Sportschießen:Rios langer Schatten

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"Eine Tortur": Mit einer anstrengenden Qualifikation wollte der Deutsche Schützenbund seine Olympia-Kandidaten auf die nervliche Belastung bei den Spielen vorbereiten. Beim Weltcup in München geht das zu Lasten der Ergebnisse

Von Julian Ignatowitsch, München

Ein echter Fehlschuss. Ausgerechnet zum Abschluss des Schützen-Weltcups in München, ausgerechnet beim bis dato wichtigsten Wettkampf des Jahres. André Link traute seinen Augen nicht. "Na, herzlichen Glückwunsch", habe er sich gedacht, sagte Link hinterher: "Das hat dich jetzt also die Olympia-Qualifikation gekostet." Auf der Anzeigetafel, wo sonst nur Werte jenseits der Neun auftauchen, stand: 1,7 Ringe. Link fiel mehr als 25 Plätze zurück. Ein Materialfehler hatte den Ausrutscher verursacht. "In der letzten Patrone war zu wenig Pulver", erklärte Link und fügte ratlos hinzu: "So etwas ist mir noch nie passiert." Ein Schreckmoment, den jeder Profi fürchtet, besonders in so einer wichtigen Situation. Sekunden später durfte Link dann aber doch jubeln, denn der Name seines Teamkollegen und Rivalen Michael Janker tauchte erst hinter ihm auf, trotz des Fehlschusses. Links Vorsprung war groß genug, es reichte. Kurz: André Link fährt zu den Sommerspielen.

Die Olympischen Spiele im brasilianischen Rio de Janeiro - sie haben aus deutscher Sicht den diesjährigen Weltcup in München überschattet. Denn im Rahmen der Großveranstaltung fiel die interne Entscheidung um die Plätze für Rio. Den Ergebnissen war das eher nicht zuträglich, die deutsche Mannschaft schnitt insgesamt unterdurchschnittlich ab. Nur zwei Medaillen gab es in zehn Wettbewerben: Henri Junghänel holte Silber mit dem Kleinkalibergewehr, Christian Reitz gewann Bronze mit der Schnellfeuerpistole. Beide werden bei den Sommerspielen schießen und gehören dort zu den Medaillenkandidaten.

Das Flair der fünf Ringe: 738 Teilnehmer aus 88 Ländern waren in diesem Jahr beim Weltcup auf der Olympia-Schießanlage in Garching-Hochbrück am Start. (Foto: Robert Haas)

"Man hat unseren Athleten die Bedeutung des Weltcups schon angemerkt", sagte Heiner Gabelmann, Sportdirektor des Deutschen Schützenbundes (DSB), und meinte: im negativen Sinn angemerkt. Mehrere Teilnehmer räumten ein, dass sie vor der Entscheidung sehr nervös gewesen seien. Top-Athletinnen wie Barbara Engländer vom Bund München oder Selina Gschwandtner von der HSG München schafften zwar die Qualifikation für die Spiele, blieben aber weit unter ihrer Bestleistung und verpassten im Weltcup-Wettbewerb jeweils das Finale. Das unübersichtliche Ausscheidungsverfahren gab zudem Anlass zur Kritik. Besonders deutlich wurde Engleder, die als Doppelstarterin am Luft- und Sportgewehr nach Rio fährt: "So eine Tortur möchte ich nicht noch einmal erleben." Über mehrere Monate und die internationalen Wettkämpfe in Pilsen, Bangkok, Rio de Janeiro, Hannover und schließlich München zog sich das interne Qualifikationsrennen, es war ein nervenaufreibender Konkurrenzkampf unter Teamkollegen. "Ich hätte eine schnellere Entscheidung im kleineren Rahmen bevorzugt", sagte Engleder, "so wie beim letzten Mal." Aber genau das sahen die Verantwortlichen anders.

Nach den schwachen Ergebnissen bei den Wettbewerben in Peking 2008 und London 2012 will Bundestrainer Claus-Dieter Roth seine Gewehrschützen diesmal schon früh auf die nervlichen Strapazen eines olympischen Kräftemessens vorbereiten. Beim Weltcup auf der Schießanlage in Garching-Hochbrück herrschte bereits das Flair der fünf Ringe: 738 Teilnehmer aus 88 Ländern waren in diesem Jahr am Start, der Publikumszulauf ist größer als bei den meisten anderen Veranstaltungen. Die Athleten sollten hier unter schärfsten Wettkampfbedingungen also schon einmal einen Vorgeschmack darauf bekommen, was sie in zweieinhalb Monaten in Brasilien erwartet. Der Quali-Marathon soll die Athleten stärken, so die Theorie. "Wir haben jetzt die besten Schützen für Rio ausgewählt", resümierte Gabelmann. In Daniel Brodmeier (Kleinkaliber und Sportgewehr), Junghänel (Kleinkaliber), Link (Sportgewehr) und Reitz (Schnellfeuerpistole) sowie Engleder (Sport- und Luftgewehr), Gschwandtner (Luftgewehr) und Eva Rösken (Sportgewehr) schickt der DSB eine ganze Reihe von Medaillenanwärtern zu den Spielen. Oliver Geis (Schnellfeuerpistole), Julian Justus und Michael Janker (beide Luftgewehr) ergänzen das deutsche Team. Zudem dürfen sich die Pistolenschützen, die im vergangenen Jahr keinen Startplatz für Rio ergattern konnten, dank zweier Doppelstarter nun doch noch Chancen auf eine freie Stelle ausrechnen. Monika Karsch (Luftpistole), in München Elfte, macht sich Hoffnungen.

Einmal mehr machte der Weltcup indes deutlich, dass der Schießsport weiterhin von den Athleten aus China diktiert wird. Sieben Medaillen, davon drei Mal Gold, gingen in das Reich der Mitte. Für das deutsche Team beginnt jetzt die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. "Endlich", entfuhr es Engleder. "Jetzt haben wir das vor Augen, worauf wir mehr als zwei Jahre hingearbeitet haben."

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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