Serie "Auswärtsspiel":Auf andere Weise

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Boris Turina, 67, hat mit Cordas und Šurbek Tischtennis gespielt. Er war Rockmusiker, ehe er vor dem Jugoslawien-Krieg nach Deutschland floh. Hier trainierte er den Erstligisten Milbertshofen, arbeitete mit Nationalspielern wie Bastian Steger, doch immer blieb er auch umstritten

Von Andreas Liebmann, München

Der Mann, den alle Turko nennen, rollt eine Sporttasche hinter sich her, man hört sie von weitem; in der Hand trägt er eine Plastiktüte. Er hat einen guten Platz für dieses Treffen gewählt: Gebrüder-Apfelbeck-Halle, Milbertshofen. Hier wurden Münchens Handballer 1991 Europapokalsieger, und, viel wichtiger für den 67-Jährigen: Hier gab es viele Jahre lang Erstliga-Tischtennis zu sehen. Die große Halle ist abgesperrt, leider, Boris Turina hätte sie gerne hergezeigt, auch wenn sie - wie der ganze Klub - ihre Glanzzeiten hinter sich hat. Der Mann, der auch sich selbst am liebsten Turko nennt, war hier Anfang der neunziger Jahre mal Cheftrainer.

Die Begrüßung ist freundlich, Turinas Augen leuchten. Dabei hatte er vor der Verabredung einige Warnungen angebracht. Er müsse darauf hinweisen, dass er "im Welttischtennis" ein "besonderer Trainer" sei, einer, dessen Art "nicht unbedingt jedem passt". Und dass seine Geschichte "etwas länger" sei. Also: Zeit mitbringen.

Turina bestellt sich einen Pfefferminztee in der Klubgaststätte, dann beginnt er zu erzählen. Vom Jugoslawienkrieg, vom Taj Mahal, vom Rock 'n' Roll. Und natürlich vom Tischtennis. Er beginnt einfach mal im Jahr 1959, als zwei wichtige Dinge in seinem Leben passierten: Die Japaner erfanden den Topspin, und in seiner Schule in Zagreb war kein Platz mehr im Englisch-Unterricht frei. Also lernte er Deutsch.

Kurz darauf begann Boris Turina Tischtennis zu spielen, im TTC Poštar Zagreb, gemeinsam mit dem späteren DTTB-Trainer Zlatko Cordas und dem zweimaligen Doppel-Weltmeister Dragutin Šurbek. Sechs Jahre später stand Turina auf Position eins der jugoslawischen Jugendrangliste und nahm an der Weltmeisterschaft in Ljubljana teil. Doch für die folgende EM stellte sein Verband ihn nicht auf. Turina war Abwehrspieler, die Funktionäre sahen angesichts der neuen Topspin-Schläge darin keine Zukunft. Turina hielt die Entscheidung natürlich für Unsinn: "Ich habe doch mit zwei der besten Topspinspieler dieser Zeit trainiert", argumentiert er. Jedenfalls sei er beleidigt gewesen, er habe seine Karriere beendet und zwei Jahre lang keinen Schläger angerührt. Später sei er dann mehrmals als Sparringspartner angefragt worden, in der Bundesliga spielte er auch, aber die große Karriere gab es nicht mehr.

Es sind nicht viele Zwischenfragen nötig, wenn Turina erzählt. Man erfährt auch so, dass er seine Spielergeneration für die bestausgebildete aller Zeiten hält; dass er stolz darauf ist, wie viele seiner Landsleute im Gefolge von Eva Jeler und Istvan Korpa das deutsche Tischtennis geprägt haben; dass der Weltverband seine Sportart ruiniere, erst durch Einführung größerer Bälle und kürzerer Sätze, nun durch den Plastikball. Gerade sind in Portugal die Europameisterschafen zu Ende gegangen, und Turina fragt erregt, ob denn niemandem aufgefallen sei, wie häufig Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov an diesem Ball vorbeigeschlagen hätten. Viele Leute wüssten heutzutage nichts mehr über Tischtennis.

Turina nippt am Tee, er schmunzelt. Wie jeden Tag trägt er Sportkleidung, einen schwarzen Trainingsanzug. "Ich könnte drei Tage und drei Nächte nur über Tischtennis reden", versichert er, als würde daran auch nur der Hauch eines Zweifels bestehen. Ehemalige Schüler berichten, dass seine Eloquenz und die Emotionen zu Turinas großen Stärken als Trainer zählen.

Unten im Keller wird er später Stephan Pache trainieren, einen ehemaligen Jugend-Nationalspieler, der für den Regionalligisten Schwabhausen spielt. Auch hier redet er viel, blockt ganz nebenbei Paches harte Topspins, erklärt etwas und schießt dazu krachend den Ball ins Eck. Wenn er mal ausplatziert wird, blickt er zur Decke, breitet die Arme aus und ruft: "Perfekt!"

Man muss Turina zu nehmen wissen, aber er kann faszinieren. Er hat Sport- und Naturwissenschaften studiert. Um zu erklären, wie all die vielen Gelenke vom Zeh bis zum Handgelenk auf jene zwei Finger einwirken, die den Schläger führen, zieht er schon mal den Vergleich zu Ameisen, die die Golden-Gate-Bridge zum Einsturz bringen. Er sei "mit Abstand der schnellste Balleimertrainer der Welt", behauptet er, "das können Sie schreiben!" (Man könnte daraus den hübschen Spitznamen Turbo-Turko entwickeln.) Regelmäßig streitet er mit Experten und Funktionären über Schlagvarianten, über deren korrekte Bezeichnung und Urheberschaft. Immer wieder ist er in kleineren Klubs als Vereinstrainer tätig, seit Jahren etwa in Ebersberg und Karlsfeld. Er arbeitet bei Lehrgängen. Gleichzeitig habe er jeden aktuellen deutschen Nationalspieler außer Patrick Franziska schon am Balleimer trainiert. Turina erhebt Anspruch auf eine Technik, die er Turkos Wisch-Wasch-Tischtennis nennt, bei der der Ball in der steigenden Phase vom Tisch gewischt werden soll. Er fühlt sich nicht nur in diesem Punkt oft unverstanden.

Ende der Sechziger begann Boris Turina Schlagzeug zu spielen. Als Ungelernter trat er mit einer Band namens Drugi način auf, die damals einige Hits hatte. "Andere Weise" heißt das übersetzt. Einzig dank seines Gehörs und seiner Koordinationsfähigkeit vom Tischtennis habe er für den ausgefallenen Schlagzeuger der Band einspringen können, sagt Turina. Er schrieb dann auch Texte, bekam für ein Konzeptalbum sogar eine goldene Schallplatte. Nach drei Stunden Gespräch holt er die alte Platte aus der Plastiktüte, dazu Fotos von sich als langhaarigem Rocker, als Tischtennis-Trainer mit geballter Faust. Und vom kleinen Bastian Steger, den er früher trainiert hat.

Fünf Mal hatte der TSV Milbertshofen 1990 übrigens angefragt, ob Turina nicht Trainer des Erstligisten werden wolle, fünf Mal sagte er ab. Bis am 30. Mai Franjo Tudjman kroatischer Präsident wurde. Turina ahnte den Jugoslawienkrieg voraus und brachte seine Familie in Sicherheit. "Die Leute in Milbertshofen waren stinksauer, aber sie haben mich doch noch genommen", sagt er. Bis heute wohnt er nahe der Halle. Nun zieht Turina ein altes Handy hervor. Er zeigt einige Textnachrichten, verfasst von Bastian Steger, eine nach dem Gewinn der olympischen Bronzemedaille mit dem Team in London 2012. Solche Anerkennung sei das Größte für einen Trainer, findet Turina, mehr wert, als einen Ferrari zu fahren: "Ein bisschen Wisch-Wasch geht noch", steht da, und: "Danke, mein alter Trainer, ein Stück Bronze gehört auch dir."

Letzte Folge. Bisher erschienen: N. Sriram Balaji, Tennisprofi (7.8.); Michael Elmer, Eishockeytrainer (9.8.); Patrick Steuerwald, Volleyballprofi (14.8.); Carlos Escribá Liñero, Hockeytrainer (21.8.); Daniel Heidemann, Fußballtrainer (23.8.); James Craig, Footballtrainer (26.8.); Martin Smolinski, Speedway-Profi (28.8.); John David Hillis, Galopptrainer (30.8); Orkan Balkan und Yasin Yilmaz, Fußballer (3.9.); Nicolas Pohler, Formel-3-Pilot (6.9.); Juan José Castillo Duque, Fußballer (10.9.); Taciana Racende de Lima, Judoka (18.9.), Christian Standhardinger, Basketballspieler (25.9.).

© SZ vom 07.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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