Weihnachten:Pfarrerin Sippekamp gibt Alleinerziehenden eine Heimat

Weihnachten: Pfarrerin Christine Sippekamp macht am ersten Weihnachtsfeiertag in der Gethsemanekirche in Sendling ein Essen für Alleinerziehende. Es ist kostenlos.

Pfarrerin Christine Sippekamp macht am ersten Weihnachtsfeiertag in der Gethsemanekirche in Sendling ein Essen für Alleinerziehende. Es ist kostenlos.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viele fühlen sich an Weihnachten einsam. Für sie veranstaltet die Pfarrerin ein kostenloses Essen in der Gethsemanekirche in Sendling.

Von Gerhard Fischer

Christine Sippekamp hat früher im Posaunenchor in Pappenheim gespielt. Pappenheim gibt es wirklich, es ist eine kleine Stadt im Altmühltal, und Sippekamp ist dort aufgewachsen. Im Posaunenchor hat sie mit den Eltern und drei Geschwistern gespielt - das war dann schon die Hälfte des Chors, und an Weihnachten zogen sie durch die kleine Stadt, vom Altenheim zur Christvesper, von der Christvesper zur Christmette. "Das hat mich sehr geprägt", sagt sie, "Weihnachten war für mich nie betulich."

Christine Sippekamp, die heute evangelische Pfarrerin an der Himmelfahrtskirche am Harras und an der Gethsemanekirche in Sendling ist, macht an Weihnachten immer noch viele Sachen - unter anderem ein kostenloses Essen für Alleinerziehende am ersten Feiertag. "Heiligabend schaffen viele noch ganz gut, aber der erste Feiertag ist schwierig", sagt Sippekamp.

Andere gingen dann zu Oma und Opa oder zu den Schwiegereltern. Viele Alleinerziehende hätten das aber nicht, sagt sie. Weil es keine Schwiegereltern gebe. Weil Opa und Oma tot seien. Oder weil sie weit entfernt wohnten. Sippekamp will Alleinerziehenden an Weihnachten eine Heimat geben.

Beim Weihnachtsessen hilft die Lebensgefährtin

Christine Sippekamp, 54, lädt zum Gespräch in ihre Pfarrdienstwohnung. Auf dem Herd steht ein Topf mit Gemüse. In den Regalen sieht man viele Gewürze und sehr viele Tees. Sie serviert griechischen Bergtee, aber sicher hätte sie auch noch seltenere Teesorten gehabt - vielleicht sogar den im Jahr 1960 geernteten Pu Erh aus Yiwu in China (den Tee gibt es genauso, wie es Pappenheim gibt).

Sippekamp, so ist der erste Eindruck, ist vielseitig, offen, neugierig und spielerisch, was Lebensmittel angeht. "Ich koche viel und in alle Richtungen", sagt sie in die Gedanken des Gegenübers hinein.

Gerne kocht sie auch für andere, und beim Weihnachtsessen hilft ihr ihre Lebensgefährtin. "Ich werde am ersten Feiertag um elf Uhr eine Andacht halten, die Kinder schauen danach die Krippe an und anschließend gehen alle hinauf in den Saal, wo wir das Buffet angerichtet haben", erzählt sie. "Alle bekommen ein kleines Geschenk, dann singen wir zusammen, und manche sagen Gedichte auf." Sippekamps Alleinerziehenden-Weihnacht ist nicht betulich, aber irgendwie doch besinnlich.

Kinder über 14 sind beim Alleinerziehenden-Treff nie dabei

Christine Sippekamp nimmt einen Schluck Wasser, schaut einem in die Augen. Sie ist aufmerksam, zugewandt, nimmt sich selbst auf den Arm ("man sieht, dass ich keinen Sport treibe") und macht damit die schwierigste Turnübung, die es gibt. Manchmal ist sie lustig, aber nur manchmal - sie steigt nicht auf jeden Witz ein. Sie sagt dann nicht, der Witz sei schlecht, sie verzieht auch keine Miene, sie sagt einfach gar nichts. Sie wirkt dann bloß cool. Aber das ist nur sehr kurz.

Im nächsten Moment kehrt wieder Leben in sie zurück, sie sagt dann, sie mache nicht bloß das Weihnachtsessen, sie leite auch einen monatlichen Treff von Alleinerziehenden, zu dem zwischen zwei und zehn Mütter mit ihren Kindern kommen. Es sind Babys und Teenager dabei, aber kein Kind ist über 14.

"Für die wäre es doch uncool", sagt Sippekamp. Sie grinst, als sie das sagt. Sie weiß, dass man mit 15 Jahren nichts mehr mit der Mutter macht, schon gar nicht geht man zusammen zum Alleinerziehenden-Treff. Und man redet mit 15 auch nicht über den Nikolaus, Franz von Assisi und das Erntedankfest. Darüber reden sie nämlich beim Alleinerziehenden-Treff. "Es gibt bei jedem Treffen ein Thema", sagt Sippekamp.

"Man bringt nur etwas voran, wenn man sich engagiert"

Es gibt ein Thema. Es gibt aber natürlich die Freiheit, über dies und das zu reden, über Sorgen, Ängste, Pläne, Träume. "Es ist ein entspanntes Miteinander", sagt Sippekamp. "Die Mütter brauchen das, dass sie sich bei uns unterhalten können - sie vergessen oft den lästigen Alltag". Es sei eine "vertraute Gemeinschaft, fast wie Cousinen".

Am Ende findet dann immer ein Abendessen statt, kürzlich wurde türkisch gekocht - wegen Nikolaus, der aus Myra stammt, einem Ort in der heutigen Türkei. "Wer will, kann für das Essen drei Euro hinlegen, muss es aber nicht", sagt Sippekamp. Das Weihnachtsessen, das in diesem Jahr zum fünften Mal stattfindet, ist kostenlos. Es werden Alleinerziehende vom monatlichen Treff kommen. Aber vermutlich auch andere.

Christine Sippekamp trinkt wieder. Sie stellt das Wasserglas ab, blickt einem in die Augen und erzählt, was sie sonst noch macht als Pfarrerin. Es ist viel, sie ist fast jeden Abend verplant. "Man bringt nur etwas voran, wenn man sich engagiert", sagt sie. Das klingt banal. Aber es ist so. Und Christine Sippekamp hat offenbar genug Energie, um sich zu engagieren.

"Der liebe Gott hat mich mit einer hohen Resilienz bestückt", sagt sie, "Burnout wird für mich nie ein Thema sein." Das hört man selten, heutzutage. Wie macht sie das - abgesehen davon, dass die Gottesgabe (weltlich: Sippekamps seelische Robustheit) ihr entgegenkommt? "Immer alles schön nacheinander machen", sagt sie.

Und Zeit für sich selbst haben. Christine Sippekamp macht das ganz früh am Morgen. "Ich stehe um fünf Uhr auf und bin erst mal für mich", sagt sie. "Ich kann da richtig rumtritscheln." Rumtritscheln. Ein schönes bayerisches Wort für langsame Bewegungen und träge Gedanken, für Sinnloses machen und Sinnloses denken, für Glieder und Seele baumeln lassen.

Sippekamp ist stellvertretende Dekanin im Münchner Süden

Ja, sie hat beides: Gelassenheit und Quirligkeit. Das muss gar nicht hintereinander sein, also frühmorgens Gelassenheit und tagsüber Quirligkeit. Christine Sippekamp vermittelt vielmehr den Eindruck, als gebe es Quirligkeit in der Gelassenheit. Sie kann ruhig dasitzen und zuhören, und gleichzeitig ahnt man, dass in ihrem Kopf Gedanken springen, Pläne reifen. Offenbar ständig. Sie sagt, dass sie "immer etwas tun muss". Und dass sie gerne "etwas von anderen Welten erfährt".

Deshalb hat sie 2010 eine anthroposophische Ausbildung bei Ärzten gemacht, deshalb hat sie drei Fernstudien neben dem Job absolviert: Erwachsenenbildung, Total Quality Management und Personalentwicklung im lernenden Unternehmen. Bei ihrem dritten Fernstudium - Personalentwicklung im lernenden Unternehmen - ging es "unter dem Strich darum, die Leute im Unternehmen zu fördern".

Sie kann das praktizieren, schließlich hat sie seit 2013 auch Führungsaufgaben - Sippekamp ist stellvertretende Dekanin im Münchner Süden und für elf Kirchengemeinden zuständig. Die 54-Jährige kümmert sich dort um Sekretärinnen und Mesner, organisiert Fortbildungen, vernetzt sie; "damit die Leute nicht vereinzeln", sagt sie, sondern das Gefühl bekämen, gemeinsam unterwegs zu sein.

Es kämen einfache Menschen und weniger einfache

Zur Führungsstärke gehört es auch, konsequent zu sein. Wie bei dem Mann, der einmal zum Alleinerziehenden-Treff gekommen ist, es muss ein Miesmacher gewesen sein. "Pauschales Rumgenöle unterstütze ich nicht", sagt Sippekamp streng. Der Mann durfte nicht mehr kommen.

Ansonsten sei es wie im wirklichen Leben auch: Es kämen einfache Menschen und weniger einfache. Manche könnten sich nicht ab. Manche schlössen Freundschaften. Wichtig sei in jedem Fall der Austausch unter Erwachsenen. "Alleinerziehende brauchen ein soziales Korrektiv", sagt Christine Sippekamp. Kinder können das nicht wirklich sein: ein kritisches Gegenüber.

Genauso wichtig ist Lob. Und füreinander da sein. "Da passiert ganz viel mit Auffangen und Trösten", sagt Christine Sippekamp. Manchmal höre sie selbst nur zu, wie sich andere gegenseitig zuhören und stärken. Manchmal höre sie selber zu und stärke. "Für mich haben diese Treffen bewusst auch Seelsorge-Charakter." Bei ihr hört sich das nicht pastoral an.

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