Sozialverband kritisiert Flüchtlingspolitik:Mehr Schulden, weniger Hilfe

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Bislang gibt es eine Erstuntersuchung für Flüchtlinge, um zum Beispiel Krankheiten schnell zu entdecken. Doch die wird zum 31. Juli eingestellt. (Foto: Robert Haas)

Die Innere Mission beobachtet mit Sorge, dass das Leben von Flüchtlingen in München nicht unbedingt erleichtert wird

Von Thomas Anlauf

Mit Sorge beobachten Vertreter der Sozialverbände die aktuelle Entwicklung in der Asylpolitik. Von einem "Rückwärtssalto" der politisch Verantwortlichen spricht Andrea Betz, Abteilungsleiterin für Flüchtlinge, Migration und Integration bei der Inneren Mission München. "Wir sind gegen eine Abschreckungsstrategie, wir sehen die Not der Menschen auf der Flucht", sagte Betz am Dienstag auf einer Pressekonferenz des Diakonieunternehmens.

In diesen Tagen erhalten Tausende Asylbewerber, die in staatlichen Unterkünften leben, Post von der Regierung von Unterfranken - Bescheide für Wohngebühren in Höhe von 278 Euro monatlich. Sogar rückwirkend werden Geflüchtete zur Kasse gebeten, wenn sie in einer Unterkunft wohnen, aber bereits eine Arbeit gefunden haben. "Diese Menschen leben meist in Mehrbettzimmern in Unterkünften, die sie nicht selbst wählen konnten", sagt Betz. Besonders hart treffe es diejenigen, die zwar einen Job haben, aber noch nicht als Asylbewerber anerkannt sind, denn dann ist das Jobcenter nicht zuständig. Die Folge: Die Flüchtlinge geraten in die Schuldenfalle, bevor sie überhaupt richtig in Deutschland angekommen sind.

Bislang müssen laut Betz lediglich arbeitende oder bereits anerkannte Flüchtlinge für ihren Bettplatz aufkommen, wenn sie in einer staatlichen Unterkunft wohnen. Die Stadt München verlangt bislang nichts von den sogenannten Fehlbelegern. Das sind im Behördendeutsch anerkannte Asylbewerber, die wegen des Wohnungsmangels noch keine eigene Bleibe gefunden haben. Doch derzeit arbeitet das Sozialreferat an einer entsprechenden Gebührensatzung. "Wir hoffen, dass München eine sozialverträgliche Pauschale erhebt", so Betz. "Man muss das mit Augenmaß machen", sagt Günther Bauer, Vorsitzender der Inneren Mission. München könne hier wieder ein Zeichen setzen, so wie die Stadt es in den vergangenen Jahren getan hat, als Hunderttausende Flüchtlinge in München ankamen und es schnell umfassende Hilfsangebote von Ehrenamtlichen, Verbänden und der Verwaltung gab.

München wurde zur Modellkommune ernannt, was unter anderem bedeutet, dass der Betreuungsschlüssel für die Asylberatung seither bei einem Berater pro Hundert Flüchtlingen liegt, normal ist der Schlüssel bei 1:150. Doch das Modell, das von der Landesregierung kofinanziert wird, läuft Ende des Jahres aus. "Wir brauchen deshalb dringend ein Signal von der Landesregierung", dass die Beratung in gewohntem Umfang weitergehen kann.

Was die Betreuung von Jugendlichen angeht, können die Sozialverbände dank der Unterstützung der Stadt einen Sozialarbeiter pro 30 Minderjährigen einsetzen. Somit können auch alters- und geschlechtsspezifische Angebote gemacht werden, was den Kindern und Jugendlichen sehr zugute komme. Insgesamt betreut die Innere Mission derzeit etwa 5000 Geflüchtete in München und dem Landkreis München - sowohl im Ankunftszentrum im Euroindustriepark als auch in 23 Unterkünften, darunter sind sechs Aufnahmeeinrichtungen. 240 Mitarbeiter und etwa 600 Ehrenamtliche engagieren sich derzeit in der Flüchtlingshilfe bei der Inneren Mission.

Doch in jüngster Zeit bemerken die Helfer an immer mehr Stellen, dass das Leben für die Flüchtlinge in München nicht unbedingt erleichtert wird. Die Asylverfahren dauern nach wie vor oftmals weit mehr als ein Jahr, Betreuer berichten von "Panikattacken" insbesondere afghanischer Flüchtlinge, "die Angst vor der Abschiebung überschattet vieles Positive in den Unterkünften", sagt Andrea Betz.

Auch für die Menschen, die gerade erst in München angekommen sind, wird sich die Versorgungslage bald verschlechtern. Bislang gibt es im Ankunftszentrum eine medizinische Erstuntersuchung, um Krankheiten, Schwangerschaften oder Infektionen schnell zu entdecken und zu behandeln. Doch das Screening wird nach Angaben der Inneren Mission zum 31. Juli eingestellt. Danach gibt es für in Deutschland angekommene Geflüchtete die ersten Tage bis zu ihrer Unterkunft offiziell keine medizinische Versorgung. Im ersten Halbjahr kamen in Deutschland 90 000 Flüchtlinge an, in München sind es täglich mehrere Dutzend - am Montag ersuchten 85 Menschen in München um Asyl.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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