Soziale Netzwerke:Der tägliche Hass im Internet

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Die Zahl der Hetzkommentare im Internet und in sozialen Netzwerken nimmt zu. Doch Polizei und Staatsanwaltschaft tun sich schwer, dagegen vorzugehen. (Foto: Illustration SZ)

Volksverhetzung, Rassismus oder Aufruf zum Mord: Warum sich Münchner Polizei und Staatsanwaltschaft schwer tun, gegen Hetzkommentare in sozialen Netzwerken vorzugehen.

Von Christian Gschwendtner

Polizeipräsidenten neigen eher nicht zu großen Ansprachen an die Internetgemeinde. Hubertus Andrä ist da wohl eine Ausnahme. Am 20. August 2015 appellierte Münchens Polizeichef an die Facebook-Öffentlichkeit, doch bitte im Netz zu unterlassen, was im "Real Life" auch nicht erlaubt ist. "Volksverhetzung bleibt auch im Web eine Straftat", warnte Andrä auf der Facebook-Seite der Münchner Polizei.

Bei diesem Thema gebe es null Toleranz. Einige Nutzer juckte das offenbar wenig. So wenig, dass sie die Kommentarspalten mit den üblichen Hasskommentaren füllten. Das ging so weit, dass die Staatsschutz-Abteilung eingeschaltet werden musste. Die Warnungen des Polizeipräsidenten, sie verpufften.

Und knapp ein Jahr später? Ist Hubertus Andrä inzwischen mit seiner Botschaft durchgedrungen? Eher nicht. "Gerade beim Thema Flüchtlinge ist die Bandbreite an widerlichen und rassistischen Kommentaren mittlerweile enorm", sagt Marcus Buschmüller. Er ist der Vorsitzende von Aida, der Münchner antifaschistischen Informationsstelle, und dokumentiert die Aktivitäten der rechten Szene seit 26 Jahren.

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Er ist überzeugt, dass online noch vieles ungesühnt bleibt, was in der realen, analogen Welt handfeste Konsequenzen hätte. Seine Erklärung dafür ist die schiere Masse: "Weil die Zahl der Hasskommentare im Internet so explodiert ist."

Ganz allgemein gilt: Anzeigen wegen Ausländerfeindlichkeit häufen sich. Ausgedehnt hat sich auch das Spektrum der Urheber. Da ist der Industriemechaniker aus dem Landkreis Wolfratshausen, der auf Facebook zum Mord an Asylbewerbern aufruft. Er wird zu einem halben Jahr Gefängnis auf Bewährung und 80 Sozialstunden verurteilt. Da ist ein 29-jähriger Eichenauer, der gleich mehrmals in menschenverachtender Weise zur Gewalt gegen Flüchtlinge aufruft. Er muss 4500 Euro Geldstrafe zahlen.

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Und da sind die Lokalpolitiker aus Moosburg, die jüngst in die Schlagzeilen gerieten. Sie tummelten sich in zwei nicht-öffentlichen Facebook-Gruppen. Die Gruppen heißen "Deutschland für Jung und Alt" und "Moosburg frank und frei". Ausländerfeindlichkeit gehörte dort zum guten Ton.

So titulierte etwa Gerhard Michael Welter, der ehemalige Kassier des Moosburger CSU-Ortsverbandes, muslimische Frauen in Burkas als "Mülltonnen". Ein anderer Nutzer postete am 20. April ein Bild von Adolf Hitler - verbunden mit dem Hinweis: "Hat in ein paar Tagen Geburtstag."

Das alles und noch mehr spielte sich vor den Augen des stellvertretenden Bürgermeisters, eines Stadtrats und der Vize-Chefin der örtlichen Freien Wähler ab. Sie waren zumindest in einer der beiden FB-Gruppen Mitglied. Nach Bekanntwerden des Falls war die Entrüstung in der Öffentlichkeit groß. Welter, der bereits früher mit rechtspopulistischen Äußerungen negativ aufgefallen war, trat Ende Mai ganz aus der CSU aus. Aktuell ermittelt die Kripo Erding, sie hat sich die Chat-Protokolle der beiden Gruppen aushändigen lassen. Die Ermittlungen dauerten an, teilt die Landshuter Staatsanwaltschaft mit.

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Die verbale Radikalisierung bricht sich in den sozialen Netzwerken Bahn und hat auch das bürgerliche Lager erreicht. Sucht man nach belastbaren Zahlen, die diesen Trend untermauern, wird es schwieriger. Die Staatsanwaltschaft München I geht ganz allgemein von einer Zunahme der Online-Delikte aus.

Absolute Zahlen will sie nicht nennen. Sie führten in die Irre, sagt ein Sprecher, weil darunter auch Anzeigen fallen, die von vorneherein als aussichtslos gelten. Die Landshuter Staatsanwaltschaft bestätigt, dass Strafanzeigen wegen Hetze im Netz massiv angestiegen sind. 2014 registrierte man dort magere vier Anzeigen. Ein Jahr später hatte es die Justiz in Landshut bereits mit 50 Fällen zu tun.

Und die Münchner Polizei? Sie hat im vergangenen Jahr in insgesamt 207 Fällen wegen Volksverhetzung im Internet ermittelt. Zuständig ist die Abteilung Staatsschutz. Doch die wird in der Regel nur bei Anzeigen oder auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft aktiv. Eine eigene Netzwerkrecherche gibt es nicht.

Einzige Ausnahme: Springt den Beamten bei der täglichen Routinearbeit der Hass direkt entgegen, wird auf eigene Initiative hin ermittelt. Im Polizei-Jargon heißen diese Zufallsentdeckungen "Beifang". Gemeint ist zum Beispiel ein Nutzer, der auf der Facebook-Seite der Münchner Polizei nicht groß mit seiner Gesinnung hinterm Berg hält. Er schreibt dort: "Man sollte jeden Polizisten öffentlich hinrichten. Diese Polizisten haben keine Existenzberechtigung."

Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins ist überzeugt, dass eine virtuelle Streife gegen das grassierende Problem Volksverhetzung nicht viel ausrichten könnte. "Die meisten Fälle bewegen sich in einer nicht-justiziablen Grauzone", sagt er. Der klassische Rechte habe dazu gelernt. Formuliert werde jetzt geschickter, gerne auch mal im Konjunktiv. Was der Polizeisprecher generell vermisst, ist eine Diskussionskultur im Internet. Die habe sich noch nicht gebildet.

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"Früher wurde ein Troll von der Community gemaßregelt. Der Grundsatz, wonach sich das Netz selbst reguliert, funktionierte damals noch", sagt da Gloria Martins. Heutzutage habe die Mitte der Gesellschaft weder Muße noch Zeit, sich mit pauschalen Totschlagargumenten auseinanderzusetzen. Als Beleg wertet er eine Bitkom-Studie vom vergangenen Dezember.

Das Ergebnis der Forscher: Fast die Hälfte der Befragten hat selbst im Internet schon Hasskommentare gelesen. Nur ein Prozent der Nutzer aber stellte daraufhin eine Anzeige bei der Polizei, immerhin 16 Prozent meldeten sie dem Betreiber der Seite. Mehr als drei Viertel reagierten überhaupt nicht.

Ob man es den Menschen ermöglichen sollte, leichter Online-Strafanzeigen zu stellen, darüber wird auch in Bayern debattiert. In elf Bundesländern ist das mittlerweile möglich. Die SPD-Landtagsabgeordnete Annette Karl wollte deshalb von der Staatsregierung wissen, ob hier Ähnliches geplant sei. Ganz besonders wegen der Zunahme von Hasskommentaren.

Doch das Innenministerium winkt ab. Aus ermittlungstaktischen Gründen sei der direkte Kontakt unerlässlich. Polizeibeamte könnten so leichter einen persönlichen Eindruck vom Anzeigesteller gewinnen und die notwendigen Rückfragen stellen. Skeptisch ist auch Polizeisprecher da Gloria Martins. Die Gesellschaft tendiere heute dazu, alles mit dem Smartphone regeln zu wollen.

"Das Justizsystem hat aber gewisse Zwänge, die sie sich nicht per ,Drag and Drop' lösen lassen", findet er. Die Kluft zwischen dem, was sich im virtuellen Raum ereignet, und dem, was in der Realität passiert, bleibt also weiter groß.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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