Eishockey:"Es gibt keine Grenzen"

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Chronik eines angekündigten Titels: Der EHC München feiert zum zweiten Mal nach 2016 die deutsche Meisterschaft. Wenn es nach Trainer Don Jackson geht, steht er mit dem Klub erst am Beginn einer neuen Ära.

Von Johannes Schnitzler

Goldener Flitterregen schoss aus Pressluftkanonen und ergoss sich über die Eisfläche, als Kapitän Michael Wolf um 17.45 Uhr den silbernen Pokal in die Höhe streckte: Mit einem 4:0 (1:0, 1:0, 2:0) im fünften Finalduell gegen die Grizzlys Wolfsburg hat der EHC Red Bull München am Ostermontag die Best-of-seven-Serie mit 4:1 Siegen für sich entschieden und seinen Titel erfolgreich verteidigt. Der EHC ist zum zweiten Mal Meister der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Während Wolfsburgs Torhüter Felix Brückmann die Tränen nicht zurückhalten konnte, sagte Konrad Abeltshauser: "Das ist das i-Tüpfelchen." 2016 hatte der EHC-Verteidiger das Finale noch verletzt verpasst.

Für Don Jackson ist es bereits der siebte Titel als DEL-Chefcoach seit 2008, als er erstmals mit den Eisbären Berlin triumphierte. Nur 2010 (Hannover) und 2015 (Mannheim) überließ der Rekordmeistermacher den Pokal anderen. 2014, als Ingolstadt gewann, fehlte Jackson entschuldigt: Der Amerikaner musste mit Red Bull Salzburg österreichischer Meister werden.

Yannic Seidenberg ist MVP, Abeltshauser bester Verteidiger, aus den Birken bester Torwart

München, Jackson und der EHC: Das klingt nach dem Beginn einer Ära, wie der Trainer sie einst in der Hauptstadt begründete. Red Bull steuert die nötigen Millionen bei, Sport-Geschäftsführer Christian Winkler besorgt die passenden Spieler für Jacksons Vorstellung von Eishockey. "Es gibt keine Limits", sagte der Trainer am Montag. Aber Geld allein ist keine Garantie. Kein anderer DEL-Coach lässt seine Mannschaft so aggressiv agieren (allein in der Finalserie schossen die Münchner vier Tore in Unterzahl), kein anderer geht so offensiv in die Saison wie Jackson, der sagt: "Das Ziel ist immer, Meister zu werden." Das birgt Risiken, auf dem Eis wie in der öffentlichen Wahrnehmung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Pierre Pagé, der das Betriebssystem five men, no position einst beim EHC installierte, stiftet Jackson mit seiner Mannschaft aber Sinn - und nur beim Gegner Verwirrung.

Nationalspieler Yannic Seidenberg etwa, gelernter Stürmer, half über weite Strecken der Saison als Verteidiger aus. So gut, dass Jackson Seidenberg trotz seiner nur 1,72 Meter im Powerplay als Blueliner besetzt. Der 33-Jährige, der vor zwei Jahren vor dem Karriereende stand, schoss 15 Saisontore, so viele wie seit 2011 nicht mehr, und wurde zum wertvollsten Spieler (MVP) der Playoffs gewählt.

Oder Abeltshauser: Der 1,95-Meter-Schlaks taucht so oft vor dem gegnerischen Tor auf, dass er sich fühlen darf wie in der Jugend beim EC Bad Tölz, als er noch Stürmer spielte. Abeltshauser schoss 13 Tore, hatte in den Playoffs die beste Plus-Minus-Statistik aller Abwehrspieler und wurde zum "Verteidiger des Jahres" gewählt. Damit hat der 24-Jährige sogar Don Jackson etwas voraus: "Trainer des Jahres" war der 60-Jährige noch nie.

Die Konstante hieß Danny aus den Birken. Der 32-Jährige stand vom mäßig spannenden Viertelfinale an (4:0 gegen Aufsteiger Bremerhaven) über das Halbfinale (4:1 gegen Berlin) bis zum Ostermontag in sämtlichen Playoff-Partien im Tor. Und war mit 1,32 Gegentreffern im Schnitt statistisch der beste Schlussmann.

Das Finale München gegen Wolfsburg hatte es bereits in der vergangenen Saison gegeben. Damals stellte die Paarung einen Negativrekord auf: Im Schnitt verfolgten nur 5323 Zuschauer die vier Finalspiele live im Stadion, so wenige wie nie zuvor in einer DEL-Endspielserie. In diesem Jahr kamen durchschnittlich 5486 Besucher, 163 mehr als in der vergangenen Saison - was daran liegt, dass die Serie diesmal über fünf Spiele ging und somit einmal öfter im Münchner Olympia-Eisstadion (Kapazität 6142 Zuschauer) gespielt wurde als in der Wolfsburger Arena (4503).

Finale 1: München - Wolfsburg n.V. 3:2

Süßes Betthupferl

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(Foto: Sebastian Widmann/Getty)

Dominik Kahun ist gerade einmal 21 Jahre alt. Mit 1,76 Meter Körpergröße und seinem sehr, sehr dünnen Playoff-Bärtchen sieht der jüngste Münchner im Finale immer ein bisschen so aus, als wäre er der kleine Bruder von Co-Trainer Matt McIlvane, 31. Aber der äußere Eindruck täuscht. Mit seiner Technik und Dynamik gehört der Mittelstürmer längst zu den festen Größen im Team. Gut für München, dass Kahun abends schon länger aufbleiben darf. Spiel eins der Serie geht als längstes Finalspiel in die DEL-Geschichte ein. Schütze des entscheidenden Treffers nach 96:12 Spielminuten ist der Publikumsliebling, Dominik KahunKahunKahun. "Es war wunderbar", sagt der Matchwinner hinterher. "Aber ehrlich gesagt hatte ich am Ende keine Kraft mehr, um überhaupt noch zu jubeln." Für ein breites Grinsen reicht es noch. Zur Belohnung gibt es eine Umarmung von Yann Sauvé (Foto: Sebastian Widmann/Getty) - dann muss Kahun aber wirklich ins Bett.

Finale 2: Wolfsburg - München 2:3

Kapitäns-Jubiläum

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(Foto: Michael Täger/imago)

Torjubel gehört für Michael Wolf zur Routine. Normalerweise reagiert der EHC-Kapitän nach einem Treffer wie ein Faultier auf das Rascheln der Blätter im Urwald: gar nicht. In den Playoffs ist das anders. Stürmer Wolf, 36, musste bis zur vergangenen Saison auf seinen ersten Titel warten, eine Erleichterung, wie er hinterher zugab. In Finale zwei ging der Routinier dann sogar aus sich heraus. Es lief die 37. Spielminute, als Wolf zum zwischenzeitlichen 2:2 traf: Tor Nummer 300 für den Rechtsaußen in seinem 659. DEL-Spiel. Nur der Nürnberger Patrick Reimer (779 Spiele, 305 Treffer) hat öfter getroffen. "Eine schöne Momentaufnahme", sagte Wolf (Foto: Michael Täger/Imago) hinterher fast schon euphorisch. Mit insgesamt sieben Treffern wird Wolf am Ende der erfolgreichste Münchner Playoff-Torjäger sein. Im Hinblick auf die WM im Mai doppelt schade, dass der nun 302-malige Torschütze seine internationale Karriere bereits 2015 beendet hat.

Finale 3: München - Wolfsburg 1:2

Nur noch 2:1

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(Foto: Peter Schatz/imago)

Frank Mauer bewirbt sich vor der Partie um den Franz-Beckenbauer-Ehrenpreis 2017. "Ein 3:0 ist was anderes als ein 2:1", sagt der Nationalspieler - und recht hat er. Nach einem 0:3 ist noch kein Finalist in der Serie zurückgekommen, und die Bilanz von Wolfsburgs Trainer Pavel Gross ist alles anderes als Mut machend: neun Finalspiele, neun Niederlagen. Im zehnten Anlauf aber bannt Gross den Fluch. Die Grizzlys gewinnen in München und schöpfen neue Hoffnung. "Wir waren zu oft auf der Strafbank", sagt Münchens Verteidiger Konrad Abeltshauser; Mads Christensen und Steve Pinizzotto (Foto: Peter Schatz/Imago) erhalten jeweils Disziplinarstrafen. "Man muss die Emotionen clever steuern", sagt Wolfsburgs Stürmer Christoph Höhenleitner. "Wenn man es dumm macht, wie wir letztes Jahr im Finale, dann schießen sie uns auseinander." Don Jackson sagt: "Wolfsburg war schlauer. Aber wir wissen, wie man gewinnt."

Finale 4: Wolfsburg - München 2:7

Kanterkonter

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(Foto: Reinelt/imago)

Man müsse diese Münchner Siegermentalität lernen, hatte Pavel Gross nach Spiel zwei noch gefordert - prompt siegten die Grizzlys beim Favoriten 2:1. Nach Spiel drei brummte Don Jackson dann wie ein hungriger Braunbär, man werde daraus lernen, und schickte den Niedersachsen gewissermaßen eine Drohung hinterher: Man wisse, wie man gewinnen könne. Und wie der Meister gewinnen kann. Mit einem 7:2 landeten die Gäste am Karsamstag den höchsten Final-Auswärtssieg der DEL-Geschichte. Maximilian Kastner (Foto: Eibner/Imago), rechts, leitete mit dem 2:2, seinem dritten Playoff-Tor, die Wende ein - es war zugleich sein drittes Playoff-Tor gegen Wolfsburg. Michael Wolf, der zweimal getroffen hatte, reagierte gewohnt sachlich: "Wir haben unsere Chancen besser verwertet als im letzten Spiel." Das Fell des Bären zu verteilen, ehe der Grizzly erlegt ist, ist Wolfs Sache aber nicht: "Wir sind gewarnt. Wir brauchen noch eins."

Finale 5: München - Wolfsburg 4:0

Trainers Tränen

Spiel Nummer fünf, das 100. DEL-Playoff-Spiel von Yannic Seidenberg, begann schlecht für den EHC München: Jon Matsumoto schoss das 1:0 (19.). In den ersten vier Spielen dieser Finalserie hatte jeweils die Mannschaft verloren, die 1:0 in Führung gegangen war. "Heute wäre ein guter Tag, dass es einmal anders rum läuft", sagte Maximilian Kastner in der ersten Pause. Und es sollte anders laufen. Besser. Viel besser. In der 26. Minute erhöhte Jerome Flaake per Penalty auf 2:0, in der 47. legte Derek Joslin das 3:0 nach. Die Münchner Fans, die vor der Partie ein Banner mit der Aufschrift "Da Pott bleibt in München" in die Höhe gehalten hatten, sangen: "Ihr werdet nie deutscher Meister." Gemeint waren die Grizzlys Wolfsburg. Das 4:0 (50.) steuerte Playoff-Topscorer Brooks Macek bei. Vier Tore von vier Zugängen: Da kann man auch als Serienmeistertrainer wie Don Jackson (Foto: Stefan Matzke/Sampics) mal ein paar Tränchen vergießen.

Dass dieselben Klubs im Finale standen wie im Vorjahr, hatte es zuvor noch nie gegeben: ein Novum in 24 Jahren DEL. Und dieses Finale stellte noch ein paar weitere Bestmarken auf. Eine Chronologie:

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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