Speer-Ausstellung Nürnberg:Teufelspakt und viel Verdrängung

Lehrstück über das Bedürfnis nach Entlastung

"Tätergeschichte. Opfergeschichte" vom 10./11. Juni :

"Tätergeschichte. Opfergeschichte" - unter dieser Überschrift berichtet Olaf Przybilla in der SZ vom 10./11.Juni über eine neue Ausstellung im Dokumentationszentrum Nürnberg, die unter dem Titel läuft: "Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit". Er schreibt unter Hinweis auf die neueste Speer-Biografie von Magnus Brechtken, dieser habe Speers "Ich-wusste-von-Nichts-Geschichten" sowie seine Selbststilisierung zum "Edelnazi mit Reue-Garantie" endlich aufgedeckt. Diese Charakteri-sierung Speers geht an den Fakten vorbei. Diejenigen, die sich mit Speers Charakter unmittelbar nach den Ereignissen beschäftigt haben, haben ihm seine Geschichten, soweit sie dessen persönliche Verstrickung in Hitlers Verbrechen betrafen, nicht abgenommen.

Paul Nitze, George Ball und John Kenneth Galbraith haben Speer unmittelbar nach der Kapitulation, als er noch ein freier Mann war, wochenlang ausgefragt. Sie hielten ihn für die einzige interessante Persönlichkeit des gesamten NS-Regimes, aber sie verachteten ihn dafür, dass er seine unbestreitbaren Fähigkeiten 14 Jahre lang einem Mann wie Hitler zur Verfügung gestellt hatte.

Auch die Nürnberger Richter im Prozess gegen die "Hauptkriegsverbrecher" nahmen ihm seine Selbstdarstellung als ahnungsloser Technokrat nicht ab, und verurteilten ihn zu 20 Jahren Haft. Wie der amerikanische Ankläger Telford Taylor in seinem selbstkritischen Rückblick auf den Nürnberger Prozess fünfzig Jahre später feststellte, hatte Speers Leben in den Beratungen des Gerichts am seidenen Faden gehangen. Der russische und der amerikanische Richter hatten auch Speer zum Tode verurteilen wollen, und nur, weil bei einer zweiten Abstimmung auch der amerikanische Richter für eine Freiheitsstrafe stimmte, blieb Speer der Galgen erspart.

Speer selbst war sich, wie Gitta Sereny in ihrer 1998 erschienen Biografie heraus-gearbeitet hat, seiner moralisch fragwürdigen Rolle durchaus bewusst und hatte auch in seinen "Erinnerungen" und in den "Spandauer Tagebüchern" keinen Zweifel daran gelassen, dass ihm klar war, dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte.

Dass Speer in seiner Rolle als Angeklagter in Nürnberg alles unternommen hat, um möglichst billig davonzukommen, deckt sich mit dem Bestreben aller Ange-klagten, unabhängig davon, ob sie wegen Mordes oder nur wegen Sachbeschädigung vor Gericht stehen: Da die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten seine Tat, und nicht er seine Unschuld nachweisen muss, steht jedem Angeklagten das Recht zur Lüge zu.

Wenn die vielen Leser, die Speer mit seinen Büchern gefunden hat, und mit denen er, wie Olaf Przybilla missbilligend feststellt, "zum wohlhabenden Mann" wurde, in Speer einen untadeligen Menschen sahen, so hat das mehr mit den Lesern und deren eigenem Entlastungsbedürfnis zu tun als mit Speer. Dr. iur. Harold Kluge, München

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