Volleyball:Bluthochdruck

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Bundesligist TSV Herrsching spielt zwei Sätze lang so gut wie nie in dieser Saison, verliert dann den Faden, die Beherrschung und das Spiel gegen Frankfurt 2:3. Dem Schiedsgericht kommt eine Schlüsselrolle zu.

Von Sebastian Winter, Herrsching

Am Ende sank Schiedsrichterin Daniela Klotz erschöpft in einen Stuhl, mehr zur Beruhigung hatten sie und die anderen Unparteiischen sich ein Feierabendbierchen in der Nikolaushalle geöffnet. Von der Tribüne drangen immer noch unschöne Rufe, aber nicht mehr jene gellenden Pfiffe, die sich kurz nach dem Abpfiff der Partie von Herrschings Volleyballern gegen die United Volleys aus Frankfurt auf Klotz und ihre Kollegen ergossen hatte. Neben "Schieber, Schieber"-Rufen und Schmähungen, die auch für Frankfurts Trainer Michael Warm, der sie an der Seitenlinie mitbekommen hatte, weit unter der Gürtellinie lagen. Kurzum: beim 3:2-Erfolg Frankfurts - nach furiosen zwei Herrschinger Auftaktsätzen - war die Nikolaushalle mal wieder am Siedepunkt.

Die Schiedsrichter hatten ihren Teil dazu beigetragen, indem sie lange Zeit die Herrschinger Fuchteleien und ständigen Beschwerden nicht sanktioniert hatten - außer einmal im Falle von Libero Ferdinand Tille, der im dritten Satz die gelbe Karte sah. Dann, im fünften Satz, beim Ballwechsel zum 7:9 aus Herrschings Sicht, hatten sie erst zweimal zugunsten der Gäste entschieden, was zumindest stark anzuzweifeln war. Die TSV-Spieler und ihr Trainer Max Hauser zeigten sich fassungslos, die Emotionen kochten über, dann zog die Schiedsrichterin plötzlich die rote Karte gegen Hauser hervor - automatisch gibt es dann einen Punkt für den Gegner. Hauser war nun völlig fassungslos, später sagte er etwas abgekühlt: "Es geht in Ordnung, dass Frankfurt gewonnen hat, aber die rote Karte regt mich auf. Der zweite Schiri behauptet steif und fest, ich hätte ihn angeschrien. Ich bin der Meinung, ich habe ihn nicht angeschrien. Ich glaube ja immer noch, er hat mich verwechselt. Bei 9:7 eine rote Karte ist jedenfalls ein wichtiger Knackpunkt." Herrsching kam zwar nochmals heran auf 10:10, ließ dann aber fünf Frankfurter Punkte in Serie zu.

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(Foto: imago/Oryk HAIST)

Emotionaler Abend: TSV-Zuspieler und -Kapitän Michal Sladecek sitzt entnervt auf dem Boden.

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(Foto: imago/Oryk HAIST)

Frankfurts Patrick Steuerwald jubelt.

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(Foto: imago/Oryk HAIST)

TSV-Trainer Max Hauser blickt fassungslos auf seine rote Karte.

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(Foto: imago/Ulmer)

Insbesondere in den ersten beiden Sätzen schlagkräftig: das Team aus Herrsching mit einem überzeugenden José Pedro Maia Gomes.

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(Foto: imago/Oryk HAIST)

Vergebliche Abwehr: Michael Sladecek und Wilhelm Nilsson.

So fühlten sich diese zwei Stunden in der Nachbetrachtung trotz des gewonnen Punktes schal an aus Herrschinger Sicht, irgendwie unbefriedigend. Dass sie dieses Spiel gegen den mit dem Ex-Herrschinger Patrick Steuerwald angereisten Tabellendritten noch aus der Hand gegeben haben, können sie allerdings nicht dem Schiedsgericht ankreiden. Das haben sie sich ganz alleine zuzuschreiben. Die Herrschinger waren ja in den ersten beiden Sätzen wie ein Orkan über die favorisierten Gäste hinweggefegt, und das ohne ihren kurzfristig erkrankten wichtigen Außenangreifer Tom Strohbach, der vom zunächst sehr guten Tim Peter ersetzt wurde, dem der ebenfalls überzeugende Jose Gomes half.

Zuspieler Michal Sladecek und Diagonalmann Christoph Marks brachten Frankfurts Annahme um den früheren Nationalspieler Sebastian Schwarz mit gewaltigen Sprungaufschlägen zur Verzweiflung, sie alleine schlugen nicht weniger als sieben Asse. "Es war Wahnsinn, hier zu spielen, ich habe die Herrschinger noch nie so stark spielen sehen wie in den ersten beiden Sätzen", sagte Frankfurts Trainer Michael Warm: "Wir hatten zunächst keine Chance gegen das Risiko, das sie gegangen sind." Zudem pflückte Herrschings Block - und dort insbesondere Andre Brown - so viele gegnerische Angriffe herunter, dass Frankfurts Angreifer irgendwann völlig verunsichert waren. Es war eine Machtdemonstration, und eine Demontage für Frankfurt.

Nach zwei Sätzen war dann die Zehn-Minuten-Pause, in der Warm seiner Mannschaft nur eine Bitte auftrug: "Wir müssen die Annahme stabilisieren." Das gelang, auch weil er Schwarz auswechselte und dessen Ersatzmann Robert Aciobanitei Sicherheit brachte. Die Herrschinger konnten ihrerseits den Aufschlagdruck nicht aufrechterhalten, sie wurden auch in der Annahme schludriger - und begannen vor allem zu lamentieren. Sladecek motzte an der einen Entscheidung herum, Tille an der anderen, sie wurden immer ungehaltener, und irgendwann wich die positive Spannung einer eher negativen Grundstimmung. "Die Herrschinger überpacen im Lauf des Spiels und schwächen sich dadurch selbst", fand Warm, dessen Mannschaft meist ruhig geblieben war.

Tille, schon immer einer derjenigen, die öfter mal eine gelbe Karte sehen, entgegnete, er brauche die Emotionen. "Klar muss man aufpassen, wie man sie lenkt. Ich finde es aber schade, dass im Volleyball gleich alles unterbunden wird, das macht das Spiel doch aus." Als er sich im Tiebreak beim 4:4 wieder einmal über eine Entscheidung der Referees aufgeregt hatte, rutschte ihm direkt danach der Ball bei einer Annahme durch die Finger, was ihm sonst eigentlich nicht passiert. Auch sein Trainer Hauser fand: "Grundsätzlich tut uns das nicht gut, wenn wir so emotional werden, oft werden davon auch Mitspieler beeinflusst." Hauser sagte aber auch: "Wir können nicht im Volleyball mehr Professionalität fordern, aber Emotionen aussperren." Beschimpfung indes hätten auch in Herrsching nichts verloren.

So war es ein Abend, der schnell von null auf 180 ging, an dem die Herrschinger glänzten und sich dann selbst in ihrer Wut verloren. Ein hochklassiger, unterhaltsamer, lehrreicher Abend. An dessen Ende, 90 Minuten nach dem Spiel, Hauser auf der Tribüne immer noch mit den Schiedsrichtern über diese rote Karte sprach.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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