Sozialpolitik:Mehr Platz für die Unsichtbaren

Eine Frau sucht in Mülleimern der thüringischen Stadt Weimar nach Pfandflaschen.

Eine Frau sammelt im Müll Pfandflaschen.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Sie schminken sich in Kaufhäusern, decken sich in Kleiderkammern ein und versuchen ihre Lage zu vertuschen, doch auch in München gibt es viele obdachlose Frauen. Der Stadtrat will ihnen nun helfen.

Von Stefan Mühleisen

Sie sind kaum zu sehen in der Stadt, aber es gibt sie, und es sind nicht wenige: obdachlose Frauen. Sie leben auf der Straße wegen unterschiedlichster Schicksalsschläge, etwa weil sie fliehen mussten vor dem gewalttätigen Ehealltag. Jene, die sich um sie kümmern, wissen: Viele dieser Frauen vertuschen aus Scham ihre prekäre Lage, schminken sich in Kaufhäusern, decken sich in Kleiderkammern ein, um nicht abgerissen auszusehen. "Obdachlose Frauen sind oft unsichtbar", sagt Alexandra Reinalter, Bereichsleiterin beim evangelischen Hilfswerk.

Das Sozialreferat aber hat diese benachteiligten Frauen im Blick - und im Stadtratsausschuss die Genehmigung für einen Ausbau des Frauenobdachs "Karla 51" erreicht, einer Einrichtung des evangelischen Hilfswerks in der Karlstraße. Wenn auch die Vollversammlung zustimmt, können 15 zusätzliche Plätze für wohnungslose Frauen gleich in der Nähe entstehen. "Der Ausbau", so heißt es in der Beschlussvorlage, sei "dringend erforderlich".

Das "Karla 51" muss seit 20 Jahren nahezu permanent Frauen wegschicken. Seit der Eröffnung sei die Einrichtung "stets voll belegt", heißt es im Bericht des Sozialreferats. "Von Anbeginn übertraf die Nachfrage das Angebot an Plätzen." Jene, die einen der bisher 40 Plätze ergattern, haben dann für acht Wochen eine Bleibe, günstiges Essen, sozialpädagogische Ansprache - und die Aussicht, mit Unterstützung der Hilfswerk-Mitarbeiter womöglich in eine bessere Lebenssituation mit einem festen Dach über dem Kopf zu wechseln.

Doch das gelingt immer seltener, wie aus dem Bericht der Behörde hervorgeht. Anfangs habe die Vermittlungsquote - dazu zählt etwa die Verlegung in eine andere Einrichtung, in eine betreute Wohnform oder gar in eine eigene Wohnung - bei 80 Prozent gelegen. Die Quote sei jedoch immer weiter gesunken, bis sie 2015 einen Tiefstand von 44,7 Prozent erreicht habe.

Die Folge: Es gab noch weniger verfügbare Plätze, weil das Karla-Team die Frauen nach Ablauf der zwei Monate nicht einfach auf die Straße setzen will. "Die Wartezeit für eine Sozialwohnung ist lang, andere Wohnprojekte sind ebenfalls überbelegt. Und eine günstige Wohnung in München zu finden, ist so gut wie unmöglich", sagt Reinalter.

Immer mehr Minderjährige in der Einrichtung

So behielten sie die Frauen eben länger da. Im Vorjahr konnten deshalb nur noch 188 Frauen aufgenommen werden, 2006 waren es noch 281. Erschwerend kommt hinzu, dass immer mehr Frauen mit Kindern bei der Einrichtung an der Karlstraße 51 Hilfe suchen. Vergangenes Jahr lebten dort 34 Minderjährige, sie sind ebenso obdachlos wie ihre Mütter. Zehn Frauen sind 2015 laut Sozialreferat bei der Aufnahme schwanger gewesen, sechs haben während des Aufenthalts Kinder geboren.

Schon als die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag das Haus an der Karlstraße im Jahr 2011 kaufte, gab es Überlegungen, das Gebäude aufzustocken. Nach Behördenangaben war dies jedoch im laufenden Betrieb nicht möglich und wäre überdies ziemlich teuer gekommen. Jetzt gibt es eine andere Lösung: Das evangelische Hilfswerk mietet von der Gewofag Räume in einem Gebäude einige Meter weiter an der Karlstraße 40. Die frühere Polizeistation ist allerdings ziemlich sanierungsbedürftig. Die nötigen 753 000 Euro übernimmt die Stadtkasse. "Das wird zwar nicht den gesamten Bedarf decken, doch das hilft uns sehr", sagt Reinalter vom evangelischen Hilfswerk.

Der Sozialausschuss hat in seiner Sitzung zudem die Zuschüsse für ein weiteres Obdachlosenhilfe-Projekt erhöht: Die Teestube "Komm" in der Zenettistraße, ebenfalls unter Trägerschaft des evangelischen Hilfswerks, erhält mehr Geld. Wohnungslose bekommen hier Beratung und Betreuung; zudem können sie sich hier tagsüber aufhalten, Kleider waschen und soziale Kontakte pflegen.

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