Trabrennen:"Wer jetzt noch dabei ist, das sind die ganz Harten"

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Einst war der Weihnachtsrenntag Daglfings lukrativer Jahreshöhepunkt. Diesmal stand er kurz vor der Absage. Die Aktiven schwanken zwischen Frust und Zuversicht wegen des neuen Vermarkters

Vor ziemlich genau 150 Jahren haben die Münchner den Trabrennsport entdeckt. Auf der Theresienwiese fanden damals die ersten Rennen statt. Im Jahr 1902 gründete sich der Münchner Trabrenn- und Zuchtverein (MTZV), der in Daglfing ein neues Geläuf eröffnete, im Beisein des Kronprinzen und späteren Königs Ludwig III. Bis zur Eingemeindung nach München im Jahr 1930 entwickelte sich der Pferdesport sogar zur Haupteinnahmequelle der kleinen Gemeinde im Nordosten; in den 1920er Jahren fanden in Daglfing auch Windhund-, Auto- und Motorradrennen statt. Schon 1909 stand hier die erste große Tribüne für 1000 Zuschauer.

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit bietet sich eigentlich immer an, wenn, wie am vergangenen Samstag, in Daglfing Weihnachtsrennen stattfinden. Denn auch sie haben eine lange Tradition. Meist waren sie das große Saisonfinale, mal als Weihnachtspokal, mal als (Internationaler) Weihnachtspreis, mal als Weihnachtspreis der Amateure. 1946 etwa ging es im Hauptlauf um 40 000 Mark (die Stute Fulda gewann), zwischen 2005 und 2010 waren es 30 000 Euro. Damals, als Weihnachten manchmal noch Schnee lag. Bis 2012 lobte der Hauptverband für Traberzucht 25 000 Euro aus, ehe er seinen defizitären Zuchtlauf in München einstellte. Und heute? Waren in jedem der acht Läufe, die lustige Namen trugen wie "Frohe-Weihnachten-", "Glühwein-" oder "Auf-Wiedersehen-in-2016-Rennen", noch je 1000 Euro zu verdienen. Von den 500 Euro für den Sieger gehen zehn Prozent an den Trainer und 90 an den Besitzer, genau wie bei den Zweit- bis Fünftplatzierten, unter denen die restlichen 500 Euro aufgeteilt werden.

Die üblichen Verdächtigen halten Daglfing die Treue: Hier gewinnt Georg Frick das Buon-Natale-Rennen mit Athenor. (Foto: Claus Schunk)

Die Meldefrist für die Weihnachtsrennen in Daglfing hatte sogar verlängert werden müssen, um genügend Starter zu finden. Sonst wären sie ausgefallen. "Wir sind sehr bemüht, den Renntag abzuhalten und bitten deshalb um Angabe von weiteren Pferden", hatte der Vorstand Tage zuvor geschrieben. Letztlich rafften sich doch noch genügend der üblichen Verdächtigen auf: Rudi Haller, Georg Frick, Herbert Strobl, Andreas Schwarz, jeder kam auf einen Sieg, Gerhard Biendl sogar auf zwei.

Der deutsche Trabrennsport hat seine Glanzzeiten hinter sich. In Daglfing ist das immer wieder zu sehen, wenn sich einige hundert Rennbahngänger vor riesigen Tribünenhäusern aus Glas und Beton verlieren. Am Samstag war das anders: Etwa 2000 Besucher füllten Tribünen und Traberstadl. Man ist auf Schätzungen angewiesen, es wird kein Eintrittsgeld verlangt. Doch auch 84 000 Euro Umsatz waren bemerkenswert. "Das war einer unserer stärksten Renntage", verkündete die Vorsitzende Angelika Gramüller erleichtert.

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(Foto: oh)

Josef Franzl, 44, Berufsfahrer und -trainer aus Sauerlach, 2012 Traber-Derby-Sieger: "Der Einstieg des französischen Vermarkters PMU gibt uns allen Hoffnung. Seit einigen Wochen wissen wir, dass es viele PMU-Rennen in Deutschland geben wird, die gut dotiert sind, zwischen 4500 und 10 000 Euro. Das ist ein Aufschwung. Was fehlt, ist die Anzahl der Pferde, die war in den letzten Jahren rückläufig. Ich selbst darf mich nicht beschweren, ich habe dieses Jahr einiges gewonnen, dafür lege ich aber auch Kilometer zurück. Berlin, Hamburg, vor drei Wochen Florenz, im Januar Paris - wenn du das nicht machst, hast du verloren. In Daglfing, glaube ich, wird es sehr bald eine Lösung für die nächsten Jahre geben. Am vernünftigsten wäre es, wenn sich beide Münchner Rennvereine einen Platz teilen."

Rudi Haller, 50; Münchner Trabertrainer, 2015 nach zehn Jahren aus Österreich heimgekehrt: "Ich bin in der glücklichen Lage, nach meiner Rückkehr am Hof der Familie Lindinger (Aschheim) untergekommen zu sein. Auf eigene Rechnung ist es schwer. Wir hatten ein super Jahr: Mehr als 100 000 Euro bei 120 Starts! Aber allgemein läuft es schlecht. Daglfing ist meine Heimatbahn. Wenn es hier für einen Sieg 500 Euro gibt, aber das Pferd im Monat 1000 Euro kostet, ist klar, dass viele abspringen. Es soll ein Hobby sein, aber so viel will niemand draufzahlen. Wer jetzt noch dabei ist, das sind die ganz Harten! In Österreich, Holland und bei uns läuft gar nichts, in anderen Ländern schon, irgendwas haben die Hauptverbände dort besser gemacht. Unsere einzige Chance ist, dass uns die Franzosen am Leben halten. Aus eigener Kraft geht nichts, es ist einfach kein Geld da. Ich wüsste ja selber gern, was genau man ändern müsste. Ich weiß nur: Die Leute wären leicht wieder zu begeistern."

Gerhard Biendl, 58; Trainer und Fahrer in Daglfing; je zwei Siege beim Deutschen Traber-Derby und im Deutschen Traber-Championat: "Es steht gar nicht so schlecht um unseren Sport, weil dank der PMU-Rennen wieder Geld reinkommt. Es werden immer mehr. Die Gewinnmöglichkeiten sind um ein Vielfaches gestiegen. Allein im Januar haben wir in München drei PMU-Rennen, in Berlin am Samstag sind es sieben, alle dotiert mit 6000, eins sogar mit 15 000 Euro. Deshalb war es auch so schwierig mit dem Weihnachtsrenntag: Die meisten wollten ihre Pferde für die PMU-Rennen schonen. Ich hoffe, dass bald Besitzer zurückkommen oder wieder mehr Pferde anschaffen. In Daglfing geht es sicher weiter, die nächsten fünf, zehn Jahre wird sich nichts ändern. Woanders wäre es ja auch nicht besser. Ich bin jetzt 58, Gott sei Dank: Bis zu meiner Rente wird der Sport hier durchhalten."

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(Foto: Andrew Mobley; oh)

Jochen Haide, 47, Trabertrainer aus Sauerlach: "Viele reden es immer noch schön, aber es ist vorbei. Unser Sport ist nicht mehr zu finanzieren, es fehlen Pferde und Besitzer, das Wettgeschäft stagniert. Man muss das akzeptieren. Ich finanziere Trabrennen nur noch mit Freizeitpferden. Früher hatte ich in Arget 50, 60 Pferde im Stall, heute sind es zwölf. Man muss sich damit abfinden, das wird auch nicht mehr besser. Ich hab auch tolle Zeiten erlebt, 1996 habe ich den Großen Preis von Bayern gewonnen. 100 000 Mark gab es da. Was in Daglfing passiert, kann ich eh nicht beeinflussen, da waren immer die falschen Leute vorne dran. Aber unser Sport präsentiert sich auch schlecht. Wenn du heute mit der Familie auf die Rennbahn gehst, langweilt sich die doch zu Tode. Früher war Weihnachten der größte Renntag, dieses Jahr war ich nicht mal dabei. Zum ersten Mal."

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(Foto: Claus Schunk)

Conny Schulz, 35, Tierärztin aus Haar, Amateurfahrerin: "Die Zeiten sind schwierig, aber alle Verbliebenen kämpfen. Deshalb hoffe ich, dass es hier weitergeht, und ich hoffe auf einen möglichst großen Zusammenhalt. Der Weihnachtsrenntag zeigt, dass bei vielen kaum noch Motivation vorhanden ist. Ich bin trotzdem gestartet, Weihnachten gehört das dazu, schon immer. Als Tochter eines Trabertrainers bin ich in diesen Sport hineingeboren. Auch wenn ich zu Studienzeiten mal viel aktiver war: Ich mache weiter, so lange es hier Rennen gibt. Der Einstieg der PMU ist da ganz sicher ein Lichtblick. Ich bin zweckoptimistisch, dass es hier in Daglfing irgendwie weitergeht, weil ich glaube, alle anderen Alternativen wären noch viel schwieriger. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man woanders noch mal etwas Neues aufbauen kann."

Georg Frick, 52, Trabertrainer und -fahrer aus Hohenlinden: "Die Pferde werden weniger, also gibt es weniger Rennen, in denen die immer gleichen Pferde laufen. Das ist für Wetter nicht interessant, darin liegt der Teufelskreis. Der Weihnachtspreis war früher eins unserer besten Rennen, jetzt kratzen wir mit Müh und Not ein paar Starter zusammen. Auch an das Geld von der PMU kommen ja nur die Besten - es müssten aber auch die anderen Rennen höher dotiert sein, um allen zu helfen. Im Westen und in Berlin laufen sie uns den Rang ab, dort verdient man das Doppelte. Aber man kann ja die Pferde nicht ständig rauf karren. Das ist Stress für sie und die Trainer. Ich weiß auch nicht, wie es in Daglfing weitergeht, die streiten ja dauernd. Das Sinnvollste wäre, die Galopper mit ihren sieben Renntagen und wir verkaufen unsere Gelände und bauen mit der Stadt in Fröttmaning neu. Ein Leistungszentrum für alle, das wäre rentabel." Andreas Liebmann

Dennoch wackelt der Standort München. Geringe Dotierungen locken kaum Teilnehmer, für Züchter wie Besitzer lohnte sich der Sport zuletzt nicht mehr. Dazu kommt in Daglfing, dass der MTZV sein Grundstück im Jahr 2005 verkauft und bisher in einem Rechtsstreit nicht zurückbekommen hat. Niemand weiß, wie es damit weitergeht, ob der Vorstand in die Berufung geht, ob es zu einem Vergleich mit dem Käufer kommt. Irgendwann wird wohl in jedem Fall ein Umzug anstehen, wohin auch immer. Vielleicht nach Maisach, wohin die Traberfreunde eigentlich gar nicht wollen. Die unklaren Eigentumsverhältnisse machen es seit Jahren schwierig, auf dem riesigen Gelände etwas zu sanieren oder lukrativ zu vermieten.

All diese Probleme sind den Aktiven lange vertraut. Die SZ hat Daglfings traditionsreiche Abschlussrennen zum Anlass genommen, ein Stimmungsbild bei ihnen einzuholen; bei denjenigen also, die trotz der schwierigen Zeiten weiter durchhalten. Mit welchen Gefühlen blicken sie zurück? Und mit welchen Erwartungen in die Zukunft?

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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