Tennis:Investition ins Körperkapital

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34300 Euro als Trostpflaster: "Es ist auf jeden Fall ein positives Turnier", sagte Peter Gojowczyk nach dem 4:6, 4:6, 2:6 gegen David Ferrer. (Foto: imago/Hasenkopf)

Peter Gojowczyk aus Dachau hat mehr als einen alten Zopf abgeschnitten und sieht sich wieder auf dem Weg nach oben. Trotz seinem Aus in der ersten Runde reist er mit einem guten Gefühl aus Melbourne ab

Von Gerald Kleffmann

Das Ende nahm Peter Gojowczyk souverän hin. Überraschend war es ja nicht, dass er im Duell mit dem Spanier David Ferrer, Nummer acht der Tennis-Weltrangliste und auch beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres an Position acht gesetzt, irgendwann einmal am Netz würde auftauchen müssen, um dem Gegner zu gratulieren. Mit einer 4:6, 4:6, 2:6-Niederlage schied der Dachauer in der ersten Runde der Australian Open in Melbourne am Dienstag aus, Ferrer zeigte, warum er im Ranking 215 Plätze vor Gojowczyk steht und schon fast 30 Millionen Dollar Preisgeld eingespielt hat. In nur einer Stunde und 36 Minuten traktierte er den 26 Jahre alten Deutschen, ließ ihn nach links und nach rechts und noch mal links und rechts laufen, bis es überstanden war. "Es ist auf jeden Fall ein positives Turnier", dieses Fazit hatte Gojowczyk schon vor diesem Match gezogen, 34 300 Euro Lohn für das Erreichen des Hauptfelds waren ja ein netter Trost. Und überhaupt: Er ist wieder da. Das konnte er sich beweisen. Das war das Wichtigste.

Gojowczyk musste zuletzt das durchmachen, wovor es jeden Berufssportler graut: eine Operation mit anschließender langer Pause. Ein sogenanntes Morten-Neurom, ein Geschwulst zwischen zwei Zehen, hatte ihn vor genau einem Jahr so heftig geplagt, dass er in Melbourne damals seine Erstrundenpartie abbrechen musste, im vierten Satz gegen Guillermo Garcia-Lopez; der Spanier traf an diesem Mittwoch in der zweiten Runde auf den einzig verbliebenen Deutschen, Daniel Brands aus Deggendorf, und besiegte diesen 4:6, 6:1, 7:6 (0) und 6:3. "Als es immer schlimmer wurde und ich öfter aufgeben musste, war der Eingriff unumgänglich", schilderte Gojowczyk, der mit zwei, drei Wochen Arbeitsabsenz gerechnet hatte. "Niemand sagte mir, dass es vier Monate dauern könnte." Mit guten Ergebnissen hatte er sich Ende 2014 auf den 79. Weltranglistenplatz vorgearbeitet. Nach der Operation geriet er in die entgegengesetzte Spirale: keine Turniere, keine ATP-Punkte, eine Saison später stand plötzlich Rang 224 hinter seinem Namen. "Ich habe viel auf die Mütze gekriegt", sagt er offen, "anfangs ging das noch." Aber dann fing er doch an, sich zu sorgen.

Die Kunst besteht darin, "sich nicht verrückt zu machen", das hat er als Erkenntnis gewonnen. Zwar fiel ihm beizeiten "die Decke zu Hause auf den Kopf", aber der begeisterte Hobbykoch hielt sich bei Laune, las viel, redete mit Freunden und lernte es zu akzeptieren, dass er Krücken verwenden musste. Ganz zaghaft kamen zwar Zweifel auf, ob er es wirklich zurück auf die Tour schaffen könnte, aber dann musste er ja nur eine DVD einlegen und sich "eines meiner besten Matches" ansehen: Im April 2014, vor seiner Operation, hatte er als Debütant im Davis Cup den französischen Top-Ten-Spieler Jo-Wilfried Tsonga in fünf Sätzen auf höchstem Niveau besiegt, vor einer tobenden Zuschauermenge in Nancy. "Ich krieg heute noch Gänsehaut, wenn ich das Spiel sehe", sagt Gojowczyk.

An solchen Momenten baute sich das einst so hoffnungsvolle bayerische Talent, das eine erfolgreiche Jugendkarriere bestritten hatte, wieder auf. Als Profi machte er erstmals 2012 landesweit auf sich aufmerksam, als er das Qualifikationsfeld eines Grand-Slam-Turniers erreichte. Damals glückte ihm das in Melbourne, diese feine Metropole auf der anderen Seite der Welt spielt offenbar ein bisschen Schicksal für ihn. In diesem Januar erreichte er, anders als vor vier Jahren, über das Vorturnier die Hauptrunde, mit drei souveränen Siegen.

Dass er überhaupt so weit vordrang, hatte er einem ganz anderen Ergebnis zu verdanken. Im September 2015 gewann er ein Challenger, ein Turnier unterhalb der ATP-Profiserie, in Nanchang, China - "sonst wäre ich wohl Richtung 400 gerutscht", vermutet Gojowczyk. So aber katapultierte er sich wieder in die andere, in die richtige Richtung. "Ohne diesen Erfolg hätte ich hier gar nicht die Quali spielen können."

Wenn man den gebürtigen Dachauer richtig verstanden hat, sieht er sich einen Schritt weiter gereift, er will nun entschlossen wieder die Top 100 und vielleicht auch mal die Top 80 angehen, entschlossener vielleicht gar als zuvor. Sein langjähriger Trainer Lars Uebel hatte zuletzt von Gojowczyks Potenzial geschwärmt, ihn aber auch ein bisschen mit der Kritik gekitzelt, er müsse in allen Bereichen professionell das Letzte aus sich herausholen. "Man hat nur eine Karriere", sagte der 35-jährige Berliner Anfang Januar im SZ-Interview. Gojowczyk will diese Worte annehmen - und verkündete nun, dass er erstmals dauerhaft einen Physiotherapeuten auf die Tour mitnehmen wolle. Sein Körper ist ja sein Kapital, und diesen gilt es zu pflegen. "Das Preisgeld von Melbourne wird sofort investiert", erklärte er; ein Freund werde ihn bei den Turnieren fortan behandeln.

Dass er Lust auf Veränderung hat, spürte er schon im Sommer in sich aufsteigen, in Wimbledon schnitt er sich sein Markenzeichen ab, den Zopf. Und im Winter dockte er mit Trainer Uebel sowie seinem Münchner Profikollegen Matthias Bachinger im Tennisleistungszentrum des Bayerischen Verbandes in Oberhaching an. Weniger Einzelgänger ist er dort, mehr im Team, "das macht großen Spaß", sagt er. Und mehr Auswahl bei den Trainingspartnern hat er auch, "wir können auch mal mit Linkshändern üben". Bachinger wird dort vorerst aber fehlen, Melbourne musste der 28-Jährige kurzfristig auslassen, er war verletzt. In München wurde er bereits am Knie operiert und fällt nun sechs Monate aus. "Das Wichtigste ist immer erst mal, dass man fit bleibt", weiß Gojowczyk, er immerhin fliegt mit einem guten Gefühl zurück nach Hause. Er weiß, er kann es noch. "Nur muss ich jetzt dranbleiben", sagt er.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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