Sozialreferat:Warum Brigitte Meier ein schwieriges Amt hat

Brigitte Meier, 2015

Die Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier hat derzeit einen schweren Stand - nicht nur in ihrem Amt.

(Foto: Robert Haas)
  • Familiäre Gewalt, Obdachlose, Flüchtlinge, Altersarmut: Münchens Sozialbehörde kümmert sich um alle Schwierigkeiten, die in der Großstadtgesellschaft anfallen.
  • Die fast 4000 Mitarbeiter ziehen allerdings nicht an einem Strang, es passieren immer wieder Fehler.
  • Amtschefin Brigitte Meier wird von verschiedenen Seiten kritisiert.

Von Sven Loerzer

Bleibt sie oder muss sie gehen? Diese Frage stellen sich derzeit viele der fast 4000 Mitarbeiter des Sozialreferats der Landeshauptstadt. Noch ist offen, ob ihre Chefin Brigitte Meier (SPD) für eine weitere sechsjährige Amtszeit zur Sozialreferentin gewählt wird.

Denn ihre Wiederwahl ist erst einmal verschoben worden, um zu klären, ob und wie viel Schaden der Stadt dadurch entstanden ist, dass Tausende Kostenerstattungsforderungen für die Unterbringung und Betreuung jugendlicher Flüchtlinge über Monate und sogar Jahre hinweg nicht bearbeitet worden sind. Viele Mitarbeiter klagen dennoch über ständige Überlastung.

Das Referat mit dem höchsten Etat

Mit einem geplanten Ausgabenbudget von 1,385 Milliarden Euro im Finanzhaushalt für 2016 ist das Sozialreferat knapp vor dem Bildungsreferat der Spitzenreiter unter den städtischen Referaten. Das Referat gilt gleichzeitig als eines der schwierigsten, weil es mit allen existenziellen Problemen von Münchens Bürgern konfrontiert wird.

Ob es um Gewalt in der Familie, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch in der Familie geht, um Erziehungsprobleme oder straffällige Jugendliche, um Langzeitarbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und Schulden, um Armut im Alter, Behinderte oder Flüchtlinge - das Sozialreferat ist immer dann zuständig, wenn Menschen in Not geraten und sich selbst nicht mehr zu helfen wissen. Oft sind es komplexe Geschichten, mit denen die Mitarbeiter des Sozialreferats konfrontiert sind. Und nicht selten müssen sie sich hinterher auch für ihr Handeln rechtfertigen. Kein einfacher Job und kein leichter.

Meiers Vorgänger hat eine neue Ära eingeläutet

Als Meier am 1. Juli 2010 ihr Amt in dem Gebäude am Ostbahnhof antrat, war sie mit offenen Armen empfangen worden. Erstmals stand eine Frau an der Spitze des Referats, in dem weit mehr als die Hälfte der Belegschaft Frauen sind. Die Sozialpädagogen freuten sich, dass endlich jemand mit ihrer Berufsausbildung Chefin wurde. Die Verwaltungsleute waren ein bisschen skeptischer, weil Sozialpädagogen mitunter Sand in das Getriebe eines geordneten Ablaufs bringen können.

Schließlich hatte erst Meiers Vorgänger Friedrich Graffe im Sozialreferat eine neue Ära eingeläutet: Er baute die Struktur grundlegend um und schuf die 13 (heute 12) Sozialbürgerhäuser, in denen Verwaltungspersonal und Sozialpädagogen zusammen die meisten Sozialleistungen für die Bürger unter einem Dach und aus einer Hand erbringen. Damit sollte vermieden werden, dass Hilfesuchende vom Jugendamt zum Sozialamt und dann zum Wohnungsamt laufen müssen, um ihre Probleme zu lösen.

Wer hat wem was zu sagen?

Sozialreferat: In den Ämtern des Sozialreferats geht es oft um existenzielle Fragen.

In den Ämtern des Sozialreferats geht es oft um existenzielle Fragen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ungelöst blieb eine wesentliche Organisationsfrage: Wer hat wem was zu sagen? Neben die drei Ämter - Amt für Soziale Sicherung, Jugendamt, Amt für Wohnen und Migration - stellte Graffe eine Art viertes Amt, das die Sozialbürgerhäuser (SBH) leitet. Fachlich blieben danach zwar die Ämter für die einzelnen Leistungen verantwortlich, ohne aber den Durchgriff auf die Mitarbeiter in den Sozialbürgerhäusern zu haben. Über die Jahre hinweg gerieten die drei klassischen Ämter, inzwischen Steuerungsbereiche genannt, zunehmend in Konflikt mit dem SBH-Bereich. Der fühlte sich durch die Vorgaben der Ämter gegängelt, während die Ämter das korrekte Verwaltungshandeln in Gefahr sahen.

Ein Schlaglicht darauf warf bereits die 2014 fertiggestellte Organisationsuntersuchung der Beratungsfirma Prognos AG, die Aussagen von der SBH-Basis ("die da oben wissen doch gar nicht, was wir tun") ebenso widerspiegelte wie aus den Steuerungsbereichen ("die da unten müssen wir stärker anweisen, damit keine Fehler passieren"). Prognos betonte, dass ein "einheitliches Verständnis von Führung und Steuerung" ein "Erfolgsfaktor in Organisationen" sei. Im Sozialreferat führten die unterschiedlichen Vorstellungen darüber "zu mangelnder Koordination und Kooperation zwischen Steuerung und Operative". Inzwischen läuft unter der Federführung des Beratungsunternehmens Kienbaum eine Organisationsentwicklung, um das Zusammenspiel zu verbessern, erste Ergebnisse sollen im Frühjahr präsentiert werden.

Ungeschickte Kommunikation

Die klare Linie, die im Inneren bisweilen fehlt, vermisst man auch immer wieder in der Außenwirkung: Da baut das Sozialreferat zwar ein bundesweit vorbildliches Kälteschutzprogramm vor allem für Menschen auf, die aus Südosteuropa kommen, verweigert ihnen dann aber die Bettdecken für die Nacht. Die Sozialreferentin bewältigt die Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen, handelt sich aber am Anfang Ärger mit der Informationspolitik ein. Ihr gelingt es bislang, ohne Turnhallen auszukommen, sie gibt den Plan, Zelte zu errichten, aber erst auf Weisung des Oberbürgermeisters auf.

Unter dem zunehmenden Druck von außen baut Brigitte Meier um ihr Büro herum einen Schutzwall auf. Inzwischen beschäftigt sie fünf persönliche Mitarbeiter, denen sie mehr vertraut als ihren wichtigsten Führungskräften, obwohl sie mit ihnen regelmäßig in einem Führungskreis tagt. Weitere drei Mitarbeiter sollen sich um die Kommunikation mit den Medien kümmern. Ihren Wohnungsamtschef hat sie entmachtet und bei sich im Büro eine Task Force Flüchtlinge mit vier Mitarbeitern für die Akquisition neuer Unterkünfte und vier weiteren für die Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich angesiedelt.

Kein leichter Stand in der Fraktion

Dennoch hat Meier auch in der SPD-Rathausfraktion keinen leichten Stand, auch wenn das nach außen keiner sagt. Wenn es um zusätzliche Aufgaben und Stellen geht, werden ihre Wünsche zunächst oft misstrauisch in Frage gestellt, zumal wenn sie argumentativ schlecht vorbereitet sind. Dass sich da eine Referentin, die als angeschlagen gilt, noch schwerer tut, liegt auf der Hand.

Vor einem Jahr schrieben die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CSU, Alexander Reissl und Hans Podiuk, einen Brief an Meier mit einer deutlichen Warnung: Sie solle künftig alles, was insbesondere Flüchtlinge angehe, vorab den "Kooperationspartnern" mitteilen - etwa geplante neue Standorte für Flüchtlingsunterkünfte. Das sagt einiges darüber aus, wieviel die eigenen Genossen ihr zutrauen.

Ein großes Problem im Amt: mangelnde Verlässlichkeit

Amt für Wohnen und Migration in München, 2012

Auch für die zahlreichen Flüchtlinge in München ist das Sozialreferat zuständig.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Referat beschweren sich Mitarbeiter über mangelnde Verlässlichkeit. "Viele Entscheidungen fallen auf Zuruf", klagt eine Mitarbeiterin, "und werden drei Tage später revidiert". Andere Beschäftigte bestätigen dies: "Unter Graffe herrschte Ordnung, nun regiert das Chaos." Und dann bekomme man auch noch zu hören, "die Verwaltung bewegt sich nicht". Bei der Belegschaft wird das als mangelnde Wertschätzung erlebt.

Nach Angaben des Personalreferats sind derzeit 460 Stellen nicht besetzt, doch weise die Fluktuation im Vergleich zur restlichen Stadtverwaltung "keine auffälligen Besonderheiten" auf. Allein im Jahr 2015 habe der Stadtrat 431 zusätzliche Stellen für das Sozialreferat beschlossen, von denen schon 209 besetzt seien. Weitere 146 seien bereits im Besetzungsverfahren. Auf dem hart umkämpften Münchner Arbeitsmarkt gestalte sich die Besetzung in einzelnen Fachbereichen wie bei Erziehern oder Sozialpädagogen für Heime "bisweilen schwer", räumt das Personalreferat ein.

Die Software hält den Anforderungen nicht stand

Dazu kommen ungelöste Probleme, die den ohnehin schon überlasteten Mitarbeitern das Leben schwer machen. So hat München als eine von wenigen Städten bundesweit noch immer keine zeitgemäße Software für die Leistungssachbearbeitung bei Asylbewerbern, was angesichts der gestiegenen Zahlen um so dringlicher wäre. Das IT-Verfahren, das die Stadt hilfsweise einsetzt, heißt "AsylFM" - und wurde 1995, also vor mehr als 20 Jahren, als "Interimslösung" eingeführt.

Offen ist auch, wie es mit dem Stadtjugendamt weitergehen soll. Dessen Chefin ist seit mehr als einem Jahr krank. Ohnehin war das Verhältnis nicht einfach: Denn Brigitte Meier hatte drei Jahre vor ihrer Wahl zur Referentin selbst für die Jugendamtsleitung kandidiert, war aber an CSU und Grünen gescheitert. Inzwischen hat Meier einen Parteifreund, Markus Schön, zum Vertreter der Jugendamtsleitung gemacht.

Zu viele Genossinnen?

Auch ihre neue Büroleiterin, Tamara Geiger, die aus dem Kreisverwaltungsreferat kommt, gehört der SPD an, als Vorstandsmitglied von Obergiesing-Fasangarten. Und als Nachfolgerin für die Vizechefin im Sozialreferat, die in den Ruhestand geht, ist eine weitere Genossin, Dorothee Schiwy, aus dem Bildungsreferat im Gespräch. Unter Mitarbeitern macht deshalb schon das Wort vom "SPD-Ortsverein" an der Referatsspitze die Runde.

Seit einem halben Jahr hat Brigitte Meier auch einen neuen Pressesprecher, offenbar mit Bedacht ausgewählt: In seinem Erfahrungsprofil bei LinkedIn hat Matthias Winter "Krisenkommunikation" genannt. Seiner früheren Chefin beim Städtischen Klinikum hat das allerdings nichts genützt - es hat inzwischen eine neue Leitung und einen neuen Sprecher.

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