Munich Cowboys:Ohne Worte

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Nach neun Jahren bei den Munich Cowboys verlässt Quarterback Travis Harvey den Football-Bundesligisten - nicht ganz freiwillig. Die vergangenen Monate haben einen faden Beigeschmack hinterlassen.

Christoph Leischwitz

An einem Morgen im Mai wachte Travis Harvey auf, und seine linke Gesichtshälfte war gelähmt. Eine Infektion, vermutlich auch durch Stress ausgelöst. Die Lähmung hatte wohl nichts damit zu tun, dass sein Kopf in den vergangenen Jahrzehnten Hunderte harter Hits einstecken musste; die möglichen Folgeschäden dieser Hits sind aber wissenschaftlich nicht restlos geklärt. Es war jedenfalls ein guter Moment, um die Vergangenheit und die Zukunft zu überdenken.

"Meine Kinder gäbe es ohne die Cowboys gar nicht": In München hat Travis Harvey seine Frau kennengelernt und eine Familie gegründet. Jetzt geht seine Ära zu Ende. (Foto: Claus Schunk)

Travis Harvey ist 37 Jahre alt, er spürt das Alter, vor allem auf dem Platz natürlich, wenn er Football spielt und "gesackt" (sprich: gesäggt) wird, wie das Zu-Fall-Bringen des Quarterbacks genannt wird. "Mal ist es das rechte Knie, dann das linke Knie, mal der Rücken. Man braucht mehr Zeit, um sich fit zu halten", sagt er. Außerdem sei da ja auch noch die Familie, die Zeit brauche. Harvey könnte sich wohl damit zurecht finden, dass seine aktive Karriere bald zu Ende geht. Die vergangenen Monate bei den Munich Cowboys haben allerdings einen faden Beigeschmack hinterlassen.

Aus Harveys Sicht begann alles damit, dass er zu Beginn der vergangenen Saison von der Mannschaft nicht mehr zum Kapitän gewählt wurde. "Ob ich erster Quarterback bleiben würde, war nicht geklärt. Es war ein offener Konkurrenzkampf. Aber dann sollte ich als Ersatz-Passempfänger spielen." Harvey wusste nicht, was er davon halten sollte. Er sagt es selbst nicht, doch es hat seinen Stolz verletzt. Und offensichtlich gab es niemanden in der Mannschaft, mit dem er darüber reden konnte.

Aufgewachsen ist Harvey in der Nähe der US-Hauptstadt Washington, im College spielte er vor 80 000 Zuschauern, dann holten ihn die Cowboys 2001 nach München. Er wäre womöglich nicht lange geblieben, so wie viele Football-Söldner, doch dann lernte er hier seine spätere Frau kennen. "Die beiden hier gäbe es ohne die Cowboys gar nicht", sagt Harvey und zeigt auf seine Kinder. Fast glaubt man, Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen.

Der Spielmacher hat viel erlebt mit den Cowboys, Playoff-Duelle gegen die legendären Braunschweig Lions, den Abstieg in die Zweite Liga und den Wiederaufstieg. Man darf sagen, dass seine Zeit bei den Cowboys eine Ära darstellt. Harvey ist klar, dass er zu wenig Präsenz gezeigt hat in den vergangenen Monaten. Dass er oft nicht im Training war, und dass er kurzfristig ein Auswärtsspiel in Berlin abgesagt hat - diese Absage hätte beinahe schon zu seiner Suspendierung geführt. Die Mannschaft entschied sich aber dagegen, Harvey spielte noch einige Male als Quarterback, aber nur, weil sein Nachfolger Gary Lautenschlager verletzt war.

Cowboys-Trainer Phil Hickey hat natürlich einen anderen Blick auf die Dinge. "Seine Absage vor dem Berlin-Spiel hat das Vertrauen schon belastet. Und es war schwer mit ihm zu reden, weil er ja nicht oft da war." Das war eines der Hauptprobleme der Cowboys in den vergangenen Jahren: die schlechte Trainingsmoral. Als Hickey die Mannschaft übernahm, war es eines seiner wichtigsten Ziele, diese zu verbessern - und machte damit auch bei dem ehrwürdigen Quarterback keine Ausnahme.

Travis Harvey hat sich nun entschieden, den Verein zu verlassen, er wird in der kommenden Saison für die Ingolstadt Dukes spielen, in der Regionalliga. "Es wäre schön gewesen, vor dieser Entscheidung noch einmal mit ihm zu sprechen", sagt Hickey.

Wer nun wirklich den ersten Schritt voneinander weg gemacht hat, wissen die Beteiligten womöglich selbst nicht. American Football lebt wie keine andere Sportart von der Kommunikation untereinander. Es ist in Deutschland noch weitgehend ein Amateursport, der aber wegen des enormen Aufwands eine professionelle Organisation benötigt. Travis Harvey hat sich womöglich nur einen professionelleren Abschied von Vereinsseite gewünscht. Auf das Angebot, eines Tages einen Trainerjob bei den Cowboys zu übernehmen, hat er bis jetzt nicht geantwortet.

© SZ vom 04.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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