Auszeichnung für Sportlerin des TSV München-Ost:Kenianischer Goldregen

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"Ich wollte unbedingt noch einen raushauen": Mit winzigem Vorsprung holt Selina Dantzler den WM-Titel. (Foto: Getty Images for IAAF)

Sonderpreisträgerin Selina Dantzler fehlt auf der SZ-Bühne, Applaus gibt es umso mehr - weil sie während der Gala in Nairobi Kugelstoß-Weltmeisterin wird.

Von Andreas Liebmann, München

Es klang fast wie tosender Applaus, doch das war es nicht. Die trommelnden Geräusche kamen vom Platzregen, der heftig über dem "Kasarani Stadium" in Nairobi niederging, der größten Sportstätte Kenias, gebaut für 60 000 Zuschauer. Selina Dantzler saß gedankenverloren im zugigen Callroom, Mittwochabend, und sie war sich sicher: An diesem Eröffnungstag der U-18-Weltmeisterschaft würde sie wohl nicht mehr zu ihrem Kugelstoßen kommen. "Ich habe mich gar nicht mehr richtig warm gemacht", gesteht sie später. Es war ja fast undenkbar, bei solchen Wassermassen einen Kugelstoßring freizugeben.

"Ich dachte mir: Nee, ich gebe denen nicht meinen Titel, für den ich so hart gearbeitet habe."

Kurz gingen der Münchnerin einige unliebsame Bilder aus Walldorf durch den Kopf, wo sie vor einem Jahr einen ähnlichen Starkregen erlebte - und im folgenden, verkorksten Wettkampf ihre erhoffte Nominierung für die U18-EM in Tiflis verspielte. Für die Athletin des TSV München-Ost wäre das damals ihr erster internationaler Auftritt gewesen. Den wollte sie nun in Nairobi nachholen, ein Jahr später, als Favoritin mit der besten Meldeleistung. "Und plötzlich hieß es, wir müssen raus."

Was sich den Athleten draußen bot, war ganz anders als das, was sie von einem Wettkampf in Kenia erwartet hatten. Es war kalt, es regnete noch immer, ein Dutzend Helfer versuchte den Ring vom Wasser zu befreien. Beim Einstoßen trockneten sich Selina Dantzler und die zweite Deutsche, Jule Steuer, gegenseitig die Kugeln ab. "Alles war durchnässt, Kleidung, Schuhe, trotzdem war eine super Stimmung im Stadion." Technisch sei natürlich "nicht viel möglich gewesen" auf dem rutschigen Boden, erzählt die Schülerin, "aber ich habe mir gesagt: ,Du hast jetzt sieben Jahre auf diesen Tag hintrainiert, das lässt du dir nicht vom Regen versauen.'"

Selina Dantzler ist die Weltranglistenzweite ihres Alters, mit einer Bestleistung von 18,19 Meter. Die Weltbeste Jorinde van Klinken fehlte, "trotzdem hatte ich nur auf eine Medaille gehofft", sagt Dantzler. Man wisse ja nie, ob nicht eine der beiden riesigen Chinesinnen über sich hinauswachse. Doch anfangs lief alles nach Plan: 17,49 Meter im ersten Versuch stellte die Konkurrenz vor eine kaum lösbare Aufgabe.

Im fünften Durchgang wurde es dann turbulent: Yu Tianxiao (17,62 m) und Sun Yue (17,59 m) zogen beide mit neuen Bestweiten an Dantzler vorbei. War die Münchnerin geschockt? Im Gegenteil: "Ich dachte mir, nee, ich geb denen nicht meinen Titel, für den ich so hart gearbeitet habe - ich wollte unbedingt noch einen raushauen." Das gelang: Gleich in ihrem fünften Versuch kam Dantzler auf 17,64 Meter, zwei Zentimeter weiter als Yu, eine Daumenbreite. Und der Vorsprung hielt. Seitdem, sagt sie, habe sie ein Dauergrinsen im Gesicht: "Ich bin überglücklich". Der Weltverband wird künftig keine U18-WM mehr austragen. Demnach könnte Selina Dantzler eine ewig amtierende Weltmeisterin sein.

Während die Siegerin mit Deutschlandfahne im Regen stand und feierte, lief 6000 Kilometer nördlich die Talentiade-Preisverleihung. Selina Dantzler wurde in Abwesenheit geehrt. Als ihr Erfolg auf der Bühne verkündet wurde, gab es tosenden Applaus. Er klang wie ein Platzregen in Nairobi. Nur lauter.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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