Spektakuläre Rettung:Zurück an dem Ort, an dem er fast ertrank

Spektakuläre Rettung: Wo sein zweites Leben begann: Helmut Zenger, 75, am Wehrsteg vor einem Funkstreifenwagen aus den späten Fünfzigerjahren, dem berühmten "Barockengel"

Wo sein zweites Leben begann: Helmut Zenger, 75, am Wehrsteg vor einem Funkstreifenwagen aus den späten Fünfzigerjahren, dem berühmten "Barockengel"

(Foto: Catherina Hess)

Der Münchner Helmut Zenger ist vor 63 Jahren als Kind in der Isar eingebrochen. Zwei Polizisten retteten ihm das Leben. Eine Erinnerung.

Von Martin Bernstein

Helmut Zenger, 75, steht auf dem Wehrsteg und schaut hinunter auf die schäumende Isar. Beim Spazierengehen kommt er immer mal wieder vorbei. In der Nähe, in der Adelgundenstraße, ist er aufgewachsen. Der Mann hat ein ungetrübtes Verhältnis zu dem Fluss. Obwohl er an der Stelle beinahe gestorben wäre.

Es ist der Faschingssonntag 1953. Helmut ist mit zwei Freunden unterwegs. Den Faschingszug haben sie sich angeschaut, jetzt wollen sie zur Isar. Eiskalt ist es an diesem Tag, 17 Grad unter Null. Helmut geht als Cowboy, eine Hose aus Sackrupfen hat ihm die Tante genäht, er hat einen Colt und einen Hut - und um den Hals trägt er ein rotes Halstuch. Die drei Buben steigen über eine Treppe zwischen Mariannenbrücke, Wehrsteg und Kabelsteg hinunter zum Fluss, dorthin, wo die Kiesbänke von dickem Eis bedeckt sind.

Was sie nicht wissen: Am hölzernen Anglersteg, der damals noch ein Stück weit in den Fluss ragt, ist tiefes Wasser unter der Eisschicht. Helmut, der jüngste und leichteste, geht voraus - und bricht ein. Sein Freund Hansi versucht noch, ihn an seinem roten Halstuch festzuhalten. Vergeblich. Der Bub versinkt im eiskalten Wasser, die Strömung drückt ihn unter das Eis.

Dass Helmut Zenger 63 Jahre später im strahlenden Sonnenschein und wohlbehalten an der Unglücksstelle steht, hat mit einer legendären Münchner Einrichtung zu tun - der 1949 geschaffenen Funkstreife. Etwa ein Dutzend Funkstreifen sind damals in der Noch-nicht-ganz-Millionenstadt München unterwegs.

Seit ein paar Monaten erst heißen die Wagen wie der Fluss. Im Wagen "Isar 1", der durch die Innenstadt fährt, sitzen an diesem Tag Erich Hieb, Georg Müller und Bernhard Marx. Am Max-Weber-Platz erreicht sie der Funkspruch: "Fahren Sie Kabelsteg! Menschenleben in Gefahr. Ein Junge im Eis eingebrochen."

Irgend jemand ist durch Hansis Hilfeschreie auf das Drama unten am Fluss aufmerksam geworden und hat die Einsatzzentrale angerufen. Am Mariannenplatz in der Nähe steht eine öffentliche Telefonzelle. Helmut Zenger vermutet heute aber, dass der Betreiber des Kiosks Beham auf der Praterinsel der Anrufer gewesen ist: Der sei Hausmeister der nahen Schnapsfabrik Riemerschmid gewesen. Und dort gab es einen Fernsprecher . . .

Zwei Minuten später ist "Isar 1" am Unglücksort. Georg Müller und Erich Hieb rennen hinunter zum Fluss, werfen Jacken und Schuhe ab und stürzen sich ins zwei Grad kalte Isar-Wasser. Hieb, damals 26, bekommt den leblosen Körper des Buben in drei Meter Tiefe zu fassen. Er packt zu, Müller reißt die beiden nach oben, stemmt eine Eisscholle zur Seite. Gemeinsam zerren sie den Zwölfjährigen ans Ufer und rasen mit ihm zum Krankenhaus rechts der Isar. Ganze fünf Minuten und 29 Sekunden hat der gesamte Einsatz gedauert. Neun Stunden lang kämpfen die Ärzte um das Leben des Buben. Und gewinnen.

Spektakuläre Rettung: Die Funkstreifenpolizisten Georg Müller, Erich Hieb und Bernhard Marx (von links) besuchen den zwölfjährigen Helmut Zenger 1953 im Krankenhaus.

Die Funkstreifenpolizisten Georg Müller, Erich Hieb und Bernhard Marx (von links) besuchen den zwölfjährigen Helmut Zenger 1953 im Krankenhaus.

(Foto: Repro: Polizeipräsidium München / Rudi Dix)

"Das gibt's doch nicht", sagt 63 Jahre später Polizeioberkommissar Harald Kraft. "Ich habe das alles schon gesehen!" Das kann nicht sein: Als die dramatische Rettung aus dem Eis der Isar tagelang Stadtgespräch in München ist, ist Kraft noch nicht geboren. Zusammen mit Kollegen spürt er für die Chronik der Münchner Polizei der Geschichte der 1975 aufgelösten Funkstreife nach.

In der Lehrmittelsammlung der Fernmeldeeinheit an der Tegernseer Landstraße wird Kraft schließlich fündig - jetzt weiß er, warum er die Szene von der Rettung des kleinen Helmut so plastisch vor Augen hat: 1968 ist ein Film gedreht worden, der das Geschehen nachzeichnet.

Wiedersehen bei einer Rauferei

Nach Recherchen von Polizeisprecher Sven Müller und Polizeirat Peter Gloel, dem Leiter der Laimer Inspektion, könnte der Streifen als Pilotfilm zu einer Serie über die Münchner Polizei gedacht gewesen sein, die dann nie realisiert wurde. Irgendwie schaffen es bewegte Bilder aus dem Film, in dem Erich Hieb sich selbst und sein Sohn den kleinen Helmut spielt, aber doch in die Öffentlichkeit. "Papa, ich habe deine Geschichte in der Schule gesehen", erzählt Zengers zwölfjährige Tochter eines Tages ganz aufgeregt.

Die Hauptperson von einst nimmt es gelassen. "A bisserl emotional" sei das schon, sagt er, als er am Montag den Film selbst zum ersten Mal in seinem Leben sieht. "Aber nach 63 Jahren kann man schon was verkraften." Seine Retter, die ihn nach dem Unglück im Krankenhaus besuchen, sieht Helmut Zenger immer wieder, jahrelang trifft man sich sogar an Weihnachten.

An eine Zusammenkunft kann er sich besonders gut erinnern. Es ist wieder am Kabelsteg, ein paar Jahre später. Die Cliquen aus dem Lehel und Haidhausen haben sich verabredet, um mit Fäusten zu klären, wo die stärkeren daheim sind. Auf einmal taucht die Polizei auf. Und die Funkstreifenbeamten Hieb und Müller. "Schau, dass'd weiterkommst", ruft Erich Hieb dem Halbstarken Helmut zu. Man kann sich gut vorstellen, wie er ihm dabei zuzwinkert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: