Solln:Eintauchen ins große Rot

Archiv Geiger

Julia Geiger (re.), Enkelin des Malers und Architekten Rupprecht Geiger, und Sandra Westermayer stehen für Führungen durch das Sollner Archiv bereit.

(Foto: Lukas Barth)

Das Archiv Geiger an der Muttenthalerstraße in Solln erobert sich einen festen Platz in der Münchner Museumslandschaft. Im öffentlichen Raum ist der 2009 gestorbene Künstler schon lange nicht mehr zu übersehen

Von Jürgen Wolfram, Solln

Rot. Rot. Blau. Orange. Ist das ein Leuchten, wenn die Sonne hineinstrahlt in den Bungalow an der Muttenthalerstraße. Das zweite Faszinosum des Archivs Geiger: seine Authentizität. Im ehemaligen Atelier des Künstlers und Architekten Rupprecht Geiger (1908 - 2009) erzählen Farbkleckse auf den Böden, Tonnen voller fluoreszierender Pulver und jede Menge Mal-Utensilien vom schaffensreichen Leben eines Virtuosen der Farben und Formen. Man kann nachvollziehen, was seine Enkelin Julia Geiger, die das funkelnde Erbe betreut und präsentiert, über ihren Großvater sagt: Er habe 70 Jahre damit verbracht, Farben zur Wirkung zu bringen.

Farbe, vor allem Rot, sei sein Lebenselixier gewesen. Ein äußerst wirksames offenbar, denn Rupprecht Geiger wurde 101 Jahre alt. Für die signalartigen Spuren, die er hinterlassen hat, interessieren sich immer mehr Leute. Allein in der vergangenen Woche hatte das Archiv an Münchens südlicher Stadtgrenze das Alten- und Service-Zentrum Solln-Forstenried und den Bezirksausschuss 19 zu Gast. Schon die Eröffnung im Jahr 2010 lockte 800 Kunstinteressierte ins ländliche Solln.

Trotz der Bedeutung Rupprecht Geigers würde die Enkelin das Archiv noch immer als "Geheimtipp" kategorisieren. Aber sie und ein paar engagierte Mitarbeiterinnen lassen nichts unversucht, den Status aufzupolieren. Mal veranstalten sie Kunstworkshops, auch für Kinder in einer Jurte, mal beteiligen sie sich an Tagen des offenen Ateliers. Einmal pro Monat steht eine öffentliche Führung auf dem Programm; von Zeit zu Zeit wechselt die Präsentation. Mitunter enden Volkshochschul-Exkursionen hier. Damit es mit der Etablierung des Archivs in der Münchner Museumslandschaft zügiger vorangeht, finanzielle Lasten und die dokumentarische Arbeit sich auf mehr Schultern verteilen, wünscht sich Julia Geiger die Gründung eines Freundeskreises oder Fördervereins. Und sie hofft darauf, dass die Stadt zum 110. Geburtstag ihres berühmten Sohns mal wieder eine Ausstellung mit Gemälden, Zeichnungen und Collagen auf die Beine stellt. Julia Geiger selbst hat es sich längst zur Lebensaufgabe gemacht, das Werk des Großvaters hochzuhalten.

Rupprecht Geiger hat seine produktivste Zeit in den 1970er-Jahren. Von 1965 bis 1976 ist er Kunstprofessor in Düsseldorf. Joseph Beuys und Gerhard Richter kreuzen seinen Weg. An der Documenta in Kassel nimmt er gleich viermal teil, 2002 auch an der Biennale in São Paulo. Ursprünglich Architekt von Beruf, entdeckt der gebürtige Münchner im Zweiten Weltkrieg, an der Ostfront, seine Neigung zur bildenden Kunst. Anfangs findet sie ihren Ausdruck im Aquarellieren. Später bevorzugt Geiger die Abstraktion, steigert sich in das Spiel mit Farben, Flächen, Kreisen. Der Umgang mit Pinsel und Zeichenstift ist ihm so selbstverständlich wie der Griff zur Spritzpistole. Und nichts törnt ihn so an wie die Farbe Rot. Für Rupprecht Geiger steht sie für Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme Kraft. Mit einem Wort: für das Leben. Auf den Geschmack kommt der Sohn des Künstlervaters Willi Geiger auf ausgedehnten Reisen ans Mittelmeer.

Rupprecht Geiger ist mit seinen Werken höchst präsent im öffentlichen Raum der Stadt München. Das Plattenmosaik an der Fassade des Hauptbahnhofs stammt von ihm, ebenso das "Gerundete Blau" am Gasteig. Eines seiner - im Wortsinn - größten Werke, "Großes Rot mit Contrapunkt", hat er an die Wände des Hochschul-Foyers an der Neuhauser Lothstraße 34 gesprüht: Lieblingsfarbe im 5,5 mal zehn Meter-Format. Im Kontrast dazu steht eine Aluminium-Arbeit, eine monumentale Skulptur an der Ecke Königinstraße/Thiemestraße. Fast farblos, ist sie ausnahmsweise mal von der Form dominiert. Das Werk mit dem Titel "Konkav gerundet" ist von der Münchner Rückversicherung (Munich Re) errichtet worden.

Als unlängst Bezirksausschuss-Mitglieder das Atelier besichtigten, kamen ihnen spontan weitere typische Zeugnisse Rupprecht Geigers in den Sinn: die leuchtend mit Acryl lackierten Rechtecke und Kreise an den Wänden des U-Bahnhofs Machtlfinger Straße in Obersendling. Im Sollner Archiv hängt unter anderem "Morbides Rot", ein attraktives Spätwerk unter den ungefähr 1000 Gemälden, die Geiger der Welt schenkte. "Er hat bis zuletzt jeden Tag gearbeitet", berichtet Julia Geiger, "das hat ihn bis ins Greisenalter jung gehalten".

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