Silvesternacht in München:Abwägen unter Hochdruck

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Schwer bewaffnete Polizisten nach den Terrorwarnungen in der Silvesternacht in München. (Foto: Getty Images)

Kaum Zeit, die Warnhinweise zu prüfen: Die Terrorwarnung in München hat gezeigt, wie schwierig es für die Behörden ist, die Gefahrenlage richtig einzuschätzen.

Analyse von Georg Mascolo und Katja Riedel

Eigentlich sahen die deutschen Sicherheitsbehörden dem Jahreswechsel mit einer gewissen Gelassenheit entgegen. Zwar hatte es Hinweise auf mögliche Anschläge in Europa - und auch in München - gegeben, aber nach intensiver Prüfung waren diese als nicht sonderlich glaubwürdig eingeschätzt worden. Zudem hatte es nach den Attentaten in Paris und dem abgesagten Fußball-Länderspiel in Hannover eine Fülle von Durchsuchungen in der islamistischen Szene gegeben. Nirgendwo fanden sich Hinweise auf Waffen oder geplante Anschläge. Die Ermittlungen zu dem angeblich geplanten Anschlag einer Terroristen-Gruppe in Hannover laufen offiziell noch, aber keiner der angeblichen Täter wurde bisher identifiziert. Mancher in den Sicherheitsbehörden glaubt inzwischen, dass es den Plot gar nicht gab.

In diese Situation platzte am Silvestertag die Meldung von den angeblich um Mitternacht bevorstehenden Anschlägen auf die Bahnhöfe in München. Von den Bahnhöfen war schon in einer ersten Meldung vor Weihnachten die Rede gewesen, bayerische Behörden, die Staatsanwaltschaft München und das Bundeskriminalamt gingen der Sache nach. Seit dem 23. Dezember ermittelt die Sonderkommission "Januar" deshalb.

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Aus einer abstrakten Gefährdung wurde eine konkrete

In der neuen Meldung wurde es nun noch einmal sehr viel konkreter, von Anschlägen um Mitternacht durch Selbstmordattentäter war die Rede. Auch die Namen von mehreren angeblichen Terroristen, allesamt Syrer oder Iraker, wurden genannt. Der Hinweisgeber war vom BND selbst befragt worden, seine Aussagen waren als glaubwürdig eingestuft worden. Schließlich stellte sich heraus, dass auch die Franzosen über entsprechende Informationen verfügen.

All dies zusammengenommen führte dazu, dass der Bund von einer glaubwürdigen Terrorbedrohung ausging, das BKA informierte die Bayern. Aus der abstrakten Gefährdung Deutschlands schien auf einmal eine sehr konkrete geworden zu sein. Im Polizeipräsidium in München wurde entschieden, die Öffentlichkeit zu warnen und die Bahnhöfe zu sperren. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann war eng eingebunden.

Früher waren Meldungen von Dschihadisten, die Sprengstoffgürtel zünden, meist als unglaubwürdig abgetan worden - so etwas hatte es in Europa schließlich nie gegeben. Seit Paris gilt dieses Szenario den deutschen Sicherheitsbehörden aber als denkbar. Weil Deutschland sich nun mit Aufklärungsflugzeugen am Krieg gegen den IS in Syrien beteiligt, gilt das Risiko von Anschlägen hierzulande als noch einmal höher. Der IS hat erklärt, all jene zu bekämpfen, die ihn bekämpfen.

Vor allem wegen der Kürze der Zeit entschieden bayerische Behörden, sofort die öffentliche Warnmeldung herauszugeben. Für eine gründlichere Überprüfung oder eine längere Debatte fehlte die Zeit - die Parallelen zu Hannover sind unübersehbar. Auch hier hatte man erst Entwarnung gegeben - und wurde dann durch eine weitere Meldung kurz vor dem Spiel zum Umdenken bewogen. Es sei ein Unterschied, ob man 14 Tage Zeit habe oder vier Stunden, sagte der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä.

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Informationen von irakischen Geheimdiensten

Wie in Hannover stammte auch in München zumindest ein Teil der Information offenbar ursprünglich von einem der irakischen Geheimdienste. Sie sollen den Hinweisgeber nach bisher unbestätigten Informationen in Haft haben. Die irakischen Geheimdienste gelten als überaus bemüht und kooperationswillig. Aber manche in den deutschen Behörden glauben, dass ihre Hinweise nicht immer stichhaltig sind. Aber in diesen Zeiten werden auch solche Plots als möglich erachtet, die früher in der Ablage verschwunden wären. Zudem konnte - anders als im Fall Hannover - die Quelle der Anschlagswarnung selbst befragt werden.

Die Einschätzung von Warnhinweisen gilt als das schwierigste Geschäft für Sicherheitsbehörden und Politiker. Wie in Hannover wurde in München bisher keiner der angeblichen Täter gefunden, auch kein Sprengstoff wurde entdeckt. "Bisher hat von uns niemand die Attentäter gesehen oder gehört", sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Die Entscheidung verteidigte er: Man habe nicht anders handeln können.

Kritik an dieser Entscheidung gibt es bislang nicht, aber erste Sorgen, dass man ähnlich wie die belgischen Behörden in eine Spirale der Absagen geraten könne. Das Jahr 2016 wird kein leichtes werden für die deutschen Sicherheitsbehörden.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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