Skicrosser:"Ich falle in kein schwarzes Loch"

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Pilot und Skifahrer: Der Lenggrieser Andreas Schauer hat diese Doppelbelastung in den vergangenen Jahren extrem erfolgreich gemeistert. Nun ist sie doch zu belastend geworden. Er hört auf

Interview von Ralf Tögel

Seit zehn Jahren fährt Andreas Schauer in der Skicross-Nationalmannschaft. In der Saison 2014/15 war der Lenggrieser so erfolgreich wie nie zuvor, erreichte zahlreiche Top-Ergebnisse im Weltcup und beendete mit dem Sieg in Val Thorens eine lange Durststrecke für den Deutschen Skiverband (DSV). Der 30-Jährige ist einer von wenigen Athleten, die neben dem Leistungssport einen Hauptberuf ausüben und nicht bei einer Behörde angestellt sind. Er ist Pilot. Eine Belastung, die nun zu groß geworden ist: Andreas Schauer beendet seine aktive Karriere.

SZ: Was machen Sie am 8. Dezember?

Andreas Schauer: Gute Frage, das weiß ich noch gar nicht genau.

Wissen Sie denn, was an diesem Tag ist?

Wenn Sie so fragen, wahrscheinlich Weltcupauftakt.

Richtig. Ohne Sie?

Das ist sicher.

Auf der DSV-Homepage sind Sie bei den Weltcup-Athleten noch ganz vorne mit Bild gelistet. Macht sich der DSV noch Hoffnung?

Das glaube ich nicht. Ich habe jetzt ein Jahr überlegt und bin letztendlich zu dieser Entscheidung gekommen. Die ist fix und auch so kommuniziert.

Der Spannungsbogen hätte aber gepasst: Vor einem Jahr die beste Saison Ihrer Karriere, dann ein Jahr Pause, um berufliche Weichen zu stellen. In diesem Jahr die Weltmeisterschaft und 2018 als krönender Abschluss die Olympischen Spiele in Pyeongchang. Was ist passiert?

Gute Frage. Nach der letzten Saison, die bis dato meine beste war, habe ich mir Gedanken gemacht, wie es weitergeht. Weil ich gemerkt habe, dass die sechs Jahre, in denen ich das Fliegen und Skicross parallel gemacht habe, mich extrem viel Kraft gekostet haben.

Also sind Job und Leistungssport nicht mehr unter einen Hut zu bringen?

Es gab für mich einfach keine freien Tage. Die anderen hatten im Sommer Zeit für Regeneration, für mich war der Sommer das Schlimmste. Weil ich da voll geflogen bin und zudem trainiert habe. Ich war immer am Limit. Die letzten Rennen zum Beispiel bin ich vor einem Jahr mit Verletzungen gefahren, einmal mit Fieber, da habe ich mir gedacht: Was machst du hier eigentlich? Das ging fünf, sechs Jahre gut, hat mich aber extrem ausgezehrt.

Das Jahr Pause hat also nicht gereicht, um den Akku wieder aufzuladen?

Ich dachte auch, das sei die Lösung. In dem Jahr habe ich aber nie abgeschlossen mit dem Leistungssport, ich habe das verfolgt, immer gedacht, was wäre, wenn ich jetzt mitfahren würde. Im Frühjahr gab es dann Gespräche mit der DSV-Spitze und dem Resultat, dass ich es noch einmal probiere.

Wie ist es gelaufen?

Es war natürlich wieder sehr anstrengend mit dem Fliegen, aber es lief gut. Auch im Winter. Ich hatte 25 Schneetage, ich merkte, es funktioniert, ich bin schnell.

Ab sofort müssen sie ohne Andreas Schauer fliegen: Der beste deutsche Skicrosser (im Bild re.) hat seine aktive Karriere beendet. (Foto: imago)

Und dann?

Es hat sich ja nichts an der Situation geändert, deshalb war für mich entscheidend, was für ein Gefühl ich habe, ob ich es noch unbedingt will. Durch die Freude am Sport habe ich diese Tortur immer gerechtfertigt.

Und der Spaß war weg?

Es war lustig und nett und ich war auch wieder gut, aber mir haben diese letzten fünf Prozent gefehlt. Der unbedingte Wille zu gewinnen, beides zu leben, die Fliegerei und den Leistungssport, das hat mir am Schluss gefehlt. Es war nicht mehr da, ich wusste auch gar nicht recht warum. Ich hätte mich zwingen müssen.

Der schwerste Entschluss in Ihrem Leben?

Ja, es war schon eine sentimentale Geschichte.

Haben die Erfolge von 2015 die Entscheidung erschwert? Schließlich haben Sie mit Ihrem Sieg eine zweijährige Durststrecke des DSV beendet.

Nein, mein Anspruch war immer, in der Weltspitze zu fahren. Ich weiß auch, dass ich es drauf habe, solange ich gesund und verletzungsfrei bin. Wenn ich jetzt mit 80, 90 Prozent rumfahre, immer 20. werde, bringt mir das nichts.

Also ist der Job letztlich doch wichtiger?

Ich fliege wahnsinnig gern, bin sehr dankbar für den Job. Deshalb war klar, wenn ich diese ultimative Freude am Leistungssport nicht mehr spüre, dann macht es keinen Sinn.

Welche Rolle hat Ihr Arbeitgeber gespielt?

Der Lufthansa kann ich überhaupt keinen Vorwurf machen. Es gab die Vereinbarung, dass ich im Winter größtmögliche Freiräume habe, aber im Sommer voll fliege. Aber das Fliegen wird nicht weniger, im Gegenteil, der Flugplan wird größer. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man voll fliegt und voll trainiert.

Wie hat der DSV reagiert?

Das war natürlich für keinen schön, als ich sagte, ich kann so nicht mehr, aber es war auch niemand böse. Vielleicht habe ich es auch aus Respekt noch einmal probiert im Sommer, um etwas zurückzugeben.

Der Skicrosser Andreas Schauer ist also Geschichte, kann es vielleicht einmal den Trainer geben?

Mir wurde angeboten, in einer anderen Funktion im System zu bleiben. In welche Richtung es geht, ob als Trainer, Berater oder Funktionär, kann ich nicht sagen. Aber wir werden noch reden. Jetzt will ich erst einmal Abstand gewinnen.

Wie sieht das aus?

Es ist witzig: Das erste, was ich gemacht habe, war, ich bin in den Skikeller gegangen und habe meine Rennsachen weggeräumt. Ich versuche mich gerade komplett neu zu sortieren.

Droht Langeweile?

Eher nicht, ich bin seit letztem Jahr im Ausbilderteam für staatliche Skilehrer, versuche dort im Winter ein paar Lehrgänge zu fahren. Ich werde mit Kumpels freeriden und Hochtouren gehen, das ist eine Richtung, in die es mich zieht.

Hat jetzt wieder mehr Zeit: Andreas Schauer. (Foto: imago)

Hat das Alter eine Rolle gespielt? Sie sind jetzt 30.

Darüber habe ich auch nachgedacht, aber ich bin körperlich sehr fit im Moment, es wäre bis 32 gegangen, keine Frage. Aber natürlich bin ich nicht mehr 20. Wenn ich mir die jungen Franzosen ansehe, die da fahren, als gäbe es kein Morgen. So ist es bei mir nicht mehr, man wird reifer.

Das Risiko ist ja hoch, es gab schon einen tödlichen Unfall.

Darüber macht man sich natürlich auch Gedanken, und mit 30 ist man nicht mehr so risikoaffin wie mit 20. Aber im Rennen blendest du das aus, sonst kannst du vorne nicht mitfahren.

Es wird sicher auch Menschen geben, die sich über Ihren Entschluss freuen.

Natürlich freut sich meine Freundin, da ich mehr Zeit habe und sie nicht mehr am Pistenrand stehen und hoffen muss, dass nichts passiert. Aber sie hat mich immer unterstützt, stand mir nie im Weg, dafür war ich immer dankbar. Und ich habe jetzt auch Zeit für meine Freunde.

Sie haben Skicross immer als Ihre Leidenschaft bezeichnet, erklären Sie kurz warum.

Ich komme aus dem Alpinen, aber das Leistungssportthema wurde durch das Pfeiffersche Drüsenfieber beendet. Dann habe ich im Skicross etwas entdeckt, das am Anfang ganz entspannt war, es ging uns nicht ums Stangenfahren, ums Rennenfahren. Das hat mich an meine Jugend erinnert. Sobald die Stangen weg waren, sind wir über Schanzen gefahren, Waldwege, Wellen, haben einfach Blödsinn gemacht. Skicross hat das kombiniert, das skifahrerische Können, Vielseitigkeit und Spaß. Dann wurde Skicross olympisch und hat sich innerhalb eines Jahres enorm entwickelt. Mich hat besonders fasziniert, dass man zu viert fährt. Am Start mit drei anderen zu stehen, die testosterongeschwängerte Luft da oben. Man wusste, jeder gibt Vollgas, es gab immer drei Faktoren, die du nie berechnen kannst. Die anderen drei Jungs machen, was sie wollen, das hat einen gewissen Reiz ausgemacht.

Klingt nach Entzug.

Kann ich noch nicht einschätzen, ich habe mir im Sommer viele Gedanken gemacht, aber ich hatte immer die Rückkehroption. Jetzt aber habe ich gespürt, dass ich nicht mehr will. Ich wurde ja nicht rausgeschmissen oder war zu schlecht, sondern es war meine eigene Entscheidung, die auf meinem Gefühl basiert. Ich werde in kein großes schwarzes Loch fallen.

Nun also privat auf der Piste. Müssen die Hobbyskifahrer künftig in Deckung gehen?

(lacht) Nein, ich bin ein sehr sozialer Skifahrer, ich muss keine Aggressionen rauslassen. Ich habe zehn Jahre lang genug riskiert auf der Piste, jetzt schalte ich gerne einen Gang zurück.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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