Leichtathletik:Gegen den Ostwind

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Diskuswerferin Amelie Döbler setzt sich bei den deutschen Jugendmeisterschaften in Halle in einem eisigen Stadion durch - nur eine von acht Medaillen für die LG Stadtwerke München.

Von Andreas Liebmann, Halle/München

Wenn man sich nur Mühe gibt, kann man sehr viele Dinge durch die Gegend werfen: Steine, Baumstämme, Küsschen, Wildschweine, Töpfe und Pfannen. Die Schwerathleten entschieden sich irgendwann dafür, nur ihre Gegner zu werfen, die Leichtathleten einigten sich auf Speere, linsenförmige Scheiben aus Stein oder Metall und Eisenkugeln, die sie entweder an einer Kette herumschleuderten oder weit von sich stießen. Warum all das so kam, ist nicht weiter wichtig. Wichtiger ist: Mit dem Scheibenwerfen begannen schon die alten Griechen, spätestens 708 vor Christus, vornehmlich weil sich diese Disziplin so schön auf Vasen pinseln ließ. Vor allem begannen sie damit: draußen. Im Sommer. Im mediterranen Klima.

Im Sommer würden 51 Meter bereits zur Qualifikation für die U20-Weltmeisterschaft reichen

Dass Leichtathleten der Neuzeit eines Tages auch in Sporthallen rennen, werfen und hüpfen würden, konnten die alten Griechen ebenso wenig ahnen wie das Folgeproblem: dass sich manche Wurfdisziplinen für Hallenwettbewerbe als eher ungünstig erweisen würden. Weil Speere und Scheiben doch weiter durch die Luft gleiten als Wildschweine. Und das war, ganz kurz erzählt, der Grund, wieso die Münchnerin Amelie Döbler nun fürchterlich fror.

"Ich weiß auch nicht, welcher Mensch die Idee hatte, dass man im Winter unbedingt draußen werfen muss", klagte Andreas Bücheler, einer der Trainer der Münchner Werfer. Auch ihm war kalt. Amelie Döbler stand im Stadion des Sportzentrums Brandberge, Halle an der Saale. Hier finden jedes Jahr die renommierten Halleschen Werfertage statt, dann sind die Tribünen voll. Am Sonntag blieben sie leer, die Zuschauer verharrten in der benachbarten Halle, wo die anderen Disziplinen der deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften stattfanden. "Nur die Hartgesottenen waren draußen", sagte Bücheler. Also die Athleten selbst. Und ihre Trainer. Es war zwar nicht ganz so kalt wie zur gleichen Zeit in München, etwa minus sieben Grad, doch auch durch Halle an der Saale fegte dieser eisige Ostwind. Weshalb das Diskuswerfen zu einer Tortur mit etwa folgendem Ablauf wurde: Handschuhe aus, Mütze und Schal ab, Jacke aus, schnell in den Ring, drehen, werfen, Jacke an, Mütze und Schal, ein paar Mal schlottern und zappeln, und dann wieder auspacken für den nächsten Versuch. Ohne ihre Handwärmer wäre es wohl nicht gegangen, erzählte die 18-jährige Döbler später, trotzdem war es ein mehr als schwieriger Winterwurf-Wettkampf. Weshalb man schon staunen musste, was die 1,93 Meter große Werferin daraus machte: Mit exakt 51 Metern wurde sie deutsche U-20-Meisterin. Es war ihre Saisonbestleistung, unter diesen Bedingungen eine hoch einzuschätzende Weite, wie Bücheler betonte. "Das lässt für den Sommer einiges erwarten." Döbler hatte sich bis vor zwei Wochen noch mit Trainer Gerhard Neubauer auf Lanzarote vorbereitet, im Freien habe sie seitdem kaum geworfen, erzählte sie. Und nun kam sie auf eine Weite, die ihr im Sommer locker zur Qualifikation für die U-20-Weltmeisterschaften in Tampere, Finnland, genügen würde - ihrem großen Ziel für diese Saison.

Jedem sein Erfolgserlebnis: Amelie Döbler (Mitte) setzt sich im Diskuswurf durch, auf den Selina Dantzler (rechts) verzichtet. Die gewinnt dafür im Kugelstoßen, wo auch Cassandra Bailey (links) eine neue Bestweite erreicht. (Foto: Axel Kohring/imago)

Ihre etwas jüngere Trainingskollegin Selina Dantzler kam ihr in Halle nicht in die Quere - sie ließ den Diskus-Wettbewerb aus. "Ihr war es einfach zu kalt", sagte Bücheler, vor allem aber habe sie kein Risiko mehr eingehen wollen. Denn Dantzler hatte tags zuvor bereits das Kugelstoßen gewonnen, damit war sie ebenso wie Döbler nominiert für einen Ländervergleichskampf am kommenden Wochenende im französischen Nantes. Den Trainern war es so ganz recht, "so hatte jeder sein Erfolgserlebnis", sagte Bücheler, der auch von Dantzlers Leistung verblüfft war. Die U-18-Weltmeisterin im Kugelstoßen hatte eine Woche zuvor bei den deutschen Meisterschaften der Frauen erstmals 16,03 Meter gestoßen, und dass sie sich nach dieser Leistung vor 4000 Zuschauern auch zur Nachwuchsmeisterschaft noch einmal so motivieren könne, hätte selbst ihr Trainer nicht erwartet. Mit 16,01 Meter dominierte Selina Dantzler die Konkurrenz am Samstag, obwohl sie wegen ihres anstehenden Abiturs viel weniger trainiert hat als üblich. Döbler belegte Rang zwei mit neuer persönlicher Bestweite von 15,48 Meter. Bücheler hofft, dass sich für die WM im Sommer beide in beiden Disziplinen qualifizieren können.

Und auch die erst 16-jährige Cassandra Bailey kam trotz Erkrankung mit neuer persönlicher Bestleistung ins Finale und wurde Achte. Es kommt also etwas nach im Wurfteam. Alexander Schaller wurde Zweiter im Diskuswurf der Altersklasse U18 - für ihn ein besonderer Erfolg, weil er dabei einige hinter sich ließ, die im Gegensatz zu ihm im Sommer in den Bundeskader aufgenommen worden waren. Die U-20-Speerwerferin Elisabeth Hafenrichter wurde ebenfalls Zweite mit 46,47 Meter.

Die Werfer ragten also etwas heraus, doch der Nachwuchs der LG verbuchte weitere Erfolge. Im Weitsprung der U20 duellierte sich Yannick Wolf einmal mehr mit Ole Grammann (Bayer Uerdingen/Dormagen), im Gegensatz zum vergangenen Sommer hatte Grammann (7,46 Meter) diesmal den besseren Versuch, Wolf gewann Silber (7,39 Meter). "Er ist etwa zehn Zentimeter vor dem Brett abgesprungen", bemerkte Trainer Richard Kick. Rang drei gab es für die 4×200-Meter-Staffel in der Besetzung Nicolai Trageser, Fabian Olbert, Jonas Lohmaier und Florian Knerlein. Hochspringer Lucas Mihota hatte Pech: Die 2,17 Meter, mit denen er in die Saison eingestiegen waren, hätten ihm den Sieg gebracht, doch nach einer Fußverletzung reichte es nur zu 2,00 Meter und Rang vier.

Dantzler, Döbler, Hafenrichter und Wolf dürfen nächste Woche beim Länderkampf starten

Arne Leppelsack zeigte, was Leichtathleten sonst noch werfen können. Leppelsäcke, zum Beispiel. Der Zieleinlauf im 400-Meter-Lauf war so packend, dass in der Pressemitteilung stand, der 19-Jährige habe sich selbst förmlich ins Ziel geschmissen. Trotzdem fehlten zwei Hundertstel, um Justus Baumgarten (Baden-Baden, 48,98 sec.) Silber zu entwenden.

Neben Selina Dantzler und Amelie Döbler sind auch Elisabeth Hafenrichter und Yannick Wolf für den anstehenden Länderkampf in Nantes nominiert. Vorausgesagt sind zehn Grad. Über null. Natürlich nur draußen.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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