Hockey:Frau Alleskleber

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Olympia-Bronze, EM-Gold, Europacup-Siegerin: Hannah Krüger war eine Leitfigur im Nationalteam und beim Münchner SC. Nun beendet sie ihre Laufbahn.

Von Katrin Freiburghaus, München

Die eigenen Klubkinder sind das, worauf im Hockeysport viel Wert gelegt wird. Sie stehen für gesunde Strukturen, Zusammenhalt und familiäre Atmosphäre und liegen den Vereinen meist besonders am Herzen. Aber manchmal, wenn auch ziemlich selten in der olympischen Randsportart, kommt es vor, dass jemand adoptiert wird. Jemand wie Hannah Krüger, bei der man zwar spätestens nach zwei Sätzen weiß, dass sie ganz sicher kein Münchner Kindl, sondern Fränkin ist, die das Spiel der Hockey-Frauen beim Münchner Sportclub in den vergangenen acht Jahren aber derart geprägt hat, dass der ehemalige MSC-Trainer Claas Henkel sagt: "Da kann man von einer Ära sprechen."

Am vergangenen Wochenende wurden beim MSC eine Menge Tränen für die 29-Jährige, die 2010 von der HG Nürnberg kam, vergossen - denn die Ära Krüger ist vorbei. Aus Zeitgründen hat sie ihre sportliche Laufbahn beendet, die wie bei den meisten exzellenten deutschen Hockeyspielerinnen eine Profikarriere war, ohne es zu sein. Krüger trainierte wie ein Profi, absolvierte aber nebenher ein Studium für Gymnasial-Lehramt; diese Leistung dürfte man getrost auf Edelmetall prägen und neben ihre olympische Bronzemedaille aus Rio und die goldene von der Europameisterschaft 2013 hängen.

Verlängerter Arm ihrer Trainer: Hannah Krüger im letzten Heimspiel. (Foto: imago/Beautiful Sports)

Wenn ihr letzter Trainer, der aktuelle MSC-Coach André Schriever, über die Folgen ihres Abschieds spricht, erwähnt er natürlich auch diese Erfolge. Er spricht von ihrer enormen spielerischen Qualität, ohne die niemand aus der Hockey-Diaspora Bayern 166 Länderspiele absolviert. Aber Schriever betont auch, dass es "total falsch wäre, sie darauf zu reduzieren". Denn Krüger wird beim MSC vor allem menschlich und als Führungsfigur ein großes Loch hinterlassen.

Der ehemalige Nationaltrainer Jamilon Mülders, unter dessen Leitung das Team in Rio Bronze gewann, bezeichnete die Mittelfeldspielerin mit der starken Eckenquote einmal als "Kleber zwischen den Reihen", der die Mannschaft zusammenhalte. Das mag das zentrale Qualifikationskriterium für ihre Rolle in der Nationalmannschaft gewesen sein. Für den MSC, zu dem sie wechselte, als der sich gerade vom Betriebsunfall einer ein Jahr währenden Zweitklassigkeit erholt hatte, war eine andere Qualität entscheidender. "Sie lässt andere glänzen und macht ihre Mitspielerinnen besser", findet Mülders. Eine Beobachtung, die Henkel, heute Trainer beim UHC Hamburg, bestätigt: "Sie hat einen wahnsinnig hohen Anspruch, aber auch immer mitgeholfen, die Leute da hinzubringen, wo sie sie haben wollte."

Das Team, deren Kapitänin sie war, war Dauergast bei deutschen Endrunden in Feld und Halle und belohnte sich dafür schließlich im Frühjahr 2017 mit dem Europacup. Es war eine späte Belohnung für viel Kampf in der von Nord- und Westklubs dominierten Liga. Doch das Kämpfen gehörte ohnehin zu Krügers Spielerprofil. Es gibt eine Menge Bilder von ihr, wie sie mit Mullturban durch die Halle jagt oder dicke Tapeverbände über den Kunstrasen trägt. Und es gibt kein Foto von der bitteren Enttäuschung, als es nach einer Verletzung nicht für die Olympischen Spiele 2012 in London reichte.

Einer solchen späten Nicht-Nominierung geht im Hockey nicht nur Hoffnung, sondern auch viel vergeblich investierte Arbeit voraus. Denn die vielen Extra-Schichten liegen in Eigenverantwortung. Die Lehrgänge finden im Urlaub oder während der Vorlesungszeit statt, zusätzliches Kraft- und Athletiktraining irgendwann, vor dem Frühstück, nach der Uni oder zwischendurch. Doch Krüger machte weiter. Man konnte das sehen. In der Bundesliga fallen etablierte Nationalspielerinnen nicht nur technisch auf. Henkel erinnert sich daran, wie sich vier Jahre später "wahnsinnig viele Menschen mit ihr freuten, als es geklappt hatte". Allerdings, mutmaßt er, habe sich Krüger in der Zeit vor Rio einen so hohen Status im Auswahlteam erarbeitet, "dass sie auch mit gebrochenem Fuß nominiert worden wäre".

Für Trainer sind ihre Besten nicht immer einfach im Umgang, bei der angehenden Lehrerin für Biologie und Chemie verhielt es sich anders. Es sei die schwerste Zeit seiner Karriere gewesen, witzelt Henkel über die gemeinsamen Jahre, "weil ich nichts mehr zu sagen hatte". Er will das als Lob verstanden wissen. "Ich habe mich damals damit arrangiert, dass es so funktioniert: Füße still halten und nicken, wenn Hannah was sagt - und es dann genau so machen." Auch Schriever kommt um das abgedroschene Bild vom "verlängerten Arm des Trainers" nicht herum, "auch wenn das immer keiner hören will". Für die kurze Wintersaison kehrt Krüger womöglich noch einmal zurück. Im Feld hofft Schriever, dass es nicht dazu kommt, "denn das würde sie nur tun, wenn wir in der Krise stecken". Daran, dass sie zur Stelle wäre, zweifelt er nicht. Schließlich ist sie ein Klubkind - adoptiert hin oder her.

© SZ vom 05.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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