Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke:"Verzeihung, wie komme ich hier raus?"

Die Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke führt am ersten Wochenende nicht zum Chaos - die meisten Fahrgäste bleiben gelassen, weil freundliche Helfer Rede und Antwort stehen. Da stört es kaum, dass der Schienenersatzverkehr schlecht ausgeschildert ist

Philipp Crone

Sarah ist auf das Schlimmste gefasst. Die 21-Jährige steht seit halb sieben Uhr am Samstagmorgen im Zwischengeschoss des Pasinger S-Bahnhofs, in signalorangener Weste, mit einem Ausdruck der Abfahrzeiten in der Hand und bewaffnet mit einem fröhlichen Lächeln.

Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke: Stammstrecke

Stammstrecke

(Foto: SZ-Grafik)

Ein Schutz vor der befürchteten schlechten Laune all derjeniger, die hier am Vormittag entlanghetzen und nicht wissen, wie sie nun in die Stadt kommen sollen, bei gesperrter Stammstrecke zwischen Pasing und dem Ostbahnhof. Die junge Frau mit den kurzen Haaren ist eine von zehn Helfern im Bahnhof Pasing. "Heute morgen waren einige angefressen, aber mittlerweile ist die Stimmung ganz friedlich", sagt sie um kurz nach neun Uhr.

Ein junger Mann mit Kopfhörern kommt zu ihr und fragt: "Zum Schienenersatzverkehr?" Sarah deutet zum Ausgang: "Vorne links, dann geradeaus, dauert zehn Minuten." Der Mann dankt freundlich und geht los. Eine junge Frau ist als nächste dran. "Verzeihung, wie komme ich hier raus?" Und Sarah erklärt. So läuft das, mit Ausnahmen, den ganzen Tag.

Beginnend mit dem vergangenen Wochenende wird die Stammstrecke an insgesamt sieben Wochenenden hintereinander zwischen Ostbahnhof und Pasing gesperrt - jeweils von Freitagabend, 19.30 Uhr, bis Montagfrüh, 4 Uhr. Bis zu 60 Busse bringen die Fahrgäste am ersten Wochenende im Dreiminutentakt in die Innenstadt.

"Großes Lob für die Reiselenker"

Das Fazit des Fahrgastverbandes Aktion Münchner Fahrgäste ist am Sonntag positiv. "Ein großes Lob für die Reiselenker" gibt Sprecher Andreas Nagel aus. Allerdings müsse die Wegeleitung zu den Haltestellen des Schienenersatzverkehrs (SEV) verbessert werden.

Auch Bernhard Weisser, Geschäftsleiter der S-Bahn München, zieht "ein positives Fazit", sieht aber auch Verbesserungsbedarf. Man werde sowohl die Beschilderung der Wege zu den Haltestellen als auch die Haltestellen der SEV schon am kommenden Wochenende besser beschildern. Die Nachfrage im S-Bahn-Netz sei deutlich schwächer gewesen. "Die nahverkehrserfahrenen Münchner sind auf andere Verkehrsmittel umgestiegen."

Und die Fahrgäste, die mit der S-Bahn fahren, sind trotz der Behinderungen zum großen Teil zufrieden. Auch in Pasing am Samstagmorgen reicht es den meisten, wenn sie die S6 zum Hauptbahnhof nehmen können, die alle 20 Minuten fährt, sagt Sarah. "Bislang waren aber einige Gleisangaben falsch. Einmal mussten Fahrgäste für die S8 zum Flughafen mit viel Gepäck im letzten Moment zu einem anderen Gleis."

"Bei der S-Bahn ist ja alles möglich"

Es sind vor allem junge Menschen, Studenten meistens, die in den Signalwesten Auskunft geben, und diese Maßnahme funktioniert. Weil jederzeit Ansprechpartner sichtbar sind, insgesamt mehr als 200, und einen mit einem jugendlich freundlichen Charme beraten, sind verärgerte Gäste selten. Eine Frau murrt: "Ach, bei der S-Bahn ist ja alles möglich." Auch ein Fußweg zu den Ersatzbussen, der, kaum erkennbar, mit Schildern in DIN-A4-Größe gekennzeichnet ist.

Am Gleis wartet eine Mutter mit ihren beiden Töchtern im Teenageralter. "Wir fahren zum Shoppen in die Stadt, wir haben Zeit", sagt sie. "Auf die zehn Minuten kommt es nicht an." Ähnlich sehen es andere Fahrgäste. Eine Frau trägt ihre kleine Tochter auf dem Arm. "Das Wetter bietet sich an, um in die Stadt zu fahren, und ich wusste ja aus Zeitung und Radio, was auf mich zukommt."

Das Wetter, mit dem ist auch der Handel zufrieden. Wolfgang Fischer von City-Partner sagt am Sonntag: "Die Sperrung hatte Auswirkungen auf den Einzelhandel, aber nicht so schlimm wie befürchtet." Und das Wetter sei eben auch gut gewesen, man ist trotz Behinderung zum Einkaufen in die Stadt gefahren, statt an den See oder in einen Biergarten. "Mit dem SEV hat alles funktioniert, das war eine logistische Großtat."

Und auch für die Beschäftigten des Einzelhandels, die am Samstagmorgen an ihren Arbeitsplatz fahren mussten, habe es gute Lösungen gegeben. "Die Unternehmen haben ihre Personalplanungen so abgestimmt, dass Mitarbeiter, die es wegen der Sperrung schwer gehabt hätten, nicht eingesetzt wurden."

"Es gab keine große Verwirrung"

Christian Zimmermann, Manager der Pasing Arcaden, sagt am Samstag: "Bei uns ist der Betrieb ganz normal, vielleicht etwas mehr als sonst." Manch einer hat sich wohl zum Shoppen dann eben gleich für die Pasing Arcaden entschieden. "Es gab keine große Verwirrung, kein Chaos", sagt Zimmermann.

Am Samstagnachmittag ist im Stachus-Untergeschoss und auf den Straßen reger Betrieb, aber auch hier fangen charmante Helfer in Orange fast jeden Ärger auf. "Wir sind hier eine Art Touristeninformation", sagt Claudia, 20. Auch hier das gewohnte Bild: Geduldige Fahrgäste, die sich die möglichen Routen erklären lassen.

Auf der Straße allerdings ist die Lage anders. Die SEV-Busse kommen mittags in der Innenstadt nur noch im Schritttempo voran, vor allem zwischen Haupt- und Ostbahnhof. Bernhard Weisser von der S-Bahn sagt dazu: "Die Probleme des Busverkehrs in der Innenstadt zeigen, dass die Stammstrecke nie so wertvoll war wie heute."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: