Wassersport:Neuland

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Die Fürstenfeldbrucker Wasserratten bieten jungen Flüchtlingen Schwimmkurse an. Eine Frage der Ehre für den Verein, dem Spitzenkräfte und Talente fehlen

Von Daniel Siebenweiber

Fürstenfeldbruck - Modeste steht als einziger noch am Rand des Nichtschwimmerbeckens. Mit dem Schwimmbrett in der Hand, leicht nach vorne gebeugt, bereit zum Sprung. Der 21-jährige Kongolese trägt Vollbart und schaut angespannt vom Beckenrand hinunter auf seine Mitschüler, die längst im Wasser planschen. Fast eine Minute harrt er in dieser Position aus, wackelt ein paar Zentimeter nach vorne, dann wieder zurück. Bis er die Übung abbricht. Er traut sich das nicht zu - noch nicht. "Ich war noch nie in einem Schwimmbecken", sagt er. Es ist die erste Schwimmstunde seines Lebens.

Seine Trainerin ist Gitti Hinz, 68 Jahre alt und Ehrenmitglied beim Schwimmverein Fürstenfeldbrucker Wasserratten. Der Kurs für jugendliche Flüchtlinge, der am Mittwochabend erfolgreich endete, war ihre Idee. Bei einem Fußballturnier für Asylbewerber im vergangenen Sommer habe sie deren "große Nachfrage nach Sport" festgestellt. "Sie haben ja sonst nicht viel", sagt sie: "Bevor sie irgendwo rumhängen, sind sie hier gut aufgehoben."

Anne Tecklenborg bestätigt das: "Sport ist total wichtig für sie." Die Sozialpädagogin kümmert sich an der Brucker Berufsschule um die Klasse junger Flüchtlinge, die nun den kostenlosen Schwimmkurs besucht. Der Sport gebe den Jugendlichen die Möglichkeit, "sich auszupowern oder sich zu entspannen". Gezielte Angebote für Flüchtlinge, wie sie einige Vereine leisten, seien sehr wichtig, sagt Tecklenborg, wünschenswert wären mehr davon. Schließlich seien alleine im Landkreis Fürstenfeldbruck Hunderte Flüchtlinge in Massenunterkünften untergebracht - ohne tägliche Beschäftigung. Weil sie nichts zu tun hätten, bestehe ständig die Gefahr, "in ein Loch zu fallen", sagt die Sozialarbeiterin.

"Ab die Post", ruft Gitti Hinz den jungen Flüchtlingen aus Kosovo, Afghanistan, Syrien, Senegal und der Demokratischen Republik Kongo zu, die sich in letzter Zeit jeden Mittwoch im Fürstenfeldbrucker Hallenbad eingefunden haben.

Gerade hat sich das großräumige Schwimmbad geleert, die öffentliche Badezeit ist vorüber. Die jungen Männer, zwischen 17 und 25 Jahre alt, bilden einen Halbkreis um die Trainerin und lauschen ihren Anweisungen. Nach einer kurzen Trockenübung sollen sie mit einem kleinen Schwimmbrett in der Hand vom Beckenrand ins Wasser springen. Das Becken ist nicht tief, das Wasser geht den Jugendlichen gerade einmal bis zum Bauchnabel. Dann springt der erste, die nächsten beiden hüpfen gleich hinterher. Mit leuchtenden, leicht geröteten Augen und mit einem breiten Lachen im Gesicht versuchen sie ihre erste Bahn im warmen Wasser zu schwimmen.

"Es ist sehr, sehr schwer. Aber es macht Spaß": Flüchtlinge wie der Kongolese Modeste (re.) lassen sich gerne das Schwimmen beibringen. (Foto: Johannes Simon)

"Wir machen nichts Außergewöhnliches", sagt der Präsident des Schwimmvereins, Stefan Sponer: "Wir nutzen nur die Möglichkeiten, die wir haben." Es sind begrenzte Möglichkeiten. Denn im Moment beschäftigen andere Probleme den Verein: Nachdem einige Spitzenschwimmer aufgehört haben, konnten diese nicht ersetzt werden. Den Wasserratten fehlt der Nachwuchs. Dabei treten ihre Leistungsschwimmer regelmäßig bei Wettkämpfen an, ihre Wasserballmannschaft spielt in der Oberliga Bayern. "Wir können erwachsenen Schwimmern wenig bieten", sagt Vize-Präsident Thorsten Schulz: "Unsere Räumlichkeiten sind sehr begrenzt."

Die stärkste Leistungsgruppe der Schwimmer trainiert und kooperiert inzwischen mit dem Münchner SC Prinz Eugen, die Wasserballer können ihre Heimspiele nur im Sommer austragen, weil nur das Freibecken über die gesamte Länge tief genug ist. Für die jungen Flüchtlinge ließ sich dennoch ein kleines Becken finden, wenn auch nur an einem einzigen freien Termin in der Woche, nach dem sich auch Trainerin Gitti Hinz richten musste. "Wenn wir die Gitti nicht hätten, könnten wir den Kurs nicht anbieten", sagt Präsident Sponer. An Projekten wie diesen zeige sich, wie wertvoll "die Alten" mit ihrer Lebenserfahrung und ihrem Fachwissen für einen Sportklub seien - zumal sie beides ehrenamtlich einbringen. Für Sponer ist ein Verein im Idealfall wie ein "lebendiges Mehrgenerationenhaus", bei dem sich alle einbringen, auch nach dem Ende der aktiven Karriere. Wie wichtig ein solches Engagement für die Asylsuchenden ist, verdeutlicht Sozialpädagogin Tecklenborg: Von den 300 Euro Taschengeld, das jedem Flüchtling monatlich zustehe, bleibe nach dem Kauf von Lebensmitteln nichts übrig für einen Mitgliedsbeitrag im Sportverein. Die Schüler wollten aber gerne Schwimmen lernen, und deshalb habe sie sich an die Fürstenfeldbrucker Wasserratten gewandt. Dort lernte sie Gitti Hinz kennen. Das Projekt war geboren.

Als Hinz die Angst des jungen Kongolesen am Beckenrand bemerkt, geht sie ruhig auf Modeste zu und weist ihn zu den Stufen, die auf einer Beckenseite ins Wasser führen. Langsam gleitet er ins 30 Grad warme Nass. Dort empfängt ihn Gitti Hinz' Assistentin. Sie holt ihm bunte Schaumstoffschlangen und legt sie ihm um den Rücken. "Es ist sehr, sehr schwer", sagt er und guckt zu seinen Mitschülern hinüber, "aber es macht Spaß". Immer wieder hallt das herzliche Lachen der jungen Männer durch das ansonsten leere Hallenbad, der Spaß steht bei den Schwimmstunden im Vordergrund.

Schwimmen hilft Flüchtlingen dabei, ihrem schwierigen Alltag eine Bedeutung zu geben. (Foto: Johannes Simon)

Bei Modeste bleibt es beim Planschen. Er wird am Ende einer der wenigen Teilnehmer sein, die den Kurs nicht bis zum Ende besuchen.

"Solche Kurse bereichern unsere Vereinsarbeit", sagt dennoch Präsident Sponer, der seit fünf Jahren auch behinderte Schwimmer zu seinen Wasserratten einlädt. "Das macht eine tolle Atmosphäre im Klub aus", sagt er. Die Kosten für den Kurs trug der Verein zunächst alleine. Inzwischen hat die Bürgerstiftung einen Pauschalbetrag von 300 Euro übernommen. Alleine die Hallenbad-Eintrittskarten für die Flüchtlinge sind teurer. Parallel bemühte sich auch Lehrerin Tecklenborg um Fördergelder. Weil Gemeinden allerdings nur diejenigen Flüchtlinge unterstützen, die in der jeweiligen Kommune wohnen, musste sie die Wohnorte der Teilnehmer einzeln anfragen. Nur einer der jungen Männer wohnt in Fürstenfeldbruck, die anderen in naheliegenden Kommunen wie Grafrath, Eichenau oder Türkenfeld.

Zum Abschluss des elfwöchigen Schwimmkurses bekamen die sechs regelmäßigen Teilnehmer ein T-Shirt als Erinnerung. "Alle sind im tiefen Becken geschwommen", berichtet Trainerin Gitti Hinz stolz, "manche sogar in zwei verschiedenen Lagen." Das Projekt ist ein Erfolg und soll fortgesetzt werden - mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Seit zwei Monaten wohnen 29 Jugendliche in einem ehemaligen Hotel in Fürstenfeldbruck. Gitti Hinz würde ihnen am liebsten sofort das Schwimmen beibringen, aber das Bad schließt über die Sommermonate. Ihre erste Schwimmstunde muss noch etwas warten.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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