Schwimmen:Unbemerkt untergegangen

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Nach Florian Vogel tritt in Philipp Wolf, 25, der nächste Olympia-Teilnehmer aus München zurück - der Verband nahm nie Notiz von ihm.

Von Sebastian Winter

Die U-Bahn spuckt Philipp Wolf an der Station Universität aus, wie Hunderte andere Studenten. Es ist der erste Freitag nach dem Semesterstart in München, die jungen Leute strömen zu ihren Vorlesungen die Schellingstraße entlang. Wolf, 25, schwarzer Pulli, Jeans, Rucksack, trinkt einen Cappuccino in einer der zahlreichen Kneipen. Der Student des Bauingenieurwesens muss erst um 11.30 Uhr zur Technischen Uni. So kann der Olympia-Schwimmer von Rio in aller Ruhe erzählen, warum er nun aufhört mit seinem Sport.

Wolf hat seinem Trainer Olaf Bünde bei der SG Stadtwerke München kürzlich eröffnet, dass er seine Karriere beendet. In der Olympia-Schwimmhalle bat er Bünde um ein kurzes Gespräch, sagte ihm, dass er seine Motivation verloren habe und künftig nur noch Student sein will. Das ist die Oberfläche. Unter ihr geht es um fehlende Förderung, mangelnde Unterstützung - und letztlich auch um Geld, das nicht da ist im olympischen Kernsport Schwimmen.

Wolfs Rücktritt kommt ein halbes Jahr, nachdem der Münchner Freistil-Mittelstreckler Florian Vogel, der als Paul-Biedermann-Nachfolger gehandelt worden war, aufgehört hat. Mit 22. Viel zu früh, wie Bünde findet, der beide Schwimmer vor ein paar Jahren nach München lotste und zu ihnen ein sehr gutes Verhältnis hat: "Sie waren nicht am Ende ihrer Leistungsfähigkeit, ich habe ihnen die Spiele 2020 zugetraut. Warum gerade so viele Schwimmer so jung aufhören, macht mir Kopfzerbrechen." Wolf wäre in Tokio knapp 28 gewesen - ein gutes Alter, um abzutreten, nach seiner zweiten Olympiateilnahme.

Der 1,96 Meter lange und 96 Kilogramm schwere Modellathlet ist nicht irgendein Schwimmer bei der SG. Er war neben Vogel und Alexandra Wenk Teil des SG-Trios, das 2016 mit der Auswahl des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) zu den Spielen nach Rio reiste. Elfter wurde Wolf mit der Freistil-Staffel. Zwei Jahre zuvor hatte Wolf bei der Kurzbahn-EM in Netanja Platz vier erreicht. "2015 und 2016 waren phänomenal bei Philipp", sagt Bünde.

Wolf, in seiner Heimatstadt Weiden von Peter und Wolfgang Dehling ausgebildet, hatte in München gute Bedingungen, wenn auch nicht perfekte. Er startete sein Bauingenieur-Studium, außerdem galt die Männer-Gruppe der SG seit Jahren als eine der besten des Landes. Wolf trainierte mit Vogel, Marco di Carli und Robin Backhaus, deutsche Spitzenschwimmer, im 50-Meter-Becken der Olympia-Schwimmhalle. Zuhause in Weiden gibt es nur eine 25-Meter-Bahn. Seine Zeiten wurden besser. Auch weil er sein Training mit Bünde veränderte, immer mit den Dehling-Brüdern in Kontakt blieb und in der Heimat zusätzlich einen Fitnesscoach hatte. Nur der DSV nahm nicht wirklich Notiz davon. Nicht einmal, als Wolf in Israel EM-Vierter wurde.

„Meine Karriere haben hauptsächlich meine Eltern finanziert“, sagt Philipp Wolf, hier bei der Kurzbahn-EM, wo er über 100 m Freistil Vierter wurde. (Foto: imago)

Er fiel durchs Kader-Raster, auch weil er zunächst die Sollzeiten nicht erreichte. Verantwortliche sprachen nicht mit ihm. Ohne Kaderstatus bekam Wolf aber bis kurz vor Rio kein Geld, kaum Förderung, er durfte nicht zu Trainingslagern fliegen, wie Wenk oder Vogel. Und wenn, musste Wolf sie zahlen. Wie die Nahrungsergänzungsmittel. "Meine Karriere haben hauptsächlich meine Eltern finanziert", sagt Wolf. Und, das vergisst er nicht, der Bayerische Schwimm-Verband, von der EM an bis Rio mit 200 Euro monatlich. Man solle ihn nicht falsch verstehen, "ich brauche keine 2000 Euro im Monat". Aber dass er kein Großverdiener war, war selbst seinen Freunden in Weiden nicht klar. Als Wolf sie in einer Kneipe traf, "war schon die Erwartung da, dass ich die Runde zahle".

Wolf betont zugleich, dass er kein Sponsorenjäger sei, dass er dort mehr Eigeninitiative hätte zeigen können. Andererseits ist es doch auch Aufgabe der Vereine und Verbände, ihren Spitzenathleten unter die Arme zu greifen, zumal sie, wie Wolf, zehn Mal pro Woche trainieren. Die Unterstützung der SG ist da, aber offenbar durchaus ausbaufähig. Wolf bekam schneller als andere Studenten eine Wohnung im Olympiadorf, er ist zutiefst dankbar dafür in einer Stadt wie München. Aber eine Einkleidung für die Vorzeige-Sportler der SG? Mal ein kostenfreies MVV-Ticket zu den Trainingsstätten? Wolf hätte sich darüber gefreut.

Er kam trotz allem zu Olympia, mit Riesenglück, weil er im Entscheidungswettkampf eine Hundertstel schneller war als Marius Kusch. Ein Wimpernschlag, ausgerechnet vor Kusch, seinem Trainingskameraden von der SG München. Wolf hat dann die Spiele aufgesogen, im Sechser-Appartement mit Vogel, im olympischen Dorf, im Einschwimmbecken, als er Michael Phelps begegnete. Und er war einer der wenigen DSV-Schwimmer, die zufrieden sein durften mit ihrer Zeit. Danach schaute er sich noch Handball an, das Fußballfinale, das die Deutschen gegen Brasilien verloren. Und er ging auf diese riesige Dachterrassen-Party am Strand von Ipanema. Wolf sagt: "Es war die beste meines Lebens."

Nicht am Leistungslimit, aber ohne Perspektive für Tokio 2020: SG-Schwimmer Philipp Wolf. (Foto: imago/Camera 4)

Ob er in Rio auch mit Bundestrainer Henning Lambertz gesprochen hat? Wolf sagt: "Auch in Rio hat man das persönliche Gespräch mit den Athleten vermisst." Lambertz entgegnet: "Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Ich bin in Rio für 30 Athleten und zehn Betreuer verantwortlich, da kann ich nicht täglich jeden Athleten fragen, ob er mit mir sprechen möchte."

Und danach? Pause. Gedanken über die Zukunft. Vogels Rücktritt, in dessen Zuge die Münchner Gruppe auseinanderbrach. Di Carli, Kusch, Nikola Dimitrov, Benno Hawe, Florian Straubinger, Oliver Zeidler - alle gingen. "Ständig gefordert zu sein, das fehlte mir dann", sagt Wolf.Beim DSV wurde zugleich nach Rio die Förderung umstrukturiert. Wolf sollte sich für den Olympiakader bewerben, samt Anschreiben. Irgendwann kam eine Absage-Mail zurück. Wolf rief daraufhin selbst bei Lambertz an. Der Bundestrainer habe ihm dann gesagt, es reiche nicht für Tokio. Wolf findet: "Es geht auch darum, dass man das nicht einfach so by the way sagt." Lambertz sagt: "Es gab ein von Trainingswissenschaftlern und Bundestrainern ausgearbeitetes Ranking und Philipp war darin nicht auf den vordersten Plätzen. Ich habe ihm das Ergebnis auch am Telefon ausführlich erklärt."

By the way: Wolfs Groll ist inzwischen verflogen, das Thema ist für ihn abgeschlossen. Im Gegensatz zur Vorlesung, zu der der Student jetzt rast.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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