Silvester:Beine von selbstgebastelten Böllern zerfetzt

Silvester: Misslungenes Chemie-Experiments: die Garage nach dem Knall.

Misslungenes Chemie-Experiments: die Garage nach dem Knall.

(Foto: LKA)

Ein junger Mann erzählt, wie er sich vor einem Jahr mit selbstgebastelten Böllern fast selbst getötet hätte. Die Polizei warnt vor dem Silvesterabend.

Von Martin Bernstein

Ein lauter Knall, eine Druckwelle, die noch in mehr als 15 Metern zu spüren ist. Der Kopf zerplatzt in Hunderte winzige Teile. Es ist nur ein Kohlkopf, der da zwischen den Sprengbunkern des Bayerischen Landeskriminalamts (LKA) in Garching-Hochbrück in die Luft fliegt, zerfetzt vom kleinsten illegalen Böller, der auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Knapp drei Gramm Sprengstoff, doch die Wirkung ist verheerend. "Wenn der in der Hand explodiert", sagt Kriminalhauptkommissar Jürgen Gust, Chef der LKA-Sprengstoffexperten, "dann hilft Ihnen auch der beste plastische Chirurg nichts mehr."

Ein junger Mann steht ein paar Meter von der Demonstration entfernt und nickt. Dass er seinen 23. Geburtstag feiern konnte und sogar inzwischen wieder Sport treiben kann, das hat er Ärzten zu verdanken. Und einem schier unglaublichen Glück. Genau ein Jahr ist es her, dass ein Sprengsatz die Beine des jungen Mannes zerfetzte. Drei Wochen lang lag er im Koma. Jetzt ist er gekommen, um zu warnen.

"Wir dachten, es wäre ein kalkulierbares Risiko", sagt der Hüne mit leiser Stimme. "Es war nicht kalkulierbar." Zusammen mit zwei Freunden und einer Freundin will er an jenem Donnerstag vor einem Jahr Feuerwerkskörper selbst herstellen. Das haben sie die Jahre zuvor auch schon getan. Legale Böller sind langweilig, finden die vier. Und das Zeug aus Polen oder Tschechien kommt ihnen zu gefährlich vor.

Chemikalien? Kein Problem. Bauanleitung? Gibt's im Internet. In der Garage der Eltern westlich von München geht es an die Arbeit. Der damals 22-Jährige will die Substanzen noch verbessern, indem er sie in einer Metallschüssel fein zerreibt. Die Schüssel klemmte er sich zwischen seine Beine. "Ist das nicht gefährlich?", fragt ihn sein zwei Jahre älterer Freund. Zugleich mit der Antwort "Nein" detoniert der Chemikalienmix zwischen seinen Oberschenkeln.

Eine zweite Explosion erschüttert unmittelbar darauf die Garage. Die Garagentore werden aus ihrer Verankerung gerissen. Wo der junge Mann saß, klafft ein Loch im Sofa. Die Explosion reißt dem Böller-Bastler das Fleisch von den Oberschenkeln, die Knochen schauen heraus. Der 22-Jährige wird mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Münchner Krankenhaus geflogen. Auch sein zwei Jahre älterer Freund erleidet schwere Verletzungen, die beiden anderen kommen etwas glimpflicher davon.

"Baut bitte keine Böller selbst und lasst auch die Finger von den Schwarzmarkt-Sachen", sagt der 23-Jährige ein Jahr später fast flehentlich in die Mikrofone und Kameras in Garching. "Riskiert nicht euer Leben, nur damit es ein bisschen mehr knallt."

Auch legale Feuerwerkskörper können Schlimmes anrichten

Der junge Mann aus dem Raum Landsberg ist kein Einzelfall, weiß LKA-Experte Jürgen Gust. Weitere vier Menschen wurden vor einem Jahr allein in Bayern durch Unfälle mit Silvester-Böllern schwer verletzt, weitere 70 erlitten leichte Verletzungen, wie Knalltrauma, Brand-, Kopf-, und Augenverletzungen. Gemeldet wurden zudem mehr als 100 Brände mit mindestens 600 000 Euro Schadensumme.

Doch auch legale Feuerwerkskörper mit Zulassungsnummer, die an Silvester und Neujahr gezündet werden dürfen, können Schlimmes anrichten, wenn sie falsch angewendet werden - oder gar mutwillig auf Menschen oder Gebäude abgefeuert werden. Letztes Jahr wurde es auf dem Marienplatz deshalb richtig gefährlich. Die Polizei werde "konsequent einschreiten und Straftäter festnehmen", sagt Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä.

Ein anderer Brennpunkt wird wohl wieder der Friedensengel sein. In den vergangenen Jahren wurde da sogar auf vorbeifahrende Autos geschossen. Dort soll es heuer verstärkte Absperrungen geben. Geschlossene Einheiten mit bis zu 50 Einsatzkräften pro Trupp wird die Münchner Polizei in der Silvesternacht zusätzlich aufbieten. Die Umgebung von Kliniken oder Altenheimen sowie von Schloss Nymphenburg und der Dachauer Schlossplatz sind ohnehin tabu.

Der 23-jährige Landsberger wird nicht auf der Straße sein. Böller? Davon hat er genug. Silvester werde er im Kreis der Familie feiern, ganz ruhig. Und sein geschenktes Leben genießen.

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