Sportlerin nach dem Unfall:Amazone vom Berg

Sportlerin nach dem Unfall: Zwei Jahre nach dem Sturz geht Gela Allmann wieder auf den Berg. Und sie zeigt gerne, dass sie sich über jeden Schritt freut.

Zwei Jahre nach dem Sturz geht Gela Allmann wieder auf den Berg. Und sie zeigt gerne, dass sie sich über jeden Schritt freut.

(Foto: Martin Erd)

Gela Allmann stürzte einen Eishang 800 Meter in die Tiefe. Jetzt kämpft sich die Sportlerin ins Leben zurück - und vermarktet sich dabei als schöne Kämpferin.

Von Dominik Prantl

Achthundert Meter. Das ist die Länge von zwei Stadionrunden, 16 Bahnen in einem olympischen Schwimmbecken oder dem Münchner Olympiaturm plus Frauenkirche - mal zwei. So weit ist die Sportlerin Gela Allmann während eines Fotoshootings einen Eishang in Island hinabgestürzt. Als sie zum Liegen kam, waren die Beine zertrümmert, die Haut vom Körper gebrannt, die Schulter unbrauchbar. Nun hat sie ein Buch darüber geschrieben, das fulminant beginnt.

"Ich rase weiter über die vereiste Landschaft und merke, dass auch mein linkes Knie sich inzwischen unnatürlich verdreht hat. Ich bin ein funktionierender Geist, gefangen in einem kaputten Körper. In einem Matschkörper."

Die Beine sind wieder gerade

Als Gela Allmann knapp zwei Jahre später als 31-Jährige die Pizzeria Giuseppe in Kolbermoor betritt, sind die Beine wieder gerade. Sie hinkt noch ein wenig, "das Knie ist einfach noch eine Baustelle", was aber kaum auffällt, denn vor allem ist da dieses Lächeln. Sie hat sich noch nicht richtig hingesetzt, da hält sie ihr Handy in der Hand und sagt mit einer Selbstverständlichkeit, als kenne sie ihr Gegenüber schon seit drei Jahren und nicht erst seit drei Minuten: "Ich muss dir unbedingt den Trailer zu meinem Film zeigen. Sogar Basti Schweinsteiger hat ihn auf Facebook geshared."

Im Trailer läuft sie durch eine Landschaft aus Felsen und Schnee. Großaufnahme ihres jungen, fast unnatürlich hübschen Gesichts. Lange Haare, ernster Blick. Schnitt. Schnee fliegt, dann ein Helikopter. Röntgenbilder von einem Knie, das sich scheinbar langsam verformt. Eine Männerstimme, die meint, dass nichts mehr von dem da sei, was Gela wichtig ist. Dann eine junge Frau mit Narben auf dem Gesicht, eingepackt in Verbände, der ganze Oberkörper verkabelt. Als der Trailer vorbei ist, sagt Gela Allmann. "Cool, oder?"

Zuhause in der Chillertal-Gang

"Mein Hintern gleicht noch immer dem eines Pavians, und ich beginne mir an diesem Tag ernsthaft Gedanken über meine vielen Narben zu machen. Werden sie am Hintern wieder verschwinden? Was ist mit meinen Beinen und meiner Schulter?"

Gela Allmann bestellt eine Pizza, von der sie trotz der gerade absolvierten Reha-Einheit nur die Hälfte essen wird, und sagt: "Mir ist alles zugeflogen." Sie erzählt von einer Kindheit nördlich von München zwischen Obstbäumen und Sträuchern in Markt Indersdorf, wo zwar nicht alles perfekt ist, aber doch sehr viel schöner als anderswo auf der Welt. Gela Allmann, das jüngste von fünf Kindern, weiß das zu würdigen. "Ich bin unfassbar behütet aufgewachsen."

Im Sportstudium mit Schwerpunkt Medien und Kommunikation beginnt sie, die Berge hochzulaufen, erst nur im Sommer zu Fuß, dann auch im Winter auf Skiern. Die Menschen in ihrem Umfeld heißen Cookie und Tschetti und die Clique, mit der sie regelmäßig ins Zillertal fährt, ist die Chillertal-Gang. Sie arbeitet als TV-Redakteurin mit Schwerpunkt Sportthemen und als Modell für Fitnesszeitschriften und Sportartikelhersteller. "Ich war jeden Tag woanders, es lief alles super." Sie gewinnt Bergläufe auf die Zugspitze oder rund um die Drei Zinnen. "Ich habe gekotzt und bin weitergelaufen." Es ist ein Leben wie ein Rausch, und nach dem Rausch kommt der Kater.

"Teilweise schreie ich laut auf, wenn ich nachts in meinem Bett liege und eigentlich Ruhe finden sollte. Tränenüberströmt liege ich dann da, unfähig, mir die Tränen aus den Augen zu wischen oder irgendetwas an der Situation zu ändern."

"Ich war schon immer ein Tagebuch-Mädchen"

Gela Allmann schiebt ihre halbe Pizza über den Tisch - "darf ich dir mal ein Stück geben" - und meint: "Der Psychologe hat gesagt, dass die Zeit nach dem Unfall für jemanden wie mich noch schlimmer ist." Je wilder der Rausch, desto heftiger der Kater. Das Schreiben wird ihr ein Ventil, "wenn ich abends geheult habe", ein Ersatz für das Laufen, das ihr nicht einmal ihr häufig am Krankenbett wachender Mann ersetzen kann. Immerhin liegt sie ein halbes Jahr in verschiedenen Krankenhäusern, und sie meint: "Ich war schon immer ein Tagebuch-Mädchen."

Wenn sie heute zurückdenkt an die Zeit vor dem Unfall, meint sie: "Ich hatte früher diese positive Naivität." Manchmal wirkt es, als habe sie die noch immer, das Chillertalgangmäßige, was nicht heißt, dass man sie unterschätzen sollte. Wenn ihr eine Frage nicht klar erscheint, sagt sie so höflich wie direkt: "Was bezweckst du mit der Frage?" Als sie dem Magazin Focus im vergangenen Jahr ein Interview gab und erwähnte, dass sie vielleicht ein Buch schreiben wird, meldeten sich nach Veröffentlichung sofort mehrere Verlage.

"Oder wenn ich tatsächlich meine ersten eigenen Schritte machen könnte? Und eine richtige Dusche . . . Wie sehr sehne ich mich nach einer richtigen Dusche oder einem ganz normalen Gang auf die Toilette?

"Vielleicht sind Sportler an sich exhibitionistisch"

Jetzt ist sie auf Vortragstour mit ihrem Buch, posiert im Playboy und in Bergmagazinen, erzählt ihre Geschichte immer wieder. Ob sie ein wenig zum Exhibitionismus neigt? "Vielleicht sind Sportler an sich exhibitionistisch." Sie gibt vieles preis von sich, vor allem das Schöne, aber auch das Hässliche. Allmann hat es geschafft, ihre Versehrtheit in eine Stärke zu verwandeln. Das Model für diverse Marken entwickelt sich damit zur eigenen Marke.

Auf Facebook hat sie fast 3000 Follower, mehr als 16 000 Likes und unzählige Bilder. Ihr Rechtsstreit mit der Zeitschrift, für die das Fotoshooting auf Island mit dem verheerenden Sturz stattfand, wurde von den Medien verfolgt. Als ihr Buch "Sturz in die Tiefe" erscheint, ist sie wenig später bei "Blickpunkt Sport", im Frühstücksfernsehen von Sat 1 und bei Markus Lanz zu sehen, obwohl das Buch nach fulminantem Beginn vor allem in der zweiten Hälfte einige Kürzungen verdient gehabt hätte. Aber ihre Geschichte berührt die Menschen. Denn es ist nicht nur eine Geschichte über Sturz, Morphium und letztlich auch den Prozess des Erwachsenwerdens. Es ist vor allem eine über den Kampf, wieder aufstehen zu wollen.

"Eines meiner großen Ziele habe ich tatsächlich erreicht. Ich habe auf Skiern auf einem Berg gestanden. Aber habe ich damit mein altes Leben auch wirklich zurück? Ich beiße mir auf die Lippen, warte ab, bis das Elektrogerät seinen Durchgang automatisch beendet."

Weder Bänder noch Menisken - nur noch kaputte Knorpel

Die Beine werden sie nie wieder so schnell den Berg hochtragen wie einst. Zwar lässt sich der rechte Fuß fast ein Jahr nach der Nerventransplantation endlich wieder bewegen, aber im Knie sind weder Bänder noch Menisken, dafür "super kaputte Knorpel".

Narben werden bleiben, aber das stört sie nicht mehr. Dafür gibt es genügend Menschen in ihrem Umfeld, die ganz offen zugeben, sie wären gerne ein wenig wie Gela, was wohl eng mit der Frage zusammenhängt, ob Glücklichsein tatsächlich eine Wahl ist oder einem einfach in die Wiege gelegt wurde. Sie sagt jedenfalls: "Als ich neulich an der Piste entlang auf einer ganz einfachen Skitour war, hatte ich den blauesten Himmel, den es gibt."

Dann verabschiedet sie sich in Richtung Grasbrunn, ihrem Wohnort. Der Fuß knickt leicht weg, sie lächelt und sagt noch leise und freundlich: "Schreib' nichts zu Gemeines über mich." Wieso sollte man das?

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