Turnen:Geschickte Druckverteilung

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Felix Remuta (hier mit Oskar Paulicks) könnte seinem Turnteam zum Aufstieg verhelfen. Er ist aber auch von anderen Klubs umworben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Oberbayern-Turner geben sich vor Aufstiegsfinale als entspannte Außenseiter. Dabei geht es auch für sie um viel

Von Andreas Liebmann, Unterhaching

Geografisch Unbedarften mag der Name des Gegners Furcht einflößen: Siegerländer Kunstturn-Vereinigung. Wer aus dem Siegerland kommt, sollte - nomen est omen - eigentlich sehr locker in jedes Aufstiegsfinale gehen, mit einem solchen Namen ist Verlieren ja doch eher unwahrscheinlich. Aber das ist natürlich Quatsch. Das Siegerland heißt nur deshalb Siegerland, weil es um die Stadt Siegen herum drapiert wurde, übrigens Geburtsstadt des Malers Peter Paul Rubens. Die Stadt wiederum heißt so, weil sie an einem Fluss namens Sieg liegt, dessen Name sich von einem althochdeutschen Wort für fließen ableitet, oder auch: sinken.

Kurzum: Die Turner von Exquisa Oberbayern können ruhig mal antreten gegen die Siegerländer KV. An diesem Sonntag entscheidet ihr Duell im Rahmen der Aufstiegsfinals in Bühl, welcher der beiden Zweitliga-Meister den letzten freien Platz in der ersten Bundesliga einnehmen wird.

Favorisiert ist die Siegerländer KV, nicht zuletzt weil sie in der Nordgruppe ohne Niederlage Meister wurde, mit 80:4 Gerätepunkten. Das Team Oberbayern dagegen, der Zusammenschluss aus Vereinen wie TSV Unterhaching, TSV Unterpfaffenhofen-Germering und TSV Weilheim, bezog im Süden eine Niederlage (gegen Singen, was ähnlich, aber weniger Furcht einflößend klingt als Siegen, und wo übrigens der Maler Otto Dix starb); mit 64:20 Gerätepunkten schlossen die Oberbayern ihre Runde ab. Oskar Paulicks, Abteilungsleiter des TSV Unterhaching, sagt: "Wenn die top durchturnen, wird es schwer, aber jeder Wettkampf fängt bei null an." Die Gegner hätten hochkarätige Turner, "aber sie sind keine Lichtjahre von uns entfernt". Sein Team sei sehr ausgeglichen besetzt, es gehe ja oft auch darum, wie auf den hinteren Positionen geturnt werde.

Die Siegerländer sind zuversichtlich. Sie kamen als Absteiger aus der ersten Liga, wohin sie schnellstmöglich wieder zurückwollen, und sie kündigen Bestbesetzung an. Damit dürfte der noch unbezwungene Ringe-Spezialist Alex Bubnov dabei sein, ebenso sein US-Landsmann Matthew Felleman, vielleicht auch Bram Louwije, einer von zwei Belgiern. Die Auswahl ist groß. Letztlich spiele das aber keine entscheidende Rolle, sagt Jakob Paulicks, der die Oberbayern coacht. Pro Gerät darf ohnehin nur ein Ausländer ran. Allerdings hat Siegerland mehr zu bieten: "eine coole Mischung" aus Jungen und einigen Routinierten, wie Jakob Paulicks findet, darunter der erfahrene Jonas Rohleder und der "Weltklasseturner" Philipp Herder, den sein Verein eigens vom Weltcup in Mexiko losgeeist habe. "Das zeigt, dass sie Respekt vor uns haben", folgert Jakob Paulicks. "Eigentlich hätten sie den Aufstieg ja verdient", findet der 25-Jährige, "aber wir wollen natürlich keine Geschenke verteilen."

Verstecken müssen sich die Oberbayern nicht. Ihre Ungarn David Veczernyes und Bank Selmeczi seien nicht schlechter als die Legionäre des Gegners, und der 17-jährige Felix Remuta führt die Scorerwertung der Südgruppe mit 99 Punkten an. So viel hat kein Siegerländer gescort. Der Druck lastet auf dem Gegner: "Die stehen unter Zugzwang, wir sind entspannt", sagt Jakob Paulicks. "Für uns ist das nur das Schmankerl einer genialen Saison."

Mit Entscheidungskämpfen haben die Siegerländer schlechte Erfahrungen. Vor zwei Jahren unterlagen sie im Finale um den Erstliga-Aufstieg dem FC Bayern München mit 31:34 Scorerpunkten. Es war ein Krimi, zur Halbzeit hatten sie noch 19:14 geführt. Wenige Wochen später löste der FC Bayern seine Turnabteilung auf, die Siegerländer rückten nach. Aus Liga eins stiegen sie jedoch gleich wieder ab. Gegen den Vorletzten Halle/Chemnitz gab es am letzten Wettkampftag zwar den nötigen Sieg (38:33), jedoch mit weniger Gerätepunkten als Halle (5:7), weshalb es - wieder knapp - nicht reichte zum Ligaverbleib.

Vor zwei Jahren, als der FC Bayern in Hamm die Siegerländer bezwang, feierte er übrigens gemeinsam mit dem Team Oberbayern. Denn das hatte zuvor in seinem Finale den Zweitliga-Aufstieg geschafft. Nun winkt die erste Liga, und es stellen sich viele Fragen: Wäre Remuta noch zu halten, falls es nicht klappt mit dem Aufstieg? Tendenz: nein. "Klar ist er umworben", sagt Hachings Abteilungsleiter Oskar Paulicks. Er sei "einer der Handverlesenen, die sich in der Nationalmannschaft etablieren werden". Und man müsse jeden verstehen, der in der kurzen Zeit als Leistungsturner auch etwas Geld verdienen wolle. Oder würde - falls es doch klappt - der Hauptsponsor sein Engagement aufstocken? Oskar Paulicks ist da offenbar zuversichtlich, er sagt: "Exquisa ist uns gewogen und hat sich immer auch an der Liga orientiert." Und würden dann vielleicht sogar Hachinger Zöglinge heimkehren, etwa der Olympia-Zweite von London, Marcel Nguyen, oder der ebenfalls für den Erstligisten Straubenhardt aktive Lukas Dauser? Jakob Paulicks, der für den Erstligisten KTV Obere Lahn antritt? "Alles denkbar", sagt dieser, im Training habe er mit Nguyen darüber gescherzt. Ernsthafte Gedanken könne man sich später machen. Im Erfolgsfall wären das Themen für die nächsten Wochen. Jakob Paulicks und der heutige Exquisa-Turner Jakob Glück haben damals übrigens für den FC Bayern gegen Siegerland geturnt. "Wir wissen also, wie es geht."

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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