Solo-Kabarett:Raus aus der Deckung

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Josef Brustmann ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Doch daheim wurde immer musiziert, und Brustmann machte die Musik später zu seinem Beruf. (Foto: Hartmut Pöstges)

Josef Brustmann schmiss seinen Job als Musiklehrer, um Musiker zu werden. Dabei merkte er: Ich erreiche die Leute auch alleine, nur mit Worten. Mittlerweile ist der 60-Jährige im Bayerischen Fernsehen zu sehen, geht wieder als Musiker auf Tour und startet im Januar ein Soloprogramm. Ein Besuch

Von thomas becker

Josef Brustmann hat einen coolen Arbeitsplatz, verkehrstechnisch gut angebunden: durch die Küchentür raus auf die Terrasse, ein paar Stufen hoch zum Gartenhäuschen und schon ist er im Büro. Musikinstrumente hinter ihm, vor sich den Schreibtisch mit ein paar Dutzend Ideenzetteln, und wenn er den Blick hebt, liegt sie da, die Alpenkette, vom Wendelstein bis zum Herzogstand. Texten vor prima Kulisse, in historischem Ambiente: Was heute Dichter- und Denkerstube ist, war vor hundert Jahren das Kassenhäuschen der Standseilbahn, die von Leoni zur Rottmannshöhe führte. Nun gehen aber keine Taler mehr über den Tisch, sondern Brustmanns Gedanken, Kompositionen, Songs und Gedichte, die ihm den Status des Turmschreibers und unlängst auch den Poetentaler einbrachten. Mit Preisen überhäuft wurde der gerade 60 Jahre alt gewordene Musikkabarettist nicht wirklich, was auch daran liegen mag, dass er nicht zu den Lautsprechern der Szene zählt. Verdient hätte er jedenfalls mehr als Paulaner Solo, Garchinger Kleinkunstmaske und Thüringer Kleinkunstpreis.

Beim Apfelkuchen erzählt er drinnen in der Stube mit dem schweren Holzboden und dem modernen Ofen, was er alles so macht. "Wenn ich das erklären muss, hole ich meistens erst mal tief Luft. Ich bin nicht so leicht in die Schubladen reinzuprügeln. Offiziell mache ich Solo- oder Musikkabarett, aber eben auch vieles andere." Wohl wahr: Am 8. Januar hat sein viertes Programm "Fuchs-Treff - nix für Hasenfüße" Premiere in der Lach- und Schießgesellschaft in München, von April an geht er nach zwölf Jahren Pause wieder als Multi-Instrumentalist mit dem Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinn auf Tour. Er spielt seit vier Jahren mit Marianne Sägebrecht "Sterbelieder fürs Leben", schreibt Gedichte, stürzt sich in Theaterprojekte und ist einer von vier Schafkopfern in Luise Kinsehers neuem TV-Format "Ober Unter Sau" (9. Januar im BR, 23 Uhr). Was fehlt? Bildende Kunst? "Die hat mich schon an der Musikhochschule elektrisiert", sagt Brustmann. Seine Zulassungsarbeit schrieb er über den Briefwechsel von Schönberg und Kandinski, erkannte aber: "Da muss man mit dem ganzen Leben rein. Zu viel gleichzeitig geht nicht. Ich bräuchte drei Leben. Lust hätte ich schon, aber du brauchst immer lange Prozesse im künstlerischen Leben, sonst bleibt es Bastelei." Heute langt ihm ein leeres Blatt Papier: "Das ist ein ähnliches Loslassen, ein Zu-Denken-Aufhören, ein Schlüssel zum Innersten."

Mit den Gedichten ist es ähnlich: eher eine idealistische, persönliche Sache. "Vom Gedichte schreiben leben müssen? Ein Graus!" Immerhin trägt er ab und zu welche vor - anders als Martin Walser. Auf dessen Geburtstag hatte er mal gespielt und ihm später von seiner Lyrik erzählt, woraufhin ihm Walser gestand, dass er lange gezögert habe, seine Gedichte herauszugeben - "aus Angst, dass der Reich-Ranicki ihm da drauf spuckt. Das hat mich getröstet, dass sich selbst so ein weltberühmter Dichter in die Hosen scheißt." Brustmann schickte Walser seine Gedichte, und dieser diente sie sogleich seinem Verlag an. Doch bei rororo hieß es, man drucke keine Gedichte mehr, was wiederum in einem wütenden Brief Walsers mündete, dass es ein Skandal sei, dass so ein großer Verlag keine Gedichte mehr verlege. Brustmann war derweil einfach froh über den Zuspruch. Davon hatte er früher nicht so viel bekommen - kein Wunder, als achtes von neun Kindern.

Sein erstes Programm hieß "Leben hinterm Mond". Von da kam er: aus der Wildnis. Die Eltern waren nach dem Krieg aus einem mährischen Dorf bei Brünn vertrieben worden, der Vater musste drei Jahre in Gefangenschaft, die Mutter schlug sich in Teisendorf mit der Kinderschar alleine durch, als Magd. Zehn Jahre lang lebten sie auf 20 Quadratmetern, erzählt Brustmann: "Es gab einen Ofen, ein Dach überm Kopf und ein bissl was zu essen. Einen haben sie in die Klosterschule geschickt, einen ins Priesterseminar - damit Platz wird. Die Armut hat uns nicht geschadet, eher zusammengeschweißt. Die Lebensreichtümer finden eh woanders statt." Er schwärmt von der "wahnsinnigen Freiheit: Pferde, Kühe, Acker, Wald, Teich und Weiher - als Kind brauchst du ja nichts anderes". Ein Radio gab es nicht, den ersten Fernseher, als er 16 war. "Aber wir haben immer gesungen, mehrstimmig. Diese Tradition hatte die Mutter aus Mähren mitgebracht. Da haben sie Gänse gerupft, Federn geschlissen, also entkielt, und dabei gesungen, bei Tee und Schnaps. Gesang war ihr Lebensmittel." Noch heute musiziert Brustmann zuweilen mit seinen Geschwistern: "Die machen eher traditionelle Volksmusik, haben aber nichts dagegen, wenn ich ausbreche." Von den Eltern, die ein Gemisch aus böhmisch, mährisch und österreichisch sprachen, hat er keinen Dialekt übernommen: "Das war eine komplette Fremdsprache für mich. Eine, die ausgestorben ist."

Später zog die Familie nach Waldram bei Wolfratshausen, Josef, der Zweitjüngste, studierte Cello und wurde Musiklehrer am Derksen Gymnasium in Großhadern. Nach zehn Jahren hatte er genug und schloss sich Anfang der 90er-Jahre mit Otto Göttler und Monika Drasch zum Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinn zusammen. Neue Volksmusik nannte man das, das Trio kritisierte die Politik und spielte Geige, Dudelsack, Drehleier, Zither, Saxophon, singende Säge, Tuba, Pauke, Mundharmonika, Ukulele, Gitarre, Alphorn, Harfe, Cello, Bandoneon und die namensgebende diatonische Ziehharmonika, also alles, was nicht bei eins auf dem Baum war. "Wir hatten schon wilde Texte", sagt Brustmann, "auch mal Achternbusch und Wondratschek. Ich hatte das Gefühl, dass ich da alles unter einen Hut bringe. Und das Hochschaukeln, das Zusammenspiel mit anderen, das ist immer wieder ein kleines Wunder." Zehn Jahre lang klappte das, bis man sich auf dem Höhepunkt des Erfolgs trennte - "weil wir uns nicht mehr so verstanden haben. Das war krass, aber ehrlich".

Brustmann spielte noch sechs Jahre bei der Monaco Bagage - und traute sich dann ans Solo-Kabarett, sozusagen raus aus der Deckung, wagte den Spagat zwischen Tiefgang und Unterhaltung. Seine Anmoderationen waren früher kurze Ansagen. Allmählich wurde das mehr, bis er merkte: "Ich kann auch mal eine ganze Geschichte erzählen. Ich erreiche das Publikum auch mit dem Wort!" Und parallel zu den Solo-Auftritten nun also wieder der Jodelwahnsinn. Eine Agentur hatte das Comeback initiiert, und prompt waren die 40 angebotenen Termine innerhalb von zwei Tagen gebucht - nach zwölf Jahren Pause! "Ein solcher Vertrauensvorschuss! Das hätte ich nie gedacht", sagt Brustmann.

Brustmann glaubt, dass nach dem Ende der Biermösl Blosn im politischen Musikkabarett in Bayern eine Lücke klafft. Und der Stoff geht einem ja nicht aus. Über Pegida sagt er: "Frust-Nichtwähler mit umgelenktem Selbsthass. Die haben das Gefühl, im Leben zu kurz zu kommen. Und dass das Bruttosozialprodukt derzeit so hoch ist, weil die Waffenindustrie so gut verkauft, dass man es gar nicht erst rausrechnen mag, wird in der Asylanten-Diskussion gerne übersehen." Josef Brustmann hat in seinem coolen Büro demnächst wohl noch so einiges zu Papier zu bringen.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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