Sonntagsversammlung:Sahne statt Sünde

Sonntagsversammlung: Birgit Magiera (re.) organisiert die "Sunday Assemblys", bei denen statt Kirchenliedern zum Beispiel "What a Wonderful World" gesunden wird.

Birgit Magiera (re.) organisiert die "Sunday Assemblys", bei denen statt Kirchenliedern zum Beispiel "What a Wonderful World" gesunden wird.

(Foto: Johannes Simon)

Der Ablauf der "Sunday Assembly" gleicht einem Gottesdienst, nur dass der Glaube dort keinen Platz hat. Rund 50 Münchner Atheisten treffen sich regelmäßig, um gemeinsam zu singen und zu reden

Von Christina Hertel

Statt "Großer Gott, wir loben dich" wird "Aber bitte mit Sahne" von Udo Jürgens gesungen. Statt eines Klingelbeutels geht ein Sparschwein herum. Und anstelle eines Pfarrers, der predigt, erzählen ganz normale Menschen aus ihrem Leben. Die "Sunday Assembly", übersetzt "Sonntagsversammlung", hat die Struktur eines Gottesdienstes, bloß geht es nicht um Jesus, den christlichen Glauben oder die Bibel, sondern um philosophische Themen. Seit fünf Jahren finden diese Gottesdienste ohne Gott in London statt. Und seit kurzem gibt es sie auch in München.

Sonntag, 11 Uhr, in einem Keller an der Georgenstraße in der Maxvorstadt. Etwa 40 Menschen sitzen auf Klappstühlen und

Bierbänken. Sie haben Liedzettel in der Hand und singen John Lennons "Imagine", ein Lied über eine Welt ohne Religionen: "Imagine there's no heaven/ It's easy if you try/ No hell below us/ Above us only sky". Alle machen mit und es fühlt sich ein bisschen wie Zeltlager an, bloß ohne Lagerfeuer.

Die Idee, diese Art der Zusammenkunft auch in München zu veranstalten, hatte Michael Wladarsch bereits vor drei Jahren. Er ist Mitte 50, Atheist, Grafiker und Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit. Wladarsch besuchte eine Sunday Assembly in London und es gefiel ihm. "Warum soll man Gemeinschaft bloß der Kirche, den Vereinen und den Parteien überlassen?", fragte er sich. "Warum soll man nicht das Schöne einer Messe nehmen und etwas Eigenes schaffen - ohne das Klimbim drumherum und den Gotteskram?" Aber irgendwie schlief das Ganze in München ein, noch bevor es richtig losging. Bis die Hörfunkjournalistin Birgit Magiera vor ein paar Monaten im Internet von der Sunday Assembly las, Wladarsch eine E-Mail schrieb und nachfragte, wann denn das nächste Treffen sei. Es gab noch überhaupt keines, lautete die Antwort. "Wenn du eins haben willst, musst du es schon selber machen." Sie beschloss: "Okay, jetzt packen wir's an." Seitdem veranstalteten die beiden bereits sechs dieser Zusammenkünfte, fast jedes Mal kamen um die 50 Menschen, immer steht ein anderes Thema im Mittelpunkt. Diesmal ist es - passend zur Weihnachtszeit - Überfluss.

Der Psychotherapeut und Buchautor Andreas Meißner hält einen Vortrag darüber, wie angenehm es sein kann, weniger zu konsumieren und sich dafür der Natur und der Ruhe zuzuwenden. Die Predigt eines Pfarres könnte einen ähnlichen Inhalt haben - nur fallen bei Andreas Meißner eben keine religiösen Begriffe wie Gott, Sünde oder Glauben.

"Bei uns gibt es kein Buch wie die Bibel, in dem die ganzen Antworten auf das Leben drin stehen. Bei uns schreibt niemand vor, wie du leben oder was du glauben sollst", sagt Birgit Magiera. Sie stammt aus einer christlichen Familie, ist als Kind regelmäßig in die Kirche gegangen, bis sie irgendwann merkte, dass sie das Glaubensbekenntnis nicht mehr mitsprechen konnte, ohne sich wie eine Lügnerin zu fühlen. "Aber alles andere drumherum finde ich nach wie vor gut." Die Gemeinschaft, das Singen und auch den Austausch über philosophische und gesellschaftliche Themen.

So ähnlich geht es Esther Ehmer, 52 Jahre alt, blond und fröhlich. Auch ihre Familie sei sehr religiös, sagt sie. "Aber ich bin in den Gottesdiensten immer fast eingeschlafen. Und dann habe ich begonnen, die Lichter an der Decke zu zählen oder mich auf eine andere Weise abzulenken." Irgendwann habe sie gemerkt, dass bei vielen Christen das Gerede von Nächstenliebe bloß geheuchelt sei. "Das hat mich so genervt." Heute besucht sie die Kirche bloß noch zu Weihnachten. Bei der Sunday Assembly sei es anders - es herrsche Besinnlichkeit, aber es gebe keinen Zwang. "Ich fühle mich nicht so, als ob ich hier sein müsste." Auch Petra Busch, 58, gefällt, dass bei der Sunday Assembly niemand den Eindruck erwecke, als predige er eine unumstößliche Wahrheit. Besonders gerne aber mag sie das Singen. Neben "Imagine" und "Aber bitte mit Sahne" stehen an diesem Sonntag noch "What a Wonderful World" und "Jingle Bells" auf dem Liedzettel.

In Deutschland gibt es die Sunday Assemblys neben München noch in Berlin und Hamburg. Der Ablauf ist auf der ganzen Welt gleich und immer an die Liturgie der Kirche angelehnt. Mittlerweile würden die britischen Komiker Sanderson Jones und Pippa Evans, die die Sunday Assembly in London gründeten, das auch überprüfen, erzählt Michael Wladarsch. Er musste ein Video einschicken, mehrmals mit den beiden telefonieren und sogar besucht hat er sie. Dass die Sunday Assembly so viele Parallelen zu einem christlichen Gottesdienst hat, stört ihn als Atheisten nicht. "Die Struktur hat sich ja über Jahrhunderte bewährt. Wenn im Schuh ein Stein drückt, würde man doch auch nicht gleich den ganzen Schuh wegwerfen, oder?"

Das nächste Mal findet die Sunday Assembly am Sonntag, 21. Januar, in der Seidlvilla statt. Beginn ist um 11 Uhr.

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