Fußball:Die Gewaltdebatte ist zurück

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Münchens Fußball muss eine Massenschlägerei verarbeiten

Von Andreas Liebmann, München

Im Hintergrund sieht man Wohnblocks, links im Bild ein Fußballtor. Es ist der einzige Hinweis darauf, dass hier ein sportlicher Wettkampf stattfinden sollte, während das Handy eines Zuschauers die Szene aufzeichnet. Mehrere solcher Videos wurden am vergangenen Samstag aufgenommen, sie werden gerade ausgewertet. Eines ist im Internet gelandet. Man erkennt verschwommen, wie etwa 30 Männer zu einem Pulk zusammenströmen, Fußballer und Zuschauer; wie wild getreten und geschlagen wird; wie einige sich am Boden krümmen. Tatort: Am Harthof, München. Milieu: A-Klasse. Das ist die dritte Liga - von unten. Von oben die zehnte.

Es ist kaum länger als eine Woche her, dass der B-Klassist FSV Newros sein Team zurückzog, wegen im Vergleich geringerer Verfehlungen: Drohungen, Beleidigungen, Faustschläge. "Erleichtert" hatte sich Bernhard Slawinski, Kreisvorsitzender im Bayerischen Fußball-Verband (BFV) und Leiter des Präventionsprojekts "Fairplay München", danach in den Urlaub verabschiedet. Newros sei in der Häufigkeit der Vorfälle eine Ausnahme gewesen in seinem Zuständigkeitsbereich. Seit sein Projekt läuft, sind die Zahlen der Platzverweise und Sportgerichtsfälle deutlich gesunken. Doch nun hat es der Münchner Amateurfußball zurück in die Schlagzeilen des Boulevards geschafft, aus denen er zwei Jahre lang weitgehend verschwunden war. Die Zeitungen mit den großen Buchstaben, auch Anfragen von RTL und SAT 1 habe es gegeben, berichtet Bernd Heinrich. Er ist Zweiter Vorsitzender des TSV 54-DJK München, einem der beteiligten Vereine.

Mit einer Einsatzhundertschaft schritt die Polizei ein, fünf Personen seien in Krankenhäuser eingeliefert worden. Angeblich soll ein Spieler des gastgebenden FC Pontos einen Gegenspieler übel provoziert haben, es kam zu Handgreiflichkeiten, binnen Sekunden hatten sich drei Dutzend Menschen ineinander verkeilt. Nähere Details kennt auch BFV-Pressesprecher Thomas Müther nicht, der genaue Hergang des unübersichtlichen Vorfalls werde ermittelt, von Polizei und Verband. "Der Fall hat bei uns sehr hohe Priorität", versichert er, "solche Szenen sind nicht hinnehmbar, da gibt es null Toleranz." Das erfolgreiche Fairplay-Projekt sei nicht infrage gestellt. Vorerst sind die Spiele beider Mannschaften ausgesetzt, das Sportgericht ermittelt.

Duelle dieser Klubs seien schon immer "äußerst emotional" verlaufen, sagt Bernd Heinrich vom TSV 54. Zwei Platzverweise hatte es bis zum Abbruch kurz vor Schluss gegen sein Team gegeben. Am Dienstag wurde Heinrich 70, dennoch nahm er sich Zeit, Auskunft zu geben. "Das tut uns weh, es wirft ein schlechtes Bild auf den Verein", sagt er. Seit einem Jahr ist der ehemalige Unterschleißheimer Stadtrat im Vorstand des TSV 54. Den Verein kenne er seit 37 Jahren, vor 20 sei er hier selbst Trainer gewesen. "Die vom Hasenbergl", oder früher "Die aus dem Holz" seien schon immer vorbelastet gewesen, erzählt er, "ich hatte damals schon Mühe, Spieler einzufangen".

Zu Saisonbeginn hätten sie den Spielern nach mehreren Vorfällen "klargemacht, dass wir so etwas nicht dulden". Die zweite Mannschaft wurde abgemeldet, allerdings auch mangels Personal; acht Mal habe er für den Verein Stellungnahmen ans Sportgericht abgeben oder ihn vor Gericht vertreten müssen. "Selbst wenn eine Provokation vorlag: Die Reaktion darauf war nicht okay", sagt er. "Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen." Zunächst jedoch will er das Urteil des Sportgerichts abwarten. "Da sind wir auf alles gefasst, es kann ja bis zum Ausschluss vom Spielbetrieb gehen."

Beide Seiten müssen Strafen fürchten. Wie im Fall Newros ist erneut ein so genannter monoethnischer Klub involviert, die Griechen vom FC Pontos, zurzeit Tabellenführer, galten zuletzt jedoch als unauffällig - auch dank der Konfliktmanager des Verbands. "Wir haben uns mit Hilfe des BFV über vier Jahre etwas aufgebaut", sagt Klubchef Michael Eleftheriadis, "jetzt fangen wir wieder bei Null an. Das macht mich traurig." Der TSV 54 dagegen, ist von Verbandsseite zu hören, habe sich einer Kooperation mit Konfliktmanagern verweigert. Offensichtlich wäre sie dringend nötig gewesen. "Wir sind gesprächsbereit", widerspricht Heinrich. Aber hinschmeißen oder Spieler rausschmeißen, sei "keine Option".

Slawinski hat sich aus dem Urlaub eingeschaltet. Er sei fassungslos: "Das übertrifft alles, was wir bisher hatten". Er spricht von "purem asozialen Verhalten", von "kriegsähnlichen Zuständen". Daheim wartet reichlich Arbeit auf ihn.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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