Sozialprojekt:Junge Geflüchtete ziehen ins ehemalige Abrisshaus

Sozialprojekt: Ganze Arbeit: Auch Geflüchtete halfen bei der Totalsanierung des Hauses tatkräftig mit.

Ganze Arbeit: Auch Geflüchtete halfen bei der Totalsanierung des Hauses tatkräftig mit.

(Foto: Patrick Wild)

Unsanierbar? So bezeichnete die Stadt das Haus in der Müllerstraße 6. Die Sozialgenossenschaft Bellevue die Monaco hat das Gegenteil bewiesen.

Von Thomas Anlauf

Blau steht für Beständigkeit und Zukunft. Es sind hellblaue Kacheln, die ihre Symbolkraft in den renovierten Badezimmern des alten grünen Hauses entfalten. Mal bilden sie nur ein kleines Zickzack-Feld zwischen der frisch geputzten weißen Fliesenwand, mal rahmen sie das Fenster in den Innenhof ein. Ein wenig sieht es aus wie lustiges Flickwerk, aber es zeigt, wie mit ziemlich einfachen Mitteln ein von der Stadt zum Abriss vorgesehenes Wohnhaus wieder wohnlich werden kann.

Es ist wahrlich kein Provisorium und keine Pinselsanierung, was gerade mit dem markanten Eckhaus an der Müllerstraße 6 geschehen ist. Dutzende freiwillige Helfer, Flüchtlinge und Mitglieder der Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco haben mit Hilfe von Handwerkern und zwei Architekten von "Hirner & Riehl Architekten" in nur fünf Monaten aus einem Abrisshaus ein Wohnhaus für 20 bis 25 junge Geflüchtete geschaffen. Noch im April können diese auf fünf Etagen in ihre neuen Wohngemeinschaften ziehen. Zwei Stockwerke sind für junge Frauen reserviert, drei für männliche Flüchtlinge, die sich, betreut von fünf Jugendhilfeträgern, auf ein eigenständiges Leben in München vorbereiten.

Viele von ihnen haben selbst mit angepackt, das Haus so wieder herzurichten, dass es bewohnbar ist und den Bedürfnissen der jungen Menschen entspricht. Überall mussten Wände herausgebrochen und neue gezogen werden, damit jeder der künftigen Bewohner ein eigenes Zimmer in den WGs hat - sogar mit Balkon. Pro Gemeinschaftswohnung gibt es zwei Bäder und eine große Gemeinschaftsküche. Die neuen Bewohnerinnen im ersten Stock haben sich eine lange Eckbank in der Küche und einen Schrank im kleinen Gang zum Bad gewünscht, andere haben sich noch nicht endgültig für die Kücheneinrichtung entschieden.

Matthias Marschner steht in einer der Küchen, der Blick geht auf die Corneliusstraße. "Die Stadt hat damals gesagt, das Haus ist unsanierbar. Wir haben dagegen gesagt: Das geht schon, das ist auch eine Frage der Haltung", sagt der Münchner Architekt. So untersuchte ein Schreiner aus dem Oberland alle Fenster des Hauses, ob sie noch zu gebrauchen sind. "Er hat gesagt, die sind pfenniggut", sagt Bellevue-Vorstand Till Hofmann und lacht.

Letztlich wurde alles, was erhaltenswert war, wiederverwendet. Manche Balkontüren bekamen neue Riegel, andere wurden einfach gereinigt und geölt. Bei den Badezimmerkacheln wurden nur die ausgewechselt, die beschädigt waren oder die dem Umbau zum Opfer fielen. Die hölzernen Badezimmertüren stammen offenbar noch aus der Zeit des Baus 1958 mit "Besetzt"-Zeichen unter der Klinke. "So ist es ein ehrliches Haus", sagt Architekt Marschner.

Was noch gut ist, wird verwertet

Die Macher von Bellevue di Monaco wollten eben die Kosten möglichst in Arbeitszeit statt in neues Material stecken. Neben Handwerkern und ehrenamtlichen Helfern arbeiteten auch Dutzende Flüchtlinge mit - als Praktikanten bei ausgewählten Betrieben. Einer der jungen Geflüchteten wurde nun sogar schon eingestellt. Dabei traten zunächst Probleme auf, mit denen niemand gerechnet hatte.

Die jungen Flüchtlinge, die bislang in Unterkünften leben, hatten kein Geld für eine Brotzeit. Also organisierte Bellevue di Monaco eine Mittagsküche für alle Arbeiter im Haus an der Müllerstraße 2, das bereits seit knapp einem Jahr für Veranstaltungen mit und für Flüchtlinge genutzt wird. Insgesamt 150 Helfer schufteten zehn Tage lang im Schichtbetrieb, um die gröbsten Sanierungsarbeiten zu schaffen und anschließend das Haus zu reinigen.

Die Häuser sind für 40 Jahre gepachtet

Wer in die fünf Stockwerke ziehen wird, steht bereits fest. Die einzelnen Etagen werden von fünf verschiedenen Trägern angemietet - von der heilpädagogisch-psychotherapeutischen Kinder- und Jugendhilfe (hpkj), dem Verein für Sozialarbeit, Condrobs, der Initiative für Münchner Mädchen Imma, dem Jugendhilfeverbund Just M und der Mutter/Vater-Kind-Einrichtung MKE. Sie zahlen sieben Euro pro Quadratmeter Miete an die Sozialgenossenschaft, die etwa 20 jungen Bewohner können in ihren WGs etwa zwei Jahre lang leben und werden von Mitarbeitern der fünf Träger betreut und begleitet.

40 Jahre lang hat Bellevue di Monaco die drei alten Häuser an der Müllerstraße 2 bis 6 für das bayernweit einzigartige Sozialprojekt gepachtet. Dabei ist das markante grüne Eckhaus nur der erste Teil des Engagements zahlreicher Münchner. Sobald die jungen Leute ihre WGs bezogen haben, wird das Nachbarhaus zur Generalsanierung in Angriff genommen. Dort sollen vor allem Familien mit Fluchthintergrund unterkommen.

Sozialprojekt: Das Haus ist nach der Generalsanierung bezugsfertig. Junge Geflüchtete finden dort eine Unterkunft.

Das Haus ist nach der Generalsanierung bezugsfertig. Junge Geflüchtete finden dort eine Unterkunft.

(Foto: Catherina Hess)

Parallel dazu beginnen die Bellevue-Aktivisten jetzt, den ehemaligen Fahrradladen umzubauen. Hier soll nach Pfingsten ein Beratungscafé eröffnen, das von Bellevue in Kooperation mit dem Kochprojekt "Culture Kitchen" betrieben werden soll. Auch Flüchtlinge und Mitglieder der Sozialgenossenschaft werden in dem Café, das zunächst nur tagsüber geöffnet sein wird, mitarbeiten.

Dass das Projekt Bellevue di Monaco so reibungslos gestartet ist, erstaunt selbst Till Hofmann, der neben Angela Bauer und Matthias Weinzierl den Vorstand der Sozialgenossenschaft bildet. "Wir haben viel gelernt", sagt der Betreiber von Lustspielhaus und Lach- und Schießgesellschaft. Eigentlich begann die ganze Geschichte als kreativer Protest gegen die drohende Schließung des Bolzplatzes der Glockenbachwerkstatt und dem geplanten Abriss der drei städtischen Häuser an der Müllerstraße.

Als Goldgrund-Aktivisten organisierten Till Hofmann, Regisseur Grisi Ganzer und SZ-Redakteur Alex Rühle im März 2013 eine medienwirksame Aktion, indem sie gemeinsam mit prominenten Münchnern als Gorillas verkleidet eine heruntergekommene Wohnung in der Müllerstraße in wenigen Stunden oberflächlich sanierten und ein Video davon veröffentlichten. Statt eines Totalabrisses der drei Häuser am Ostrand der Altstadt forderte Goldgrund die Stadt auf, die Gebäude günstig zu sanieren. Der Stadtrat lenkte schließlich ein.

Zwei Jahre später gründete sich die Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco - bereits im Haus der Müllerstraße 2. Vor genau einem Jahr unterzeichneten die Genossen mit der Stadt einen 40-jährigen Erbpachtvertrag für die drei Gebäude, die nun Haus für Haus generalsaniert werden. An der Müllerstraße 6 müssen nur noch die Balkone neu gestrichen werden. Till Hofmann steht am Balkon und grinst. Vielleicht, sagt er, werden sie ja golden angemalt. Als Erinnerung an die wilden Goldgrund-Zeiten.

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