Sikh-Gemeinde in München:Nach allen vier Seiten offen

Baisakhi festival marks beginning of the Sikh New Year

Sikhs erkennt man auf den ersten Blick an ihrem Turban - und den langen Bärten.

(Foto: dpa)

Lange Bärte und einen Turban auf dem Kopf: Angehörige der Sikhs werden häufig mit Muslimen verwechselt. Auch den Gläubigen in der Münchner Gemeinde passiert das. Ein Besuch im Tempel.

Oliver Klasen

Mitten in München, im Stadtteil Berg am Laim, gibt es einen Tempel. Die meisten Stadtbewohner dürften von ihm noch nie Notiz genommen haben, was auch daran liegen kann, dass er ganz und gar nicht wie ein Tempel aussieht: ein zweistöckiger, weiß getünchter Flachbau. In der Nachbarschaft: Discount-Supermärkte, Autohändler und eine Automatenspielhalle.

Hier, in der Gurdwara Sri Guru Nanak Sabha, hat die Sikh-Gemeinde in München ihren Sitz. Hier beten und treffen sich die Gläubigen, etwa 200 von ihnen kommen regelmäßig. Ja, natürlich könne man vorbeikommen und sich informieren, sagen die Münchner Sikhs. Von den Ereignissen in den USA habe man aus dem Fernsehen erfahren. Dort, im Bundesstaat Wisconsin hat ein Mann in einem Sikh-Tempel sechs Menschen erschossen, bevor er selbst von einer Polizeikugel getroffen und getötet wurde.

Die erste Kontaktaufnahme ist ein bisschen kompliziert. Herr Singh versteht nicht so gut deutsch und reicht das Telefon an Herrn Singh weiter. Der hält kurz Rücksprache und verweist dann auf einen dritten Herrn Singh, der sicher gerne Auskunft geben könne. Singh steht für Löwe und es ist der Nachname, den alle männlichen Sikhs tragen. Auch bei den Frauen ist ein Teil des Nachnamens stets gleich. Alle Sikh-Frauen heißen Kaur, also Prinzessin.

Der Sikhismus ist eine relativ junge Religion. Erst Ende des 15. Jahrhundert wurde sie von dem Prediger Guru Nanak Dev Ji im nordindischen Punjab begründet. Im Unterschied zum Hinduismus lehnen die Sikhs das Kastensystem und jede Ungleichheit unter den Menschen ab. Heute leben auf der ganzen Welt mehr als 20 Millionen Sikhs. Die meisten von ihnen finden sich in Indien, aber auch in den USA, Kanada und Großbritannien gibt es jeweils mehrere hunderttausend Gläubige. In Deutschland sind die Sikhs nur eine sehr kleine religiöse Minderheit mit etwa 5000 Anhängern manche sprechen von 12.000 bis 15.000. Gemeinden gibt es neben München vor allem in großen Städten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart.

In Wisconsin ermittelt das FBI wegen eines Terroraktes. Das Motiv ist noch unsicher, aber es gibt Vermutungen, dass der ehemalige Soldat aus rassistischen Beweggründen gehandelt und den Sikh-Tempel irrtümlich angegriffen hat, weil er die Gläubigen für Muslime hielt.

"Das wirft ein schlechtes Licht auf uns"

Auch in Deutschland, so sagen die beiden Münchner Sikhs Ranbir Singh Mudan und Bhujan Singh, wüssten viele Menschen kaum etwas über ihre Glaubensgemeinschaft und seien häufig verwundert. So erzählen die beiden von einem Ereignis aus der vergangenen Woche: Direkt an den Münchner Sikh-Tempel grenzt eine Moschee an, in der sich vor allem Exil-Afghanen treffen. Ende August gab es dort eine Massenschlägerei. Etwa 50 Männer waren in einen heftigen Streit geraten, einem der Beteiligten wurde sogar ein Teil seines Ohrs abgebissen. Eine Hundertschaft der Polizei musste anrücken, um die Lage zu beruhigen und in einer der Zeitungen, die über den Fall berichteten, war auch ein Bild abgedruckt. Allerdings hatte der Fotograf nicht die Moschee abgelichtet, sondern das Gebäude, in dem sich die Sikhs treffen.

Bhujan Singh ärgert das: "Das wirft ein schlechtes Licht auf uns. Wir werden mit Gewalt in Verbindung gebracht, obwohl das nicht stimmt." In den USA gab es nach dem vom 11. September 2001 immer wieder Übergriffe auf Sikhs, die wegen ihrer langen Bärte und Turbane mit Muslimen verwechselt wurden. So wurde damals im US-Bundesstaat Arizona direkt nach 9/11 ein Sikh von einem Mann erschossen, der nach eigenen Angaben Rache für die Anschläge der radikalislamischen al-Qaida üben wollte.

Für praktizierende Sikhs ist es eine Selbstverständlichkeit, sämtliche Haare am Körper wachsen zu lassen. Damit drücken sie ihren Respekt vor dem Willen des Schöpfers aus. Das ungeschnittene Haupthaar wird in der Regel mit einem Turban oder einem Tuch bedeckt. Das soll eine würdevolle und emanzipierte Lebenshaltung sowie einen hohen Charakter ausdrücken. Auch Bhujan Singh trägt eine Kopfbedeckung und hat einen dichten, grauen Bart. "Nur die Haare, die habe ich immer geschnitten", sagt der 71-Jährige, der früher als Heizungsbauer gearbeitet hat. "Bei der Arbeit hat es immer so gestaubt und deshalb habe ich mich da ein bisschen angepasst", sagt Bhujan.

Auch im Inneren sieht es in der Münchner Sikh-Gurdwara auf den ersten Blick nicht wie in einem Tempel aus. An den Wänden hängen einige runde silberfarbene Girlanden aus Kunststoff, im Erdgeschoss steht ein großes Edelstahl-Regal mit Arbeitsfläche, wie man es in Großküchen findet. An einer Stelle immerhin: Ein großes, mit Wandfarben gemaltes Bild von einem Tempel. Es ist der "Goldene Tempel" (Hari Mandir), das höchste Heiligtum der Sikhs in Amritsar im indischen Bundesstaat Punjab.

Nach allen vier Seiten offen

Hinter dem Eingang stehen ein paar Fächer, in die die Gemeindemitglieder ihre Schuhe abstellen können. In einer Holzkiste liegen für Gäste orangefarbene Kopftücher bereit. "Jeder kann zu uns kommen, egal woher er kommt, welche Religion er hat oder ob er Mann oder Frau ist", sagt Ranbir Singh Mudan. Wie offen die Religion sei, könne man schon daran erkennen, wie der Goldene Tempel konstruiert sei: Nach allen vier Seiten offen, mit einem Eingangstor in jeder Himmelsrichtung. "Gott ist überall", sagt Ranbir Singh Mudan, deshalb beteten die Sikhs auch nicht nach Osten wie die Muslime.

Die Sikhs legen nur wenig Wert auf religiöse Riten und die Einhaltung strenger Dogmen. Streng verboten sind allerdings Rauchen, Alkohol und jede Art von Drogen. Die allermeisten Sikhs ernähren sich außerdem vegetarisch, deshalb gibt es in der Münchner Gurdwara für jeden Gast salziges Gebäck und gebackene Teigtaschen mit einer dunklen würzigen Soße.

Angst, dass etwas ähnlich Schlimmes wie in den USA passieren könnte, haben Ranbir Singh Mudan und Bhujan Singh nicht. Trotzdem ist im Gebetsraum eine Kamera installiert. Dort lagert nämlich der Sri Guru Granth Sahib, die heilige Schrift der Sikhs und die wolle man schützen - vor Einbrechern.

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