage. Also wollte der Verein das Gelände zurückgeben. Erst 2014 bei den Verhandlungen wies die Stadt auf ihre Rückforderungen hin.

Inzwischen hat das RBS festgestellt, dass es für vier weitere Vereine "gravierende Einschnitte" mit sich brächte, würde die Stadt auf der 50-Prozent-Regelung beharren. Der Stadtrat hat im Dezember sein Plazet zu einer Neufassung gegeben, für bestehende und für künftige Verträge: Alle Vereine dürfen die Anschubfinanzierung der ersten zehn Jahre komplett für den Unterhalt verwenden; danach müssen sie 30 Prozent aus Eigenmitteln aufbringen.

Dass die fünf Vereine, die ihre Anlagen noch immer pachten, jetzt finanziell über die Stränge schlagen, erwartet das RBS nicht. Sie hätten den "Erfolg des Modells" ja "bereits unter Beweis" gestellt. Außerdem neige sich die Übergangsphase von zehn Jahren bei den meisten dem Ende zu. Für den SV Untermenzing ist sie schon vorbei, bei der DJK Pasing 03 endet sie 2016, beim FC Alte Haide und der Freien Turnerschaft Gern 2018. Nur der TSV Solln hat noch sechs Jahre vor sich, doch seine Rücklagen betragen etwa 170 000 Euro. Der FC Sportfreunde München beendete das Experiment an der Säbener Straße schon 2013.

Sportvereine: Nicht mehr Herr im eigenen Haus: Seit der SV Helios Daglfing wieder Mieter ist, muss er sich nach den Öffnungszeiten richten, die die Stadt vorgibt.

Nicht mehr Herr im eigenen Haus: Seit der SV Helios Daglfing wieder Mieter ist, muss er sich nach den Öffnungszeiten richten, die die Stadt vorgibt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Und die drei Vereine mit den größten Finanzproblemen bekommen unter der neuen Regelung sogar noch Geld, das die Stadt einbehalten hatte: der SV Gartenstadt 60 000 Euro, Helios und Schwarz-Weiß 30 000 Euro. "Dafür zahlen wir unsere 20 000 Euro Anwaltskosten selbst", kommentiert Helios-Chef Finkenzeller.

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