Turnen:Bewegte Geschichte

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Als sich Revolutionäre wie Friedrich Ludwig Jahn über die Kleinstaaterei hinwegsetzen wollten, wurde Turnen in Deutschland populär. Der Turngau München gründete sich vor 150 Jahren - und hat heute so viele Mitglieder wie nie zuvor

Von Stefan Galler, München

Es gab eine Zeit in Deutschland, da war körperliche Ertüchtigung tatsächlich verboten: Während der so genannten Turnsperre, zwischen 1820 und 1842. Die Maßnahme hatte politische Gründe: Turnen wurde als Ausdruck nationalistischer Tendenzen empfunden, die Vertreter der Bewegung wie Friedrich Ludwig Jahn wollten die Kleinstaaterei und die Herrschaft des Adels überwinden (etwa 100 Jahre später wurden die Turner wieder nationalistisch instrumentalisiert). Als die napoleonische Besetzung längst überwunden und auch das Turnen wieder gesellschaftsfähig war, schlossen sich am 16. Oktober 1864 acht Vereine - TSV 1860 München, MTV München, TV Erding, TSV-Jahn Freising, TV Moosburg, TV Nymphenburg, TV Bad Tölz und TV Starnberg - zum Turngau München zusammen. Seither wächst und wächst die Zahl der in Sportklubs organisierten Turner. Zum ersten Gauturnfest 1874 traten 200 Teilnehmer aus 14 Vereinen an, 1904 hatte der Turngau bereits 7500 Mitglieder, 1964 waren es fast 25 000 Sportler in 74 Klubs.

In diesem Jahr, da der Turngau sein 150-jähriges Bestehen feiert, gehören den Vereinen in Stadt und Landkreis München sowie im Landkreis Freising, der ebenfalls zum Gau zählt, fast 90 000 Menschen in etwa 200 Klubs an. "Auch wenn wir durch Fitnessstudios und die Masse an anderen Freizeitangeboten große Konkurrenz haben, boomt das Turnen nach wie vor, insbesondere bei den Mädchen", sagt Rainer Nothaft, der seit 2007 an der Spitze des Turngaus steht.

Allerdings seien mit "Turnen" keineswegs nur die klassischen Übungen an den Geräten wie Reck und Stufenbarren gemeint. "Bei uns sind auch Vereinsabteilungen mit dabei, die alle Arten von Gymnastik, Rhönrad, Trampolin, Slackline oder Rope Skipping anbieten", sagt Nothaft. Er selbst ist Mitglied des SV 1880 München und organisiert seit 23 Jahren jene Turnjugendtreffen, bei denen um den Münchner Pokal gekämpft wird. Zuletzt fanden diese Wettkämpfe, auf denen bis zu 500 Teilnehmer ein ganzes Wochenende lang turnen und laufen, aber auch tanzen und singen, in Allach und Oberhaching statt. Solche Jugendtreffen des Turngaus sind sozusagen die kleinen Geschwister der großen deutschen Turnfeste. Diese fanden bislang viermal in München statt, 1889 war sogar Prinz Ludwig von Bayern dabei und erwies den damals 20 000 Sportlern seine Wertschätzung. 1923, 1958 und 1998 kamen die Aktiven aus der ganzen Republik wieder zum größten Breitensportereignis der Welt in der bayerischen Landeshauptstadt zusammen, beim Turnfest 1998 waren es 110 000 Teilnehmer. "Damals war die ganze Stadt involviert, eine Riesengeschichte", sagt der Gau-Vorsitzende Nothaft.

Der Bayerische Turnverband (BTV) ist in sieben Bezirke aufgeteilt, diese gliedern sich in insgesamt 26 Gaue. Der Turngau München ist nicht nur der größte davon, sondern bringt auch immer wieder international erfolgreiche Leistungsturner hervor. "Wir haben da ein bisschen Glück, dass wir ein Leistungszentrum haben und mit unseren Vereinen gute Angebote in zentraler Lage machen können", findet Nothaft. Nur so ließen sich Spitzensportler wie der zweimalige Olympiamedaillengewinner Marcel Nguyen oder das neueste Toptalent des TSV Unterhaching, Felix Remuta, entsprechend formen und fördern. Dennoch stehe die Arbeit für den Breitensport, die Aus- und Fortbildung von Übungsleitern und Kampfrichtern sowie die Organisation von Veranstaltungen im Mittelpunkt der Tätigkeit des Turngaus.

Über viel Geld verfügen die Offiziellen dabei nicht: Gerade mal 1700 Euro jährlich gibt es vom Bayerischen Turnverband. "Deshalb müssen sich Wettkämpfe und andere Veranstaltungen rentieren", sagt Nothaft. Vor gut zehn Jahren hatten die Turner im Freistaat mit den Folgen eines Veruntreuungsskandals im BTV zu kämpfen: "Damals hatten wir ein Imageproblem und immense finanzielle Sorgen, doch mittlerweile stehen wir wieder auf einer soliden Basis", sagt der Turngau-Chef.

Zum 150-jährigen Bestehen des Turngaus München findet am Samstag in der Halle des TSV Allach (Eversbuschstraße) eine große Turngala statt. Beginn 17 Uhr, Einlass ist um 16 Uhr.

© SZ vom 16.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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