Slam im Hofbräuhaus:Gstanzl in Ost-Dur

Krachlederne neben Bermudas, Quetschen neben E-Gitarre: Beim Gstanzl-Slam im Hofbräuhaus beweisen Hobbysänger, dass die bayerische Wirtshausmusik längst den Weißwurst-Äquator überschritten hat.

Elisabeth Schmidt

Segam raunt seinen Spezl an: "Lass da was eifoin!" Der bläst ein paar Töne auf der großen Blechhupn und dann rappen die Musiker Segam und Andi B. los - auf Oberpfälzisch.

Gstanzl-Slam im Hofbräuhaus, München, die niederbayerische Gruppe D'Grenzstoarucka bei ihrem Auftritt am 11.4.2011

Zünftige Wirtshausmusik aus Niederbayern: D'Grenzstoarucka aus Eining.

(Foto: Elisabeth Schmidt)

Tradition ist "in". Spätestens seit der Wiesnbesuch im Dirndlgwand gruppenzwanghafte Züge angenommen hat, macht sich der Trend auch im Schmelztiegel München bemerkbar. Allerdings ist es gar nicht so einfach, Tradition zu definieren. Das Hofbräuhaus wollte es genauer wissen, rief einen Gstanzl-Slam aus und stellte ihn unter das Thema "Heimat".

Ausgerechnet das Hofbräuhaus, munkelten einige im Vorfeld. Das Traditionshaus, in dem man durchwegs mehr internationale Gäste als heimische antrifft. Was weiß man da über die bayerische Heimat? Allerdings gibt es sehr wohl einen Grund, warum die Organisatoren das Hofbräuhaus als Austragungsort gewählt haben: Die ursprüngliche bayerische Wirtshauskultur mit ihrem internationalen Renommé steht vor dem Aussterben. Mit dem Slam will man Nachwuchstalente für die Wirtshausmusik suchen.

Neun Gruppen traten am Montagabend beim Gstanzl-Slam an. Den Nicht-Native-Speakern sei erklärt, dass ein Gstanzl eine vierzeilige Strophe ist, die in Reimform, oft aus dem Stegreif und meistens mit bissigem Humor vorgetragen wird.

Ein Slam wiederum ist eine aus Amerika importierte Wettbewerbsform, bei der eine Jury oder das Publikum über den Sieger entscheidet. Eine kulturelle Mischform also, Sinnbild der modernen Bavaricas, die beim Gstanzl-Slam im Hofbräuhaus sichtbar war: Sänger in der Krachledernen standen neben Gangsterrappern mit weiter Jeans und Schirmmütze, Dirndlgwand neben Bermudas, Gamsbarthut neben Rastalocken, Quetschn neben E-Gitarre. Alle sangen aber auf Bairisch.

Kurz vor Beginn ist der Wappensaal im Hofbräuhaus bereits brechend voll. Die ersten Halben Bier und Schweinsbraten zirkulieren. "Es geht darum, dass wir Spaß haben und es geht um die Musik", verkündet Schauspielerin Christine Adler, die zusammen mit Franz Kotteder von der SZ durch den Abend führt. Die Idee ist, dass jede Musikgruppe fünf Minuten ihre Gstanzl zum Besten gibt - wobei man laut Wettbewerbsausschreibung auch hochdeutsche Lieder als "Gstanzl" durchgehen lässt.

Die Stimmung ist trotzdem heiter. Karohemden und Trachtenjanker dominieren bei dem vorwiegend jungen Publikum. Eifrig wird über die Spielregeln philosophiert: "Die werden denen den Saft knallhart nach fünf Minuten abdrehen", mutmaßt ein Niederbayer. Ganz so genau nehmen es die Organisatoren dann aber doch nicht und drücken bei ein paar Sekunden mehr oder weniger ein Auge zu. Eine Jury vergibt pro Beitrag Wertungen wie beim Eiskunstlauf - von 0,0 bis 10,0. Die drei besten Gruppen treten am Ende des Abends nochmal gegeneinander an. Das Publikum wählt dann per Applaus wiederum zwei Gewinner, die im Finale des Gstanzl-Slams am 5. Juli dabei sein dürfen.

Die Kunst des Saudumm-Daherredens

Beim Publikum beliebt waren gleich von Anfang an die Gerner Zipfeklatscher, eine zünftige Truppe, deren Mitglieder teilweise aus der Punkrock-Szene kommen. Statt übersteuertem E-Gitarrensound heizten die Zipfeklatscher mit Quetschn (Ziehharmonika), Klampfn (normaler Gitarre) und Löffeln (Kochlöffel als Percussioninstrumente) ein.

Die Kombination aus derb-bayerischem Humor und intelligenten Reimen brachte das Publikum zum Toben, wenn es zum Beispiel hieß, "Ja, des is für'n Rest der Welt, wo's an Kultur meistens fehlt." Das "Mia san mia"-Gefühl befeuerte auch Zwoastoa aus München, die mit einem "Traditional" die Zuhörer zum Mitklatschen und Schunkeln animierten. Da Ding sang mit seinem Spezl baierische Weisen mit afrikanischem Drum-Beat. Vielfältiger kann Heimat kaum sein.

Im Saal ist es mittlerweile unerträglich heiß. Mit "Mia ham koa Bier mehr" spricht der Münchner Michi Dietmayr dem Publikum aus der Seele. "Wir haben noch Bier", beruhigt Moderator Franz Kotteder das Publikum, in dem immer mehr Anarchie ausbricht. Es wird lautstark diskutiert, die Moderatoren sind kaum noch zu verstehen.

Offenbar hat auch die Jury im stickigen Saal eine trockene Kehle bekommen - Dietmayrs Bier-Song schafft es unter die beste drei und kommt ins "Stechen". Dort besingt Dietmayr in seinem "Liebeslied in Ost-Dur" einen One-Night-Stand eines Bayern mit einer Sächsin, der damit endet, dass der Lederhosenträger das Weite sucht, um sich den Klängen der ungewohnten Mundart zu entziehen.

Immer wieder setzt es an diesem Abend humorige Seitenhiebe auf Bundesbürger nördlich des Weißwurst-Äquators. Die Kunst des Saudumm-Daherredens, die schon Karl Valentin perfektionierte, kannte beim Gstanzl-Slam aber auch ihre Grenzen. So fiel ein skurriler Musiker, der sich Felix aka Meister SLX nannte, beim Publikum durch - seine Kraftausdrücke in Kloakendeutsch-Manier waren einfach zu lächerlich. Ähnlich erging es der Fränkin Margot Richter, die zwar frei improvisierte, dafür aber ein bisschen schief sang. "Ich klatsche, weil sie aufhört", war von mehreren Seiten aus dem Publikum zu hören, das zwar nicht immer fair war, dafür aber offenbar genaueste Vorstellungen von echter bayerischer Kultur hatte.

Am Ende war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Beim Publikums-Voting wurde die Dezibelzahl gemessen, mit der eine Musikgruppe ins Finale geklatscht beziehungsweise gebrüllt wurde. Die Gerner Zipfeklatscher kamen mit 102.0 dB ins Finale, Michi Dietmayr fehlten am Ende 0,4 dB.

D'Grenzstoarucka aus dem niederbayerischen Eining waren mit einem 40-köpfigen Fanblock angerückt und setzten sich mit 102,1 dB an die Spitze. In schönstem Niederbaierisch besang die Blasn eine uralte Tradition in ihrer 250-Seelen-Heimat: Das Grenzsteinrücken, bei dem Kleinbauern früher die Markierungssteine an ihren Feldern verrückten, um die Ackerflächen zu vergrößern. Echte bayerische Bazis eben.

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